„Uns geht es darum, die Ohren der Kinder zu öffnen und ihre Wahrnehmung zu schärfen. Letztlich werden sie selbst entscheiden, was ihnen an Musik gefällt, und zu eigenen Auffassungen kommen. Das heißt, wir lenken nicht, sondern bereiten nur ein Feld der Möglichkeiten“, antwortet darauf ein Interviewpartner der Studie „Exchange – die Kunst, Musik zu vermitteln. Qualitäten in der Musikvermittlung und Konzertpädagogik“. Doch wie stellt sich dieses „Feld der Möglichkeiten“ dar und wie können Musikvermittler, Intendanten und Pädagogen überprüfen, ob sie in diesem Feld auch gute Arbeit leisten?
Dieser Frage nahmen sich die Stiftung Mozarteum Salzburg gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung an und beauftragten eine großangelegte Studie zur Untersuchung der Qualität konzertpädagogischer Arbeit von internationalen Orchestern und Konzerthäusern in Deutschland, Österreich, Schweiz, Luxemburg, Frankreich, Spanien, Portugal, Großbritannien und den USA.
Als vor zwei Jahren das Forschungsdesign entworfen werden sollte, stand das Ziel klar vor Augen: Ein übersichtlicher Kriterienkatalog sollte darüber Aufschluss geben, worin gute Qualität in Musikvermittlung und Konzertpädagogik bestünde. Doch bereits nach einigen Wochen intensiver Auseinandersetzung mit allen Facetten der „qualities of quality“ und ersten vorbereitenden Experten-Interviews mit Praktikern aus Orchestern und Konzerthäusern stellte sich das Thema immer vielschichtiger und komplexer dar. Also verabschiedete sich das Forschungsteam leichten Herzens von einem „10-Punkte-Programm“ für gelungene Musikvermittlung und suchte stattdessen nach einer Möglichkeit zur Evaluierung von Projekten beziehungsweise der Arbeit eines Musikvermittlers, die der Vielschichtigkeit und Komplexität der unterschiedlichen Standorte gerecht werden kann.
Parameter für Qualitäten
Denn so wichtig es ist, beständig die Diskussion über Qualitäten in der Musikvermittlung und Konzertpädagogik zu führen, so wichtig ist es auch, keinen fixen Raster anzulegen, da er dem Subjektiven, Schillernden und Unwägbaren der Annäherung an Kunst nicht gerecht werden könnte. Die Qualität der Arbeit in der Musikvermittlung und Konzertpädagogik unterliegt spezifischen Bedingungen wie strukturellen Gegebenheiten vor Ort, den fachlichen Kenntnissen, dem Charisma und den Erfahrungen der Konzertpädagogen und Musikvermittler, den künstlerischen Qualitäten der beteiligten Ensembles und Kulturschaffenden, der Bereitschaft der Kooperationspartner et cetera.
Dennoch lassen sich Parameter herausfiltern, die für alle Befragten Relevanz und Einfluss auf ihre Arbeitsweise haben. Die Ergebnisse der Interviews mit 40 Musikvermittlern und Konzertpädagogen geben einen Überblick zu Rahmenbedingungen, Prozessverläufen und Produkt-Ergebnissen ihrer konzertpädagogischen Projekte und weisen damit Wege zu den drei Säulen der Qualitätsentwicklung – Strukturqualität, Prozessqualität, Produktqualität –, die eine übergeordnete Gültigkeit für das Arbeitsfeld der Musikvermittlung und Konzertpädagogik erlangen können. Grundlegend für alle Fragestellungen zur Qualität in Musikvermittlung und Konzertpädagogik erscheint darüber hinaus die Fähigkeit, Ziele für diese Arbeit formulieren zu können und diese auch zu überprüfen:
Die Studienautorin wurde in ihrer Arbeit von fünf Experten aus Praxis, Forschung und Lehre unterstützt: Gemeinsam mit Ingrid Allwardt (netzwerk junge ohren), Tobias Henn (Stiftung Mozarteum Salzburg), Tanja Nagel (Educult), Ernst Klaus Schneider (Musikhochschule Detmold) und Barbara Stiller (Hochschule für Künste Bremen) und weiteren Fachleuten aus dem Veranstalterwesen und der Schule wurden der leitfadengestützte Fragebogen für die Interviews mit den Musikvermittlern und Konzertpädagogen sowie eine Expertentagung zur Halbzeit der Studie entwickelt und durchgeführt. Zuletzt schärfte die filmische Dokumentation von fünf gelungenen Beiträgen aus Bremen, Köln, Wien, Salzburg und Aberdeen den Blick für Merkmale, die gute Qualität in der Musikvermittlung und Konzertpädagogik bedingen.
