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Barockes Repertoire entstauben und neu gestalten

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Ein Plädoyer für eine verstärkte Auseinandersetzung mit historischer Aufführungspraxis in den Musikschulen
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Alte Musik ist im Musikgeschäft schon längst keine bloße Nische mehr. Selbst renommierte Veranstaltungsreihen setzen immer wieder auf Konzerte mit barocken Spezialisten. Die Sparte Alte Musik, so könnte man meinen, setzt sich damit auch in unseren Musikschulen durch. Müssen ja die heutigen Musiker erst einmal als Kinder dafür gewonnen und ausgebildet werden. Dies ist aber nur ganz selten der Fall. Es ist erstaunlich, dass, einmal abgesehen von der Blockflöte, historische Instrumente und Aufführungspraxis in vielen Musikschulen immer noch unterrepräsentiert sind.

Dabei bietet die Alte Musik besondere Chancen in pädagogischer Hinsicht. Stehen hier doch neben dem stilistischen Spezialwissen auch besondere Herangehensweisen an die Musik im Mittelpunkt, die sich positiv auf die gesamte Spielweise und Musizierhaltung der Schüler auswirken können. Doch zu groß ist bei vielen Lehrern wie Schülern der Respekt vor den „alten Meistern“ und ihren Kunstwerken, weswegen sie sich einen lebendigen Umgang mit den Werken häufig nicht vorstellen können. Dabei lässt sich mit etwas Hintergrundwissen und einem neugierigen Blick auf das Musikstück beispielsweise schnell herausfinden, was zur verbindlichen Struktur und Charakteristik eines Stückes beiträgt und wo Freiräume für eigene Gestaltungen, Verzierungen und Improvisationen sind. Das bedeutet auch umgekehrt, dass sich musikalische Ornamente aus einem Werk „herausfiltern“ lassen, ohne die wesentliche Aussage der Musik zu verändern. Ein methodischer Nebeneffekt hiervon ist, dass die Lehrer so die Schwierigkeit und Komplexität eines Stückes selbst regulieren und den aktuellen Fähigkeiten der Schüler anpassen können. Es bieten sich damit besonders im Ensembleunterricht zahlreiche Möglichkeiten der Binnendifferenzierung, indem einfache Stücke verkompliziert und schwierige Stücke vereinfacht werden. So können bei den Schülern nicht nur echte Urhebererlebnisse, sondern auch ein vertieftes Verständnis für die Strukturen von Musik befördert werden. Mit anderen Worten: Musik wird für sie bedeutsam.

„Kein Interesse seitens der Schüler“, „keine Instrumente vorhanden“, „zusätzlicher Aufführungspraxisunterricht ist zu teuer“ … So oder ähnlich mögen die Einwände seitens der Kollegen, Schulleitungen und Eltern klingen. Zugegebenermaßen verlangt es immer noch einiges an Engagement, um aus der so genannten Alten Musik einen anerkannten Fachbereich innerhalb der Musikschule zu machen. Dabei sind die Vorteile nicht von der Hand zu weisen: Einerseits lernen die Schüler strukturelles Denken, vertiefen ihr Verständnis für die Musik, die sie spielen, und gewinnen einen offenen Blick auf Musik jedweder Epoche. Die Lehrer wiederum werden in die Lage versetzt, selbst heterogene Ensembles zu einer gemeinsamen Leistung zu führen. Dass sich der Aufwand lohnt, zeigt ein Beispiel aus der Städtischen Sing- und Musikschule in Erlangen. In dieser Musikschule können Kinder seit 50 Jahren Viola da gamba lernen. Einst eingeführt vom Gründer der Musikschule, Rudolf Steidel, der in seiner Freizeit ein begeisterter Gambenspieler war, werden seitdem kontinuierlich bis zu 35 Kinder unterrichtet. Das damalige Konzept ist heute noch ein Erfolgsmodell: Über 30 preiswerte Leihinstrumente – aus den Anfängen herkommend leider noch mit Stahlsaiten bespannt – machen den Schülern die Entscheidung für das Instrument leicht. Wer nun bei Viola da gamba an einfache Tänze der Renaissance und einen eher sparsamen Umgang mit der Dynamik denkt, liegt nur teilweise richtig. Das Instrument ist zwar prädestiniert, die Alte Musik innerhalb der Musikschule zu repräsentieren, ist aber im Bereich der zeitgenössischen Musik ebenso beheimatet.

Das im Folgenden beschriebene Projekt möchte aufzeigen, wie durch öffentlichkeitswirksame Auftritte und Musikschulaktivitäten der Stellenwert der historischen Aufführungspraxis verbessert werden kann: Im barocken Markgrafentheater der Stadt Erlangen wurde die Oper „Alceste“ im Februar/März 2008 aufgeführt. Die Produktion entstand in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik Nürnberg (Studio für Alte Musik), dem Staatstheater Nürnberg (Gesang, Regie) und dem Theater Erlangen (Schauspiel). Dieses professionelle Spektakel animierte Michael Webert und Tina Groth von der ortsansässigen Musikschule, ihre Gambenschülerinnen das Bühnenerlebnis nachspüren zu lassen.

Sie vereinfachten die Musik Händels, ließen Verzierungen weg, rhythmisierten schlichter, kurz: Sie schneiderten die Nummern den Schülerinnen auf den Leib. So wurde die doch ursprünglich komplexe und anspruchsvolle Musik selbst für Anfängerinnen spielbar gemacht. Dabei stand die Vereinfachung stets unter der Prämisse, dass sie sich zusammen mit der Originalkomposition musizieren lassen können muss.

Die neun- bis fünfzehnjährigen Gambistinnen probten die Musik mit Begeisterung und nach vier Wochen stand der Höhepunkt des Projektes an: Ein Schülervorspiel im Orchestergraben des Markgrafentheaters. Unter dem Dirigat von Hartwig Groth, dem Leiter des Studios für Alte Musik, und mit Hilfe einiger seiner Studenten gelang das hörenswerte Experiment: Die Studenten musizierten die Händelsche Originalmusik, und gemeinsam mit den zwei vereinfachten Versionen der Musikschülerinnen – eine für Fortgeschrittene und eine für die Anfängerinnen – erklang ein volles Orchester. Die anwesenden Eltern und Kollegen zeigten sich beeindruckt. Für die Kinder und Jugendlichen war es ein aufregendes Erlebnis, unter professionellen Bedingungen neben den angehenden Profis im Orchestergraben zu spielen.

Zum Abschluss des Projektes besuchten die Musikschülerinnen die abendliche Vorstellung der Oper. Es war zu beobachten, wie manch eine mit neuer Aufmerksamkeit lauschte, waren sie jetzt doch „Eingeweihte“. Und umgekehrt: Aus dem Orchestergraben winkten die Studenten ihren neu gewonnenen „Kolleginnen“ im 3. Rang zu. Die Initiatoren planen schon die Neuauflage mit Henry Purcells „Dido und Aeneas“ im nächsten Jahr.

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