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Niederschwellige Technologie mit pädagogischem Potenzial. Foto: Julia Mihály
Niederschwellige Technologie mit pädagogischem Potenzial. Foto: Julia Mihály
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Himbeerkuchen-Computer und Butterbrotdosen-Controller

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Von der pädagogischen Idee zum künstlerischen Projekt mit dem „Raspberry Pi“
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Immer mehr Künstler nutzen das kreative Potenzial aktueller Technologien, um Publikum interaktiv an ihren Projekten partizipieren zu lassen. Dabei greifen sie oftmals auf Soft- und Hardware zurück, die ursprünglich aus einem pädagogischen Ansatz heraus entwickelt wurde.

So wurde 2006 an der Universität Cambridge der Prototyp für einen kreditkartengroßen Einplatinencomputer entwickelt, der 2012 unter dem Namen Raspberry Pi auf den Markt kam. Schüler/-innen und Studienanfänger/-innen sollten mit dem Raspberry Pi als preisgünstige Alternative zu teuren PCs einen Lerncomputer an die Hand bekommen, an dem der Einstieg in die Computer-Programmierung ausprobiert werden kann.

Das vielseitige Potenzial des verhältnismäßig leistungsstarken und stabil laufenden Mini-Computers entdeckten im Laufe der letzten Jahre auch immer mehr Komponist/-innen und Klangkünstler/-innen. Der Raspberry Pi lässt sich aufgrund seines kompakten Formates visuell unauffällig in Klanginstallationen einbauen und kann auf der Bühne auch ohne Bildschirm eingesetzt werden. In Kombination mit Sensoren und Controllern können auf diese Weise auch niedrig budgetierte Projekte um interaktive Elemente erweitert werden.

Vom Lerncomputer zur interaktiven Klanginstallation

Der in Berlin lebende Klangkünstler Iain McCurdy gestaltet interaktive Installationen, in denen er sein Publikum zur aktiven Partizipation an Klangtransformationen einlädt. Seine Installation „Trace Diamorph“, die aus mehreren, mit einem Raspberry Pi verbundenen tibetanischen Klangschalen besteht, beginnt erst dann zu klingen, wenn Zuhörer die Klangschalen berühren. Abhängig von der Art, wie sie gespielt werden, produziert der Computer spektrale Klangerweiterungen, die sich additiv zum Eigenklang der Schalen hinzufügen. Der Raspberry Pi bleibt optisch verborgen, so dass die Installation zunächst nicht offensichtlich als computergesteuert wahrgenommen wird. Die Einbindung von Live-Elektronik im Konzert ist ebenfalls mit ästhetischen Entscheidungen über die Visualität von technischen Geräten verbunden. So verwendet der in Wien an der Universität für Musik und darstellende Kunst lehrende Saxophonist und Audio-Programmierer Alex Hofmann den Raspberry Pi beispielsweise verpackt in einer kleinen Dose, die er unauffällig neben sich auf der Bühne platziert. Das Publikum erlebt eine Live-Performance mit computergenerierten Modulationen des Saxophonklanges, ohne dass ein Laptop oder ein Bildschirm neben ihm zu sehen ist.

Auch wenn der Raspberry Pi von seiner Rechenleistung her nicht mit Notebooks oder PCs mithalten kann, erfüllt er gängige Anforderungen interaktiv reagierender Installationen. Berührungsempfindliche Klang-Objekte, bewegungsgesteuerte Tonhöhen-Veränderungen in Echtzeit, oder an individuelles Nutzerverhalten angepasste Abspiel-Reihenfolgen von vorproduziertem Klangmaterial können auf dem Raspberry Pi programmiert werden.

Audio-Programmierung und Vermittlung

Zur Klangproduktion auf dem Rasp­berry Pi kann zum Beispiel in den Sprachen Python, Pure Data, Csound, SuperCollider und Sonic Pi programmiert werden. Bei Letzterer handelt es sich um eine Audio-Programmiersprache, die, ebenso wie der Raspberry Pi, ursprünglich zur Vermittlung von Programmierkenntnissen an Schulen konzipiert wurde. Um Sonic Pi verstehen zu lernen sind keinerlei Vorkenntnisse aus der Audio-Programmierung nötig. Dies erleichtert auch Lehrenden die Einarbeitung in die Thematik.

Sonic Pi ist eine kostenlose Programmierumgebung mit leicht verständlicher Syntax und überschaubarem Vokabular, die einen einfachen Einstieg in die Audio-Programmierung bietet. Je schneller erste hörbare Ergebnisse erreicht werden, des­to attraktiver wird eine Sprache besonders für Programmier-Anfänger – ein Aspekt, der im Bereich der Musikvermittlung eine wichtige Rolle spielt. Das Klischee vom Programmieren als ultrakomplexem Mysterium für spezialisierte Freaks wird mit der Lernsoftware Sonic Pi hinfällig. Mit Sonic Pi können selbstkomponierte Sinuston-Melodien abgespielt und durch Klangfarben-Experimente erweitert werden, oder eigene Synthesizer und Effektgeräte programmiert werden.

