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„Alles Vergängliche…“: Mahlers Achte in der Berliner Philharmonie. Foto: Matthias Heyde
„Alles Vergängliche…“: Mahlers Achte in der Berliner Philharmonie. Foto: Matthias Heyde
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„Eine richtig krasse Erfahrung“

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Mahler-Projekt zum 25. Geburtstag von Chor und Orchester der Berliner Humboldt-Universität
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Die 1809 gegründete Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität war 1949 nach den Brüdern Wilhelm und Alexander von Humboldt umbenannt worden. Die Ehrung eines Preußenkönigs wurde durch die Ideen von Humanität und Völkerverständigung ersetzt. In diesem Jahr beging die Humboldt-Universität, die zu Recht stolz ist auf ihre Namenspatrone, den 250. Geburtstag des jün­geren der beiden, des Naturforschers Alexander von Humboldt. Die Musikensembles der Universität beteiligten sich gern an den Feierlichkeiten, zumal sie diese mit einem eigenen Jubiläum verbinden konnten: Humboldts Philharmonischer Chor und Humboldts Studentische Philharmonie wurden vor 25 Jahren gegründet.

Damals befand sich die Humboldt-Universität nach der Wende noch im Umbruch. Die Schulmusik-Ausbildung, die bis dahin den Kern der universitären Musikpraxis gebildet hatte, wurde an die Universität der Künste verlagert. Zudem wurde 1993 die Stelle des Universitätsmusikdirektors neu besetzt. Dabei fiel die Wahl nicht auf die Leiter der bisherigen Ensembles, der Cappella Academica und des Chors der Humboldt-Universität, sondern auf den 1963 in Rendsburg geborenen Konstantin Alex. Als Kapellmeister an der Oper Frankfurt/Main, als Repetitor bei den Salzburger Festspielen und als Studienleiter bei den Opernkursen der Jeunesses Musicales in Weikersheim hatte er bereits reiche Erfahrung im Umgang mit Solisten, Chören und Orchestern sammeln können.

Um an der Berliner Humboldt-Universität auch Oratorien und konzertante Opern aufführen zu können, gründete Konstantin Alex 1994 den Philharmonischen Chor und die Studentische Philharmonie. Schon im Juni fand mit 60 Sänger/-innen und einem 30-köpfigen Kammerorchester ein erstes gemeinsames Konzert statt. Da beide Ensembles schnell wuchsen, reichte der bisherige Fritz-Reuter-Saal nicht mehr aus. So wurde die Turnhalle zum neuen Probenraum umgebaut und nach Hugo Distler benannt – dieser hatte 1942 nur wenige Meter entfernt in seiner Dienstwohnung in der ehemaligen Bauhofstraße seinem Leben ein Ende gesetzt. Um auch reine Chor- und Orchesterkonzerte zu ermöglichen, rief Alex 2003 zusätzlich zur Studentischen Philharmonie als jüngstes Musikensemble das Symphonische Orchester der Humboldt-Universität ins Leben. Auch mit diesem Ensemble probiert er wöchentlich sowie bei zwei Wochenenden außerhalb von Berlin. Außerdem gibt es Registerproben mit Dozenten aus Rundfunk-Sinfonieorchester und Staatskapelle. Konzertreisen finden oft im Austausch mit anderen internationalen Universitäten statt.

Das Jubiläumsprogramm

In seinen Konzertprogrammen beschränkt sich Konstantin Alex nicht auf die gängigen Werke, sondern lässt sich durch die Internationalität der Berliner Studentenschaft anregen. Für die diesjährigen Jubiläumskonzerte suchte man ein Stück, welches Chor und Orchester gleichermaßen fordert. Die Wahl fiel auf die Achte Symphonie von Gustav Mahler, zumal sie technisch nicht so schwer ist wie andere Mahler-Symphonien. Auch die Universität stimmte zu, sah sie doch im universalen Anspruch Bezüge zwischen den von Mahler vertonten Goethe-Texten und den legendären Kosmos-Vorlesungen Alexander von Humboldts. Da sich auch die Studenten für Mahler begeisterten, konnte Alex das Wagnis eingehen. Die allgemeine Zustimmung zu diesem überwältigenden Werk und der Enthusiasmus des Universitätsmusikdirektors sorgten für einen großen Energieschub. So kam trotz der universitätsüblichen Fluktuation in allen Ensembles die Riesenbesetzung zustande. Eine positive Rolle spielte auch die Zusatzfinanzierung durch das Humboldt-Jubiläum. Denn schon früh­er hatte die Finanzierung durch die Universität bei weitem nicht ausge­reicht, um die Kosten für Noten, Solisten, Mieten, Instrumente und zusätzliche Personalstellen aufzubringen. Trotz der Gründung eines Fördervereins bildet weiterhin der Kartenverkauf die wichtigste Stütze des universitären Musiklebens.