Ein Leitfaden zur Selbstevaluierung
Alle Interviews verliefen in einer offenen und nachfragenden Atmosphäre – mehr als einmal wurde betont, dass erst das Anliegen und Interesse an den Qualitätsbegriffen der Musikvermittler und Konzertpädagogen dazu führen würde, die eigene Tätigkeit so gründlich zu reflektieren und sich für dieses Nachdenken genügend Raum und Zeit zu schaffen. Die Erfahrungen, Erkenntnisse und Lernprozesse der Studie wurden daher zu einem Leitfaden zur Selbstevaluierung zusammengestellt, der nun auf vielfache Weise genutzt werden kann:
Im Zwiegespräch mit sich selbst
Der Leitfaden fragt nach den übergeordneten Zielen, die der eigenen Arbeit zugrunde liegen und gibt darüber hinaus zahlreiche Anregungen, das letzte Projekt Revue passieren zu lassen.
Im Team
Der Leitfaden möchte dazu anregen, die Fragen dazu zu nutzen, die Arbeit im Team zu besprechen. Dazu eignet sich zum Beispiel eine Besprechung mit allen Abteilungen oder im Team mit allen Akteuren des letzten Projektes (Lehrer, Künstler, freie Mitarbeiter …).
Im Rahmen einer Supervision
Musikvermittler und Konzertpädagogen berichten oft, dass sie zwar mit vielen Menschen im ständigen Kontakt stehen, in ihrer unmittelbaren Tätigkeit aber auf ein Einzelkämpfertum verwiesen sind. Diese Studie möchte anregen, die Möglichkeiten der Supervision für den pädagogisch und organisatorisch komplexen Arbeitsbereich der Musikvermittlung zu nutzen und damit die Arbeitszufriedenheit einerseits und die Weiterentwicklung andererseits zu stärken. Der Leitfaden bietet ein Grundgerüst, um dafür mit einem Supervisor in ein Gespräch einzusteigen.
Weitere Ergebnisse der Studie
Zum Profil der Musikvermittler und Konzertpädagogen:
Die Mehrzahl der von uns befragten Musikvermittler und Konzertpädagogen qualifizierte sich für den späteren Beruf durch kulturpädagogische Studien, zu denen Instrumentalpädagogik, Schulmusik, Rhythmik, Elementare Musikpädagogik und Theaterpädagogik zählen. Fast ebenso viele haben ein künstlerisches Studium am Instrument oder als Kompositionsstudium (zumeist in Kombination mit Instrumentalpädagogik), eine kulturwissenschaftliche Ausbildung wie Musik-, Theater- oder Kulturwissenschaft oder ein fachfremdes Studium absolviert. Postgraduate-Ausbildungen zu Kulturmanagement oder Musikvermittlung nehmen zu.
Fast alle Musikvermittler und Konzertpädagogen nutzen Anregungen und Ideen aus Fort- und Weiterbildung. Netzwerke spielen dabei eine zentrale Rolle – häufig genannt werden: European Concert Hall Organisation (ECHO), netzwerk junge ohren (njo), Netzwerk Neue Musik, European Network for Opera in Education (RESEO), Association of British Orchestras (ABO). Im deutschsprachigen Raum etablieren sich die beiden deutschen Kongress-Serien „Kinder zum Olymp!“ – die Bildungsinitiative der Kulturstiftung der Länder – und „The Art of Music Education“ der Körber-Stiftung zu fixen Treffpunkten der Szene.
Die Hälfte der Befragten sammelte ihre ersten Erfahrungen im Kulturbetrieb, zum Beispiel in der Dramaturgie, dem Marketing oder der Öffentlichkeitsarbeit. Die andere Hälfte stieg zunächst als Instrumentalpädagoge in den Beruf ein oder verdiente sich erste Sporen als freier Musikvermittler. Einige Konzertpädagogen haben ihre Wurzeln in der unmittelbar künstlerischen Arbeit: Im Orchester, im Ensemble für Neue Musik oder als Komponist wurden die Weichen für die spätere Tätigkeit als Musikvermittler gestellt.