Sonic Pi entstand ebenfalls in Cambridge als Forschungsprojekt eines Teams um den Wissenschaftler Sam Aaron und Informatik-Lehrer allgemeinbildender Schulen aus Großbritannien. Ziel war es, altersgerechte Vermittlungskonzepte für den Informatikunterricht zu entwickeln. Dass die Sprache übersichtlich und simpel strukturiert ist, nutzen auch Künstler der Live-Coding-Szene. Live-Coding ist sozusagen das Audio-Programmierer-Pendant zum improvisierenden Musiker. Sie treten als solistische Elektronik-Musiker oder im kammermusikalischen Kollektiv auf und schreiben auf der Bühne Codes, mit denen in Echtzeit Klang generiert wird. Dabei können sie musikalisch auf einander eingehen und miteinander interagieren. Um allerdings schnellstmöglich aufeinander reagieren zu können, bedarf es einer Sprache, die ohne viel Nachzudenken mit wenig Text umsetzbar ist. Sonic Pi bietet sich daher auch jenseits von Vermittlungsprojekten für künstlerische Zwecke hervorragend an. Auch Sam Aaron ist als Live-Coding–Künstler mit Sonic Pi aktiv.

Elektronische Musik im Kindergarten

Wer jenseits der Audio-Programmierung Musik mit elektronischen Klängen machen möchte, kann mit dem Makey Makey Kit verschiedenste Gegenstände zu Musikinstrumenten umfunktionieren. Das Prinzip ist simpel: Mit Krokodilklemmen wird ein Gegenstand mit dem Makey Makey verbunden, das wiederum mit einem USB-Kabel an einen Computer angeschlossen ist.

Das Makey Makey basiert auf einer Arduino-Platine, auf deren Vorder- und Rückseite sich achtzehn Anschlüsse befinden, die zur Steuerung von einzelnen Tasten des Computers sowie für Mausbewegungen genutzt werden können. Statt mit einer Tastatur kann der Computer mit Früchten oder Gemüse, wie Trauben oder Möhren, oder mit einer Zitrone als Computermaus gesteuert werden. In Verbindung mit Musiksoftware können mit Bleistift oder leitfähiger Farbe gemalte Bilder zum Klingen gebracht werden. Bastelt man aus Blumen eine Klaviatur zum Steuern eines Software-Synthesizers, können einzelne Tonhöhen durch Berühren der Blüten gespielt werden. Software-Synthesizer, die eigens für die Verwendung von Makey Makey entwickelt wurden, gibt es kostenlos im Internet. Darüber hinaus kann man damit unter anderem auch eigene Sonic Pi-Projekte auf dem Raspberry Pi steuern.

Die einfache Anwendbarkeit macht das Makey Makey besonders für den Einsatz im Kindergarten, Vor- und Grundschulbereich attraktiv. Eine Institution, die den Einsatz von Technologie und Neuen Medien von der Kindergarten-Sektion bis zur Oberstufe fächerübergreifend im Lehrplan verankert hat, ist die Deutsche Europäische Schule in Singapur (GESS). Der Komponist Felix Leuschner untersucht dort zurzeit mit Kindern der Vorschule praktische Anwendungsmöglichkeiten des Makey Makey in dieser Altersgruppe.
In Verbindung mit der Fragestellung, wie Technologie Einfluss auf unterschiedliche Bereiche des Lebens nimmt, werden am Beispiel des Makey Makey Möglichkeiten digitaler Klangerzeugung und -Steuerung mit klassischen Tasteninstrumenten verglichen. Die Kinder erstellen hierzu am Computer einen Sampler aus selbstaufgenommenen Geräuschen und bauen eine Klaviatur oder einen Controller nach eigenen Vorstellungen, um die Samples abzuspielen. Dafür experimentieren sie mit aus leitfähigen Materialien gebauten Fantasie-Konstruktionen. Bei der Anwendung des Makey Makey an der GESS rückt damit neben dem reflektierten Umgang mit Technologie auch das Konzept des Instrumenten-Designs in den Fokus des Unterrichts.

Dass sich Makey Makey & Co. für pädagogische und künstlerische Projekte gleichsam eignen, liegt über erschwingliche Preise hinaus vor allem daran, dass kreative Prozesse nicht durch technische Hindernisse ausgebremst werden. Eine überschaubare Handhabung, gute Online-Dokumentation, und eine vielseitige Einsetzbarkeit der Hard- und Software bilden die Grundlage dafür.

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