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Das Ensemble „Mondwinde“ bei der Verleihung des Förderpreises InTakt 2019. Foto: Oliver Schaper
Das Ensemble „Mondwinde“ bei der Verleihung des Förderpreises InTakt 2019. Foto: Oliver Schaper
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Blick zurück und nach vorn

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Fünfzehn Jahre Förderpreis InTakt der miriam-stiftung · Von Irmgard Merkt
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Kommen Förderpreise eigentlich auch in die Pubertät oder in die Jahre? Wie geht das Wachstum des Preises einer kleinen Stiftung mit großem Herz? 2004 gründete das Dortmunder Ehepaar Sonnemann eine Stiftung und nannte sie nach ihrer Tochter Miriam, ihrer Tochter mit Downsyndrom, die 1999 im Alter von 21 Jahren sehr plötzlich und unerwartet verstarb.

Als Eltern eines Kindes mit Downsyndrom können Sonnemanns immer noch und immer wieder viele Geschichten erzählen. Viele schöne und herzerwärmende Geschichten, aber auch viele Geschichten von Bedenkenträgern, die vor allem davon sprachen, was das Kind alles nie würde tun können. „Ein Kind mit Downsyndrom kann nie Fahrrad fahren“. „Ein Kind mit Downsyndrom kann kein Instrument lernen“. „Ein Kind mit Downsyndrom wird nie den Hauptschulabschluss schaffen“. Und so weiter. Ja, es gibt schwer und schwerst beeinträchtigte Kinder auch unter Kindern mit Downsyndrom, denen viele Aktivitäten nicht möglich sind. Aber die meisten Kinder mit Downsyndrom tun viele normale Alltagsdinge. So ist Miriam mit dem Fahrrad in die Stadt gefahren, hat als Instrument die Blockflöte gelernt und den Hauptschulabschluss gemacht.

„Die Himmlischen, die Alleserhaltenden führen“, wie Hölderlins Gedicht „Lebenslauf“ weiß, „uns nie mit Vorsicht des ebenen Pfads“ – und so hat Miriams Freude an Musik auf schmerzhaften Wegen und Umwegen schließlich zum Förderpreis InTakt geführt. Von Anfang an mit großzügigem Preisgeld von insgesamt 5.000 Euro ausgestattet, blieb es für die Stiftung, die unabhängig vom Förderpreis InTakt insbesondere ein Schulprojekt in Ost-Timor unterstützt, nie beim bloßen Preisgeld. Die Einzel- und Gruppenpreisträger wurden großzügig nach Dortmund eingeladen, im Anschluss an die Preisverleihung gab es immer Urkunden für alle und ein festliches Buffet, das die Wertschätzung für die in doppeltem Sinne ausgezeichneten Preisträger zum Ausdruck brachte. Nicht alle Ensembles hatten dies schon einmal erlebt, geschweige denn von der Fußballstadt Dortmund erwartet.

Stadt und TU Dortmund wussten sehr wohl um die Bedeutung des Förderpreises für den externen Blick auf die Stadt: Das Rektorat der TU Dortmund war regelmäßig bei der Preisverleihung für ein Grußwort anwesend, ebenso ein Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin der Stadt. Die Preisverleihung selbst fand nach ersten Jahren bei der IHK meist in der Bürgerhalle des Rathauses Dortmund statt: „Inklusion gehört in das Herz der Stadt“ war die Devise auch der Jury, der neben der Autorin auch Prof. Liese Braun von der PH Reutlingen und Prof. Dr. Juliane Gerland, FH Bielefeld, angehörten.

Etwa dreißig Preise wurden in den fünfzehn Jahren verliehen – an Einzelpersonen, die konzeptuell einen Beitrag zur Gestaltung von Musik und Inklusion geleistet haben und an Ensembles, die „bottom-up“ den gesellschaftlich-kulturellen Bereich Musik und Inklusion gestaltet haben. Als Initiative in Schule oder Musikschule, als freie Träger und Einzelkämpfer, als Elternteil, Musikerin oder Musiker, als Pädagoge oder Pädagogin, als Künstlerin oder Künstler. Die Förderpreisträger einmal in einer Reihe aufgestellt, würden einen beeindruckenden gesellschaftlichen Querschnitt von engagierten Demokraten, Christen und Heiden, verantwortungsbewussten inklusions- und kulturpolitisch Besessenen ergeben, eine Gruppe von Menschen, denen man viele Bereiche einer demokratisch-inklusiven  Gesellschaft problemlos anvertrauen könnte.

Ein wenig gewandelt hat sich der Förderpreis schon in den letzten Jahren: Zunächst eher unspezifisch ausgeschrieben – das Hauptkriterium war Musik und Inklusion – reagierte die Ausschreibung des Preises auf die mittlerweile entstandene künstlerische Qualität und Vielfalt. Die Anforderungen wurden themenspezifisch – nun ging es etwa um Chor, um Improvisation und 2019 zuletzt um künstlerische Interdisziplinarität.

Der Preis bedeutet natürlich etwas für die Stifter – aber zukunftsgewandt insbesondere etwas für die Preisträger. „Wir waren bundesweit schon erfolgreich“, so Claudia Schmidt, Leiterin der inklusiv arbeitenden Bigband „just fun“, „aber der Förderpreis hat bewirkt, dass wir auch im eigenen Haus neu gesehen wurden“. Das eigene Haus war in diesem Fall die Musikschule Bochum. Und Jana Hellem, künstlerische Leiterin des Chores Thonkunst: „Unser musikalisches Wirken bestand bis Mitte 2014 aus ein paar wenigen Auftritten im Jahr in und um Leipzig. Mit dem Förderpreis waren wir auf einmal über die Grenzen Sachsens hinaus bekannt und bekamen Anfragen aus vielen Teilen Deutschlands und aus Österreich. Wir traten im Kleisthaus Berlin bei der Bundesbeauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung auf und begannen, mit professionellen Ensembles zusammenzuarbeiten. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Neue großartige Projekte, wie zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit dem Gewandhausjugendchor, eine Mitwirkung beim Elbhangfest in Dresden und eine Teilnahme am Mozartfest Chemnitz sind bereits in Planung.“ Ähnliche Geschichten werden auch von anderen Preisträgern erzählt: Der Förderpreis InTakt wirkt nachhaltig-expandierend. Das erlebt bereits das 2019 ausgezeichnete Ensemble Mondwinde aus Bochum/Witten: die ersten Einladungen zu Fortbildungen sind erfolgt.

Wenn der Förderpreis nach fünfzehn Jahren sehr erwachsen geworden ist und nun Pause macht, entsteht Raum für vielfachen Dank nicht nur an die Stifter, sondern an alle, die „bottom-up“ eine Kulturlandschaft gestalten, die Menschen mit Beeinträchtigungen mit einbezieht. Um den vorläufigen Lebenslauf des Förderpreises wiederum mit Hölderlin abzuschließen: „Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen, daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern’,  und verstehe die Freiheit, aufzubrechen, wohin er will.“

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