Auffallend oft ist davon die Rede, dass die Arbeit an sich großen Spaß macht. Trotz Überlastung, Einzelkämpfertum und geringer Budgets gibt das Arbeitsumfeld viel an positiver Energie zurück. Die Freude an der Arbeit selbst wird durch die unmittelbaren Reaktionen der Kinder und Jugendlichen hervorgerufen, durch Erfolgserlebnisse im Verlauf der Projekte und durch den Austausch mit Gleichgesinnten.
Zu den Charakteristika der befragten Institutionen Orchester und Konzerthaus:
In der Auswahl der Kandidaten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wurde auf die jeweils unterschiedliche Orchesterlandschaft Bezug genommen: Daher ist in das Sample eine im Verhältnis größere Anzahl an Orchestern aus Deutschland integriert. Darüber hinaus fanden Ensembles beziehungsweise Dachverbände aus Frankreich, England, den USA und Luxemburg Eingang in die Studie, und eine repräsentative Auswahl an europäischen Konzerthäusern (unter anderem in Spanien, Portugal, Luxemburg, Deutschland und Österreich) stellt deren konzertpädagogische Arbeit vor.
Musikvermittlung ist keine Erfindung der letzten Jahre, sondern in Form von besonderen Konzertformaten für Kinder und Jugendliche in Europa zumindest seit dem Zweiten Weltkrieg und in den USA seit der Gründung der jeweiligen Orchester Bestandteil des Kulturlebens. Alle Vermittlungsformate, die über eigene Konzertreihen für Kinder und Jugendliche hinausreichen, finden seit Beginn des 21. Jahrhundert zunehmend Eingang in das Repertoire der Musikvermittlungs-Angebote von Orchestern und Konzerthäusern. Dazu zählen unter anderem konzertpädagogische Workshops im Vorfeld zu Konzerten, partizipative Aufführungen mit Kindern und Jugendlichen in den regulären Konzerten oder spartenübergreifende Projekte mit Tanz, Visualisierung und Theater. Seit 2005 ist wiederum eine Steigerung dieser Angebote zu bemerken. Wir trafen eine Auswahl an Kandidaten, die in etwa ausgewogen in den drei großen Abschnitten – vor 2000, ab 2000, nach 2005 – vertreten sind. Nicht zufällig fallen alle britischen und amerikanischen Befragten in den Abschnitt „vor 2000“.
Musikvermittler und Konzertpädagogen arbeiten an Konzerthäusern oder bei Orchestern in unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen, wobei ein eindeutiger Trend hin zu explizit ausgewiesenen Education-Abteilungen auszumachen ist, in denen 24 der befragten Personen beheimatet sind. Zwei Ensembleleiter bezeichneten in Ermangelung eines eigenen Musikvermittlers sich selbst als für diese Agenden zuständig. Fünf Personen sind dem Marketing beziehungsweise der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zugeteilt, vier Personen zählen zum Künstlerischen Betriebsbüro, drei Konzertpädagogen arbeiten freiberuflich für ein Konzerthaus oder Orchester, und jeweils eine Person leistet die Arbeit im Zuge ihrer Tätigkeit als Dramaturg mit, beziehungsweise wendet einen geringen Prozentsatz ihrer Anstellung als Orchestermusiker für die Erarbeitung und Durchführung konzertpädagogischer Projekte auf.
Musikvermittler und Konzertpädagogen weisen sich selbst eine Schlüsselfunktion in der Vermittlung von Klassischer und Neuer Musik zu – ihre Methoden und Kommunikationsstrategien tragen dazu bei, bei Kindern und Jugendlichen Interesse und vielleicht sogar Leidenschaft für diesen Bereich der Kultur zu wecken. Dabei lassen sich Musikvermittler und Konzertpädagogen überwiegend von ihren eigenen Haltungen leiten, die zumeist als aufgeschlossen und spartenübergreifend charakterisiert werden können und nicht zuletzt von einer großen Liebe zum Konzert an sich getragen werden.
Die Studie kann kostenlos bestellt werden unter: www.kunstdervermittlung.at