Mahlers „Symphonie der Tausend“ erfordert acht Gesangssolisten, zwei große gemischte Chören, einen Knabenchor und ein Orchester mit meist vierfach besetzten Bläsern, dazu Orgel, Harmonium, Celesta und Klavier. Dies konnte nur durch die Bündelung aller verfügbaren Kräfte ermöglicht werden. Zu den beiden Chören und den zwei Orchestern der Universität traten der Rundfunk-Kinderchor Berlin und der Kinderchor „Georg Friedrich Händel“. Mit den vereinten Ensembles der Humboldt-Universität hatte Constantin Alex schon früher für die Neunte Symphonie von Beethoven und das Verdi-Requiem mehr als 400 Musiker und Musikerinnen zusammengebracht. Dennoch bedeutete die Aufführung dieser Mahler-Symphonie mit mehr als 600 Mitwirkenden für alle eine zusätzliche Her­ausforderung. Eine junge Hornistin meinte beim Blick in die Noten: „Für neuere Mitglieder ohne viel Orches­terpraxis ist es bestimmt eine richtig krasse Erfahrung.“

Von den Proben zum Konzert

Bei der Hauptprobe war die Kreuzberger Emmaus-Kirche durch die vier Universitäts-Ensembles schon fast überfüllt, obwohl die Kinderchöre noch fehlten. Man merkte aber, wie alle konzentriert bei der Sache waren. Ohne Disziplin wäre eine Probe mit so vielen Beteiligten auch nicht sinnvoll möglich. Konstantin Alex appellierte an den Chor vorauszudenken. Nach dem Anfang brach er gleich ab und forderte von den Sängern und Sängerinnen, im „Veni, creator spiritus“ das „Veni“ freudig herauszuschleudern. „Nicht lauter singen, aber präsenter!“ Und das Orchester ermunterte der Dirigent, trotz der großen Besetzung Kammermusik zu machen und aufeinander zu hören.

Nach weiteren Proben, bei denen dann auch die Kinderchöre und die Gesangssolisten mitwirkten, konnten schließlich die beiden Mahler-Konzerte in der Philharmonie sowie im Konzerthaus stattfinden. Beide Abende waren ausverkauft. Im Konzerthaus am Gendarmenmarkt passten die großen Chöre nicht auf das Podium und den Chorbalkon, sondern mussten auf mehrere Emporen verteilt werden. Mit Ausnahme der Kinderchöre, deren weinrote Blusen gut zum Gestühl passten, waren alle Mitwirkenden schwarz gekleidet. Schon ihr Auftreten, das mehrere Minuten dauerte, wurde von starkem Beifall begleitet. Prachtvoll wirkte der Beginn der Symphonie mit dem Ruf „Veni, creator spiritus“. Als weicher Kontrast folgte in schönem Piano das „Infirma nostri corporis“. Bei der wichtigen Textzeile „Accende lumen sensibus“ („Entzünde das Licht unsrer Sinne“), welche schon auf den zweiten Teil der Symphonie verwies, zahlte sich aus, dass der Dirigent die Sänger aufgefordert hatte, hier die Konsonanten „total“ zu übertreiben. Auch an anderen Stellen beeindruckten die Choristen, welche während des ganzen Werkes stehenblieben, durch Textverständlichkeit und Präsenz. Beim Orchester mochte man kaum glauben, dass seine Mitglieder keine Musikstudenten waren, sondern musikalische Laien von unterschiedlichem spieltechnischem Niveau. Nur ganz selten waren in den Hörnern kleine Unschärfen zu bemerken. Auch der heikle Anfang des zweiten Teils, bei dem vor allem die Holzbläser im Einsatz waren, gelang höchst respektabel.

Den Höhepunkt von Werk und Aufführung bedeutete dann am Schluss der Chorus Mysticus mit den sehr langsam und nachdrücklich gesungenen Goethe-Worten „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“, die eine dynamische Steigerung bis zum gewaltigen Tutti aller Mitwirkenden auslösten. Dieses Konzert stellte eine großartige Leistung aller Beteiligten dar, nicht zuletzt des Dirigenten Konstantin Alex, dessen Beitrag zum Musikleben der Berliner Humboldt-Universität jede weitere Unterstützung verdient.

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