Heute ist Montag, 17. Dezember 2001. So gegen neun Uhr mache ich mich wie jeden Tag auf zur Werkstatt meines Freundes und Lehrers Angelo Farinati. Der halbstündige Weg vom Stadtteil Dorsoduro zum Stadtteil Cannaregio ist jedesmal aufs Neue eine Wohltat für Augen und Seele und die Arbeit mit Glas und Blei eine wohltuende Ergänzung zu meinem Violoncellospiel. Es ist jetzt schon mehr als ein Jahr vergangen, seitdem ich meine Tätigkeit als Leiter der Städtischen Musikschule Lahr beendet habe. Mit mehr als 35 Jahren habe ich wohl den größten Teil meines Lebens dieser Musikschule und den damit in Zusammenhang stehenden Aufgaben gewidmet. Habe ich alles und alle vergessen? Die Nacht träumte mir, ein großes Segelschiff sei an den Zattere angelandet, vollbesetzt mit allen meinen ehemaligen Schülern, die, wie seltsam, gar nicht älter geworden waren. Vorne vom Bug grüßte die kleine Sophie, aber auch alle anderen winkten lachend zu mir herüber. Hilmar und Frank-Michael, Tabea und Albrecht, Jörg und Philipp, Lisa und Bella, Veit-Peter und Gregor, Dorothea und Bernhard und wie sie sonst noch alle heißen. Es war so, als fragten sie nach mir. Ob sie wissen wollten, wo ich bin, weshalb ich nun die meiste Zeit in Venedig verbringe? Ob sie mich fragen wollten, wie wir das damals gemacht haben in der Musikschule einer kleinen und unbedeutenden Stadt an den Hängen des Schwarzwaldes? Die vielen Streichquartette, die Orchester, die Vortragsstunden und Konzerte, die begeisterten Kinder und Jugendlichen, die erstaunten Eltern und die ungläubigen Fachleute. Die Erfolge bei “Jugend musiziert“ und die erstaunlichen musikalischen Berufslaufbahnen der Ehemaligen.
Heute ist Montag, 17. Dezember 2001. So gegen neun Uhr mache ich mich wie jeden Tag auf zur Werkstatt meines Freundes und Lehrers Angelo Farinati. Der halbstündige Weg vom Stadtteil Dorsoduro zum Stadtteil Cannaregio ist jedesmal aufs Neue eine Wohltat für Augen und Seele und die Arbeit mit Glas und Blei eine wohltuende Ergänzung zu meinem Violoncellospiel. Es ist jetzt schon mehr als ein Jahr vergangen, seitdem ich meine Tätigkeit als Leiter der Städtischen Musikschule Lahr beendet habe. Mit mehr als 35 Jahren habe ich wohl den größten Teil meines Lebens dieser Musikschule und den damit in Zusammenhang stehenden Aufgaben gewidmet. Habe ich alles und alle vergessen? Die Nacht träumte mir, ein großes Segelschiff sei an den Zattere angelandet, vollbesetzt mit allen meinen ehemaligen Schülern, die, wie seltsam, gar nicht älter geworden waren. Vorne vom Bug grüßte die kleine Sophie, aber auch alle anderen winkten lachend zu mir herüber. Hilmar und Frank-Michael, Tabea und Albrecht, Jörg und Philipp, Lisa und Bella, Veit-Peter und Gregor, Dorothea und Bernhard und wie sie sonst noch alle heißen. Es war so, als fragten sie nach mir. Ob sie wissen wollten, wo ich bin, weshalb ich nun die meiste Zeit in Venedig verbringe? Ob sie mich fragen wollten, wie wir das damals gemacht haben in der Musikschule einer kleinen und unbedeutenden Stadt an den Hängen des Schwarzwaldes? Die vielen Streichquartette, die Orchester, die Vortragsstunden und Konzerte, die begeisterten Kinder und Jugendlichen, die erstaunten Eltern und die ungläubigen Fachleute. Die Erfolge bei “Jugend musiziert“ und die erstaunlichen musikalischen Berufslaufbahnen der Ehemaligen. Warum habe ich vor