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Komponist Stefan Heucke mit Schülern der Clara-Schumann-Musikschule nach der Aufführung von „Der glückliche Prinz“. Foto: Heribert Koch
Komponist Stefan Heucke mit Schülern der Clara-Schumann-Musikschule nach der Aufführung von „Der glückliche Prinz“. Foto: Heribert Koch
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Bewegte Pianisten und die Kunst des Schwebens

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Europäische Klavierlehrer konferieren auf dem EPTA-Kongress in Düsseldorf über Musik und Bewegung
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Düsseldorf im Mai: „Pianists and Motion“ – „Klavierspiel und Bewegung“. Keine Frage, ein weites Feld, das die deutsche EPTA-Sektion mit diesem Thema abgesteckt hatte. 30 Lectures in vier Tagen haben ausgereicht, um 160 Pianisten und Klavierlehrer ihrerseits in motion zu versetzen und auch sonst einiges freizusetzen. Jede Menge kreative Bewegungsfantasie, dazu eine Sorte bewegte Kreativität, die für Überraschungen, ja für (Wieder-)Entdeckungen gut war.

Nicht das Schlechteste also, was man über eine International Conference mit Musikerbeteiligung sagen kann. Die denn auch insofern einen etwas atypischen Verlauf nahm, als die Technik des Ermüdungsreferats glücklicherweise nur in Ausnahmefällen zur Anwendung gebracht wurde. Irgendwie musste sich unter den mehr als zwei Dutzend Vortragenden herumgesprochen haben, das zu jedem Text, ob nun angelegt als fundamental concept, als individual consideration, als featuring lecture, lecture-recital, demonstration oder workshop notwendigerweise ein Subtext gehört: De te fabula narratur.

Dass solcher Art elementare Referenten-Binsenweisheit (fast) durch die Bank Berücksichtigung fand, verbürgte den Erfolg (auch) dieser 35. Internationalen EPTA-Tagung. Letzterer war ablesbar an einer bis zur abschließenden panel discussion reichenden bemerkenswerten Konferenz-Disziplin. Mit dem Wermutstropfen, dass auf derselben Abschlussdiskussion das Zurück-zur-Natur-Plädoyer der italienischen Konzertpianistin Marcella Crudeli die methodischen Anstrengungen der Tage davor eigentümlich konterkarierte. Kurios, dass es auf einmal wieder die „Natur“ sein sollte, die den „artista“ „leitet“, dass „Movimento“ selbst „natura“ ist und dass der Kongress diesem fröhlichen Regressionsbekenntnis frenetischen Beifall zollte. Man konnte das für einen typischen Fall von Kurzzeitgedächtnis halten. In jedem Fall war es eine Bestätigung dafür, dass sich die Pianists aus „Pianists and Motion“ tatsächlich sehr schnell zu Pianists in Motion verwandeln können. Man lässt sich halt leicht (und gern) begeistern. Was notgedrungen Redundanzen, Schleifen, Widersprüche zur Folge haben muss, in deren Verlauf auch ältere Hüte neu ins Schaufenster gestellt werden.

Umgekehrt ließ sich daran andererseits aber auch das ebenso sympathische wie offene Betriebsgeheimnis eines EPTA-Kongresses studieren. Open Mind, Neugierde, Open Awareness sind fraglos prägende EPTA-Sekundärtugenden. Die wiederum schaffen Raum und Klima, dass auch der nachdenkliche, der experimentelle, der nicht bis ins letzte abgesicherte Vortrag noch (s)ein offenes Ohr findet. Gefühlt beinahe ein Alleinstellungsmerkmal. Will sagen: Es gab auch Philosophie in Düsseldorf. Und keine der oberflächlichen Sorte.

