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Drumset ohne Sticks und Drums

Untertitel
Ein Erfahrungsbericht aus der Arbeit mit ehemaligen Straßenjungen in Uganda · Von Birgit Ibelshäuser
Publikationsdatum
Body

Mitten in Kampala, der Hauptstadt von Uganda, befindet sich das Armenviertel. Ein Ballungsgebiet von Menschen, das wie kein anderer Stadtteil von Armut, Krankheit und Kriminalität geprägt ist. Drogenkonsum, Vergewaltigung und Prostitution sind an der Tagsordnung. Hier finden auch zahlreiche Kinder und Jugendliche, die keine Eltern mehr haben oder verstoßen wurden, Unterschlupf. Sie finden sich in Kinder- und Jugendbanden zusammen, denn ein Überleben ist nur in der Gruppe möglich.

Hoffnung für die Straßenjungen im Slum bietet eine christlich organisierte Sozialarbeit, die neben der Betreuung direkt vor Ort auch einigen Straßenjungen die Möglichkeit gibt, in einem Wohnprojekt außerhalb des Gettos zu leben und dort eine Schul- beziehungsweise Berufsausbildung zu absolvieren. Im Rahmen meiner Aufenthalte in Uganda hatte ich die Möglichkeit, mit diesen Jugendlichen, die zuvor jahrelang in dem oben beschriebenen Umfeld gelebt hatten, musikalisch zu arbeiten.

Nach einer ersten Phase der gegenseitigen Annäherung und des Austauschens über unsere bisherigen Trommelerfahrungen, geprägt von gegenseitigem Vor- und Nachspielen sowie Ausprobier- und Experimentierphasen, stellte sich schnell heraus, dass das Drumset eine ganz besondere Faszination auf die Jungen ausübte. Sie wollten gerne Drumset lernen. Da wir keinerlei Instrumentarium zur Verfügung hatten, stellte dies zunächst eine spannende Herausforderung dar.

Die beschriebenen Rahmenbedingungen und der Wunsch der Jungen, Drumset zu erlernen, legten eine Herangehensweise nahe, die sich an den Prinzipien der Elementaren Musikpädagogik (EMP) orientiert. Besonders die im Folgenden benannten Prinzipien erwiesen sich aufgrund des gegebenen Bedingungsfeldes für meine Arbeit mit den Jugendlichen als relevant (vgl. dazu: Dartsch, Michael: Elementare Musikpädagogik im anthropologischen Bedingungsfeld. In: Ribke, Juliane; Dartsch, Michael (Hrsg.): Facetten Elementarer Musikpädagogik. Erfahrungen · Verbindungen · Hintergründe. Regensburg: ConBrio, 2002, S. 311–327).

Die EMP verbindet musikalische Ziele mit persönlichkeitsbildenden Zielen. Sie ist nicht fixiert auf die ausschließliche Arbeit an einem Instrument, sondern arbeitet intermedial (verbindet also verschiedene Ausdrucksmedien wie Stimme, Bewegung, Instrument) und körperorientiert. Sie versucht, in einer Atmosphäre gegenseitiger Akzeptanz, spielerisch ihre Ziele zu vermitteln und dabei Raum für Kreativität und Experiment zu lassen.

Aufgrund der äußeren Gegebenheiten waren wir gewissermaßen gezwungen, kreativ, intermedial und körperorientiert zu arbeiten. Außerdem ermöglichte mir die Orientierung an den Arbeitsprinzipien der EMP, den zum Teil unterschiedlichen Zielsetzungen gerecht zu werden: Hatten die Jungen den Wunsch, alleine ihre musikalischen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verbessern, so war es mir gleichermaßen ein Anliegen, neben ihrer musikalischen Entwicklung auch eine persönliche Entwicklung anzustoßen.

