Banner Full-Size

Aus Kindern glückliche Menschen machen mit Musik?

Untertitel
N=64.000 – JeKi im Fokus der empirischen Bildungsforschung
Publikationsdatum
Body

An den Projekten „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi) in NRW und in Hamburg sind im laufenden Schuljahr bereits rund 64.000 Schülerinnen und Schüler an über 700 Grundschulen beteiligt. JeKi ist damit nicht nur ein überaus ambitioniertes Projekt, was die musikpädagogischen und organisatorischen Herausforderungen angeht, sondern bietet – zehn Jahre nach Veröffentlichung der „Bastian-Studie“ – auch ein riesiges Betätigungsfeld für die empirische Bildungsforschung.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat sich in der jüngeren Vergangenheit bereits mehrfach und intensiv mit der Förderung kognitiver Kompetenzen und anderen Transferwirkungen durch Musik auseinandergesetzt („Macht Mozart schlau?“, 2006/„Pauken und Trompeten“, 2009) und setzt dieses Engagement fort, indem es für das JeKi-Begleitforschungsprogramm von 2009 bis 2013 jährlich 1.000.000 Euro zur Verfügung stellt. Zum Zuge kommen in interdisziplinären Verbünden insgesamt zwölf Forschungsvorhaben mit unterschiedlichsten fachlichen Perspektiven: 30 Erziehungswissenschaftler, Musikpädagoginnen, Musik­psychologen und Neuropsychologinnen befragen, untersuchen, filmen, testen rund 3.800 Schülerinnen und Schüler an 100 Schulen in 35 Städten, dazu zum Teil deren Eltern sowie etwa 550 Lehrkräfte.

Zu erfahren waren all diese imposanten Zahlen am 3. November in Essen auf einer Fachtagung des JeKi-Begleitforschungsprogramms. Zur Eröffnung stellte BMBF-Staatssekretär Thomas Rachel die entscheidenden Fragen aus Sicht des Forschungsprogramms: Macht Musik beziehungsweise die Teilnahme an JeKi sozialer, kreativer, fleißiger, glücklicher? Wird die Hörleistung von Grundschulkindern durch Musik verändert? Kann Musik bei Lese- und Rechtschreibschwäche zu Verbesserungen führen? Erhöht das Musizieren das Konzentrationsvermögen? Weitere Fragestellungen kamen im Laufe des Tages bei der Vorstellung der einzelnen Forschungsvorhaben durch die 30 beteiligten Wissenschaftler/-innen hinzu: Wie steht es mit der Akzeptanz der JeKi-Programme bei Eltern und Schüler/-innen? Welche Prädikatoren gibt es für einen „Drop-out“, also das Ausscheiden von Kindern aus dem JeKi-Programm? Wie wirken sich unterschiedliche Tandemkonstellationen beim Co-Teaching von Schul- und Musikschullehrkräften auf den Unterricht und das Lernen der Kinder aus? Wie wirkt sich Musizieren auf die Emotionsregulation im Kindesalter aus? Wie beeinflusst vertiefter Musikunterricht die musikalische Präferenzentwicklung von Grundschulkindern? Inwiefern werden bei Kindern mit Migrationshintergrund durch den Instrumentalunterricht Anpassungsprozesse befördert?

Fragen dieser Art gab es viele, erste Ergebnisse hingegen kaum – teils weil bereits erhobene Daten noch nicht ausgewertet waren, teils weil am Beginn der zahlreichen Längsschnittuntersuchungen Unterschiede zwischen den JeKi-Testgruppen und den Vergleichsgruppen (planmäßig) nicht bestanden. Wenn doch einmal vorsichtig erste Tendenzen geäußert wurden, so waren sie in der Regel kaum geeignet, das versammelte Fachpublikum nachhaltig zu verblüffen – etwa wenn die Vermutung geäußert wurde, Faktoren für einen erfolgreichen Verlauf des musikalischen Lernprozesses könnten ein musikalischer Hintergrund des Elternhauses, die Unterstützung der Eltern und das Üben zu Hause sein. Die Antworten auf alle gestellten Fragen werden wohl erst 2013 vorliegen, denn die zahlreichen Doktorand/-innen in den Forschungsprojekten sollen Gelegenheit zur Erstauswertung der erhobenen Daten haben – dafür werden diese in einem zentralen Datenpool gesammelt und sollen künftigen Forschergenerationen vollständig und dauerhaft zur Verfügung stehen.

Interessante Forschungsergebnisse zu erörtern gab es also vorerst nicht, dafür verschiedene interessante Äußerungen dazu, was denn mit den Ergebnissen am Ende angefangen werden solle. Ulrike Kranefeld, Leiterin der Koordinierungsstelle der JeKi-Begleitforschung, stellte klar, dass sie es nicht als Aufgabe der Forschung auffasse, selbst aus den Ergebnissen Konsequenzen zu ziehen. Dies sei Aufgabe der Politik, die man auf Grundlage der Ergebnisse allenfalls beraten könne. Andreas C. Lehmann, Vorsitzender des Beirats der JeKi-Begleitforschung, stellte die Frage, ob das Forschungsprogramm wieder eine Suche nach dem „Mehrwert“ von Musik darstelle. Im Zentrum stehe diesmal jedoch nicht die Frage „Macht Musik schlau?“, sondern „Macht Musik besser und gesünder?“. Hierin traf er sich nicht nur mit Staatssekretär Thomas Rachel, der die Losung „Aus Kindern glückliche Menschen machen mit Musik“ bereits eingangs ausgegeben hatte. Gisela Steffens, Referatsleiterin im BMBF, benannte die Zielsetzungen des Begleitforschungsprogramms ausführlicher: weitere Verbesserung der laufenden JeKi-Programme, Verbesserung der Wahrscheinlichkeit, dass sie andernorts nachgeahmt werden, Fortschritt in der empirischen Bildungsforschung, Nachwuchsförderung in den Geisteswissenschaften, belastbare Ergebnisse zu den Auswirkungen von Musik auf Kompetenzerwerb, Schulerfolg, Selbstwertgefühl und Zugang zu kultureller Teilhabe, Hilfen für politische Entscheidungsprozesse.

NRW-Familienministerin Ute Schäfer hatte sich in ihrem Grußwort von der Bedeutung des JeKi-Programms „für die musikalische Früherziehung“ und den schulischen Bildungserfolg überzeugt gezeigt. Auch sonst hat man kaum je den Eindruck, dass es weiterer Argumente und Überzeugungsarbeit für politische Entscheidungsprozesse bedarf, wenn es um Musik in der schulischen und außerschulischen Bildung geht. Detlef Fickermann von der Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung brachte es auf den Punkt: Vom Eigenwert der Musik sowie von der positiven Wirkung von Musikunterricht auf Körperwahrnehmung, Disziplin, Sozialverhalten und viele andere Bereiche sei in der Hamburger Politik jedermann überzeugt. Daher sei auch eine flächendeckende Durchführung von JeKi vorgesehen gewesen. Die Haushaltsmittel reichten aber nur für eine Abdeckung von 25 Prozent.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!