Breitenwirkung

Andererseits: Dass die EPTA seit ihrer Gründung 1979 an Glanz eingebüßt hat, ist nicht zu übersehen. Es sind nun einmal die großen Namen, die einer der Kunstvermittlung dienenden Organisation zu Reputation verhelfen – und damit über die öffentliche Wahrnehmungsschwelle. Was ein Siegfried Palm, ein Yehudi Menuhin für die ESTA gewesen ist, das waren in der Vergangenheit Karl-Heinz Kämmerling (1930–2012), Edith Picht-Axenfeld (1914–2001) und Jürgen Uhde für die EPTA. Und doch gibt sich Peter Haseley von der gastgebenden Düsseldorfer Clara-Schumann-Musikschule in diesem Punkt verhalten optimistisch. Man sehe das Problem und sei „in Gesprächen“, was das Thema der (momentan nicht vorhandenen) EPTA-Galionsfigur(en) angehe. Andererseits sei es doch so (und ein wenig Genugtuung schwang mit bei diesem Statement), dass die EPTA als veritable „Musikschulbewegung“ enorme „Breitenwirkung“ entfaltet habe und entfaltet.
Was stimmt und was auch diese Düsseldorfer 4-Tage-Tagung mit parallelen Vorträgen im großen und kleinen Konzertsaal der Clara-Schumann-Musikschule noch einmal sehr eindrücklich unter Beweis gestellt hat. Es sind nun einmal keine staubtrockenen Musikwissenschaftler, die hier zusammenkommen. Nicht das Interesse an ‚methodischer Konsistenz‘, an ‚Stringenz‘, ist es, was zählt. Hier gilt’s den künstlerisch-praktischen Fragen, weshalb die Mehrzahl der music and motion-lectures unmittelbar und unaufgefordert aufs Zentral-Bedürfnis der Teilnehmer reagierten: Sag und zeig es mir – das schlagende Beispiel, die griffige Anregung für meine Unterrichtspraxis!

Tipps und Tricks

Aus der Praxis für die Praxis – nach diesem Gusto waren sie mehrheitlich gebaut, die Vorträge zur elementaren wie zur fortgeschrittenen Klaviervermittlungs- und Präsentationstechnik. Und zwar: „Right from the start“! So etwa das Plädoyer eines angelsächsischen Urgesteins der Szene. Mit practice-Vorschlägen wie mit griffigen Merksätzen knauserte Nancy Bachus nicht. „Mind, Muscle, Music“, „Feet, Fanny, Finger, Feeling“ – nichts, was hier unerwähnt oder ohne sinnfällige demonstration blieb. Nur, dass (auch) Bachus allzu selbstverständlich Grundlagen unterstellte, die der eine oder die andere Teilnehmerin gern einmal näher betrachtet hätte. Etwa wenn im Namen der Autorität Arthur Schnabel ein „firm nail-joint“ als sakrosankt behauptet ward. Was das genau ist, wie er zusammenhängt mit Hand, Arm, Rücken und ob er vielleicht doch das alte Gewichtsdogma vertrat? Offene Fragen. Auf einmal war es dann da, dieses Gefühl, dass zu den schönen M- und F-Merkreihen eigentlich auch die mit B gehören: Basic, Background in jedem Fall.

So ging das weiter. Insbesondere in den Vereinigten Staaten beheimatete piano teachers schüttelten die Tipps und Tricks nur so aus dem Ärmel. Locker, lückenlos, additiv und – praxisbewährt. Paola Savvidou von der University of Missouri versorgte ihre Hörerschaft zudem mit lustigen Mit- und Nachmachaktionen unter anderem zur heißen Frage: Wie sitze ich richtig? Zur allgemeinen Lockerung warf sie Luftballons unters Konferenzvolk. „Kinästhetische Übungen“! Die (ziemlich berechtigte) Rückfrage einer Teilnehmerin, inwiefern solche Hüpferei denn von der Musik begründet sei, blieb augenscheinlich unverstanden. Und selbst die mit Artur Rubinstein und Lang Lang ziemlich gegensätzlich bebilderten „Movement Observations“ zu Liszts Liebestraum wurden konsensorientiert-salomonisch besprochen. Recht haben sie eben beide!