der Zeit aufgehört, um nach Italien, nach Venedig zu gehen? Irgendwann muss ich dieser Frage nachgehen und sie auch mir selbst beantworten, Rechenschaft ablegen über Geleistetes, Nichtgeleistetes, über Geglücktes und Missglücktes, über Freuden und Leiden: Die Geständnisse eines ehemaligen Musikschulleiters.Inzwischen habe ich die Scalzibrücke erreicht, eine der drei Brücken, welche die beiden Ufer des Canale Grande verbinden. Hier herrscht so manches Mal reger Betrieb, vor allem zu dieser Stunde, wenn die aus Mestre anreisenden Arbeiter und Angestellten zusammen mit den Besucherströmen den nahe gelegenen Bahnhof verlassen, um ihre Arbeitsplätze oder die Touristenzentren aufzusuchen. Es ist ja so eine Sache mit den Touristen in Venedig: Sie strömen zu Tausenden in diese Stadt, die von ihrer flächenmäßigen Ausdehnung her kleiner ist als mein Lahr im Schwarzwald, um auf wenigen, immer gleichen Pfaden zum Rialto, zur Piazza und San Marco und schließlich auf gleichem Weg oder auf dem Vaporetto, den Canale Grande entlang, zurück zum Bahnhof oder zum Bus auf der Piazzale Roma zu gelangen. Viele leere Plastikflaschen auf den malerischen Rii zeugen so manchen Tags von besonders zahlreichen Besuchern, die ihre Handschrift in dieser Stadt hinterlassen haben.
Heute ist kaum Betrieb, denn es ist nicht die Stunde der Touristen. So gelange ich schnell zur Werkstatt, wo wir gerade zwölf Fenster aus „Rulli“ (Butzenscheiben) und „Ottagoni“ für die Kirche San Luca, unweit des Rialto gelegen, herstellen, um sie am 24. Dezember, also noch vor Weihnachten, einbauen zu können. Heute ist ja ein ganz besonderer Tag: Der Tag, an dem die ersten Münzen des Euro, unserer neuen europäischen Währung, in kleinen Kits der Bevölkerung ausgehändigt werden sollen. Ein schöner Tag für jemanden, der viele Jahre für den „Mouvement Européen“ und die Europäische Einigung gearbeitet hat, für einen Musikschulleiter des Jahrgangs 1937, dessen Vater im Jahre 1918 als 18-jähriger Grieche aus Istanbul (Byzanz) nach Berlin kam, um dort Deutsch und Medizin zu studieren. Ein schöner Tag für jemanden, der sich in der Welt der Musik zu Hause fühlt und dessen Schüler auf internationalen Bühnen tätig sind. Die italienischen Münzen kenne ich schon. Vergangenen Samstag, also zwei Tage vor dem offiziellen Termin, klimperte plötzlich Berto, einer der Freunde, die uns aus der Werkstatt zur täglichen „Ombra“ in eine der benachbarten Bars entführen, im „Anice Stellato“ mit kleinen Münzen herum, die sich schnell als italienische Euro und Centesimi herausstellten. Auf meine aufgeregte Frage, wo er die denn herhätte, teilte mir Berto seelenruhig mit, er habe sie ganz einfach bei der Post abgeholt, und wenn ich wollte, würde er gerne noch ein Päckchen holen und mir in die Werkstatt bringen, da ich doch zu arbeiten hätte. Später schaute ich mir die neuen Münzen der italienischen Fassung genauer an: Ein Porträt von Dante, der „Vetruvische Mann“ von Leonardo da Vinci, ein Porträt des Marc Aurel, die „Venus“ von Botticelli, ein Abbild der Skulptur „Urformen der Bewegung im Raum“ von Boccioni, das Kolosseum von Rom, das „Castel del Monte“, die „Mole“ von Turin. Alle Motive im Rahmen einer Fernsehbefragung von der italienischen Bevölkerung ausgewählt! Hallo, ihr Schüler, wo seid ihr? Was hätten wir wohl gewählt? Sprechen wir das nächste Mal darüber!