Demzufolge begannen wir den Unterricht zunächst mit einer gemeinsamen Experimentierphase, in der es darum ging herauszufinden, was uns am besten als Instrumentarium dienen könnte. Wir entschieden uns für eine Kombination aus Bodypercussion und Stimme. Mit der Zeit ergänzten wir noch das ein oder andere Tomtom oder Crashbecken in der Luft. Schläge in die Luft auf ein imaginäres Tomtom oder Crashbecken begleiteten wir mit entsprechenden Stimmlauten. Dabei war für mich die Selbstverständlichkeit, mit der diese Jugendlichen mit Körper und Stimme agierten, sehr beeindruckend. Geht doch bei gleichaltrigen deutschen Jungen eine gewisse Natürlichkeit im (spontanen) Umgang mit Körper und Stimme ab einem gewissen Alter häufig verloren und muss erst wieder mit sehr viel Fingerspitzengefühl geweckt werden. Wir begannen also mit Hilfe von Bodypercussion und Stimme, einige Drumset-Grooves zu erarbeiten. Die Jungen waren hoch motiviert, einige besaßen aber zunächst auch eine äußerst niedrige Frustrationsgrenze. Sie neigten dazu, Aufgaben, die sie nicht direkt umsetzen konnten, sofort abzubrechen. Am meisten Freude hatten die Jungen an Lerninhalten, die ich in spielerischer Form vermittelte. Immer wieder verlangten sie nach neuen Spielformen.
Auch an dieser Stelle war ich im Vergleich zu dem mir bekannten Verhalten vieler jugendlicher Jungen in Deutschland erstaunt über ihre Lust am und ihr Bedürfnis nach Spiel. Im Spiel war es ihnen möglich, ganz in die Musik einzutauchen, frei von Druck und Erwartungshaltung zu agieren – und sicherlich auch, für einen Moment ihre persönliche Situation zu vergessen. Das im Spiel Gelernte hatten die Jugendlichen schließlich am Ende unserer ersten Stunde als persönlichen Erfolg erlebt.

Aufgrund der Rahmenbedingungen war unklar, ob es möglich sein würde, in dieser Form noch einmal mit den gleichen Jungen zu arbeiten. So war für mich diese Phase zunächst abgeschlossen. Umso mehr war ich erfreut, als die Jugendlichen das nächste Mal, als ich sie sah, auf mich zugerannt kamen und mir alle unsere Grooves und Patterns perfekt vorspielten. Sie hatten geübt, ohne von mir in irgendeiner Weise aufgefordert worden zu sein – und das ganz ohne Instrument oder mit selbst gebauten Instrumenten. Für die Jungen schien es ganz normal zu sein, mit diesen Mitteln und unter diesen Bedingungen zu üben. Häufig schränken deutsche Jugendliche ihr Vorankommen an dieser Stelle durch ihre von Konsum geprägten Bedürfnisse und ihre Erwartungshaltung selber ein.

Unsere zweite Stunde, in der wir weitere Grooves und Hi-Hat-Figuren erarbeiteten, sollte für dieses Jahr tatsächlich die letzte sein. Erst über ein Jahr später begegnete ich den Jugendlichen wieder. Sie erkannten mich sofort und spielten mir unaufgefordert sämtliche Rhythmen, die wir gemeinsam erarbeitet hatten, vor. Aber nicht nur das, einige hatten sich auch noch weiterentwickelt und einer spielt inzwischen sogar in einer Band. Natürlich folgten noch weitere gemeinsame Unterrichtsstunden, erweitert durch zwei Gitarristen, einige Sänger und ein paar Trommelstöcke!

Sowohl für die Jugendlichen als auch für mich war das gemeinsame Arbeiten eine persönliche Bereicherung. Besonders beeindruckt haben mich ihr starker Wissensdurst, ihre Kreativität und Experimentierfreude, ihr spontaner Umgang mit Körper, Stimme und Bewegung und nicht zuletzt ihre Freude am Lernen. Bemerkenswert war für mich ebenfalls die schnelle musikalische Entwicklung der afrikanischen Jugendlichen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich für mich die Frage, warum bei vielen Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft, die unter wesentlich besseren Lernvoraussetzungen und Bedingungen lernen, häufig eine vergleichbare Lernbereitschaft und ein entsprechend großer Lernerfolg ausbleiben. Des Weiteren liegt die Frage nahe, ob Eltern und Pädagogen nicht mehr Verantwortung dafür übernehmen sollten, dass Kindern und Jugendlichen im Laufe des Erwachsenwerdens der Zugang zu Körper und Stimme sowie die Freude am Spiel und an Bewegung erhalten bleiben. Dafür benötigen Kinder und Jugendliche Pädagogen, die Raum geben für Kreativität und Spiel, und erwachsene Modelle, die vorleben, dass Erwachsensein nicht zwangsläufig mit dem Verlust von Phantasie und schöpferischer Tätigkeit einhergeht.

Das würde sicherlich nicht nur der Entwicklung unserer Kinder dienen, sondern auch für die Lebensqualität der Erwachsenen in unserer Gesellschaft eine Bereicherung darstellen.

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