Fragen – Schweben

Bei soviel unbekümmerter Praxis musste eine (musik)philosophische Fragehaltung wie die des Präsidenten der EPTA Österreich notgedrungen als Spaßbremse wirken. Auch wenn Anton Voigt seine im Konferenzkontext äußerst listig formulierte Lecture „Was bedeutet die Bewegung?“ mit dem wunderbar dialektgefärbten Charme des kunstsinnigen Alpenländers zum Besten gab. Womit aus heiterem Himmel etwas in die Pianists-and-Motion-Conference hineinkam, was bis dato außen vor geblieben war und was auch die wenigsten vermisst haben dürften: Skepsis, Verunsicherung. Dabei konnte man den Referenten für seine merkwürdige Ausgangsfrage noch nicht einmal haftbar machen. Denn haargenau so, mit diesen Marianne von Willemer-Worten beginnt ja Schuberts Suleika I. Starke, tatsächlich ‚sakrosankte’ Bündnispartner also, die Voigt da zwischen sich und sein Publikum geschoben hatte. Worauf das am Ende hinaus sollte? Je mehr sich Voigt mäandernd seiner Antwort näherte, desto länger wurden freilich die Gesichter. Immerhin – wer würde es nicht unterschreiben wollen, dieses Du-musst-wissen-was-Du-machst!? Worauf es diesem Anhänger der open awareness dabei vor allem ankam, war tatsächlich nicht diese oder jene ‚Antwort‘. „In der Konzertpraxis“, so Voigt, sei das Fragen von „elementarer Bedeutung“. Sprach’s und verabschiedete sich mit einem Lächeln.

Von solcher Philosophie der offenen Frage zur „Kunst des Schwebens“ war es dann nur noch ein Schritt. Es blieb dem Berliner Pianisten und Klavierpädagogen Gerhard Herrgott vorbehalten, in seinem Referat zur vergessenen „Physio-Ästhetik des Klavierspiels“ Elisabeth Calands den wohl aufregendsten und in seiner Fundiertheit über alle Praxis-Spielchen hinausweisensten Vortrag des Kongresses zu halten. Mittlerweile ist es ja selten geworden, dass historisches Bewusstsein, philosophische Kennerschaft und ein darstellendes pianistisches Vermögen zu gleichen Teilen zusammenkommen. Herrgott verfügt über diese Kompetenzen, scheint von daher wie berufen, Calands Lehre vom künstlerischen Klavierspiel im Umfeld der Liszt-Nachfolge, von Deppe, Clark und Busoni nachzuzeichnen, besser: zu vergegenwärtigen.

Was er dabei in und mit der Metapher des Schwebens fasst, ist für ihn die auf Liszt wie auf Chopin zurückgehende „Grundforderung, dass Hand und Finger nie auf die Tasten fallen, oder gar auf sie einschlagen dürfen“. An dieser Stelle sei es um 1900 an der holländischen Klavierpädagogin Elisabeth Caland gewesen, für solche ästhetische Zielsetzung eines künstlerischen Klavierspiels adäquate körperphysiologische Schlussfolgerungen gezogen zu haben. Dass die Klaviermethodik der Nachkriegszeit Caland daraus einen Strick gedreht und seltsam einfühllos von der „Zwangsjacke der Schulterblattsenkung“ schwadroniert hat, gilt es nach Herrgott zu korrigieren. Entscheidend sei die Erkenntnis, dass alles Physiologische (Liszts „Vorstellung eines Spannungsbogens, der von der Wirbelsäule bis zur Fingerspitze reicht“) stets im Dienst der Ästhetik steht und nicht umgekehrt. Wofür die Kunst des Schwebens tatsächlich ein faszinierendes Bild ist.

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