Vor drei Jahren, Ende Oktober 2016, wurde in Bochum das Anneliese Brost Musikforum Ruhr eröffnet. Architektonisch in mehrfacher Hinsicht ausgezeichnet ist die Trias von ehemaliger St.-Marien-Kirche als würdigem Foyer im Zentrum mit Öffnung zum großem Konzertsaal rechts und zum kleineren Multifunktionsaal links. Das Gebäudeensemble ist nicht nur Heimat der Bochumer Symphoniker, sondern auch der Musikschule Bochum: Die Mehrfachnutzung war Vorbedingung für die Genehmigung durch den Rat der Stadt.
Ungefähr zum Dreijährigen des Musikforums feierte das „Bochumer Modell – Musik und Inklusion“ am 9. und 10. November 2019 seinen Vierzigsten: 1979 begann der Modellversuch „Instrumentalspiel mit Behinderten“, so auch der Titel der Veröffentlichung zum Modellversuch, 1991 herausgegeben vom Initiator des Modells – Werner Probst.
Werner Probst, Gründungsleiter der Musikschule Bochum in den 1960er-Jahren, war als Musikpsychologe und zutiefst demokratisch gesinnter Mensch von der grundlegenden Musikalität eines jeden Menschen überzeugt: „Jeder Mensch ist grundsätzlich in der Lage, Musik zu erleben und ist in diesem Sinne ‚musikalisch‘“. Die Tatsache, dass in den damaligen Jahrzehnten kaum Schülerinnen und Schüler von Sonderschulen ein Instrument erlernten, brachte Werner Probst in heiligen Zorn und dazu, über das Forschungsszenario Modellversuch nachzuweisen, dass Kinder an Sonderschulen natürlich auch erfolgreich die Musikschule besuchen können. Es gab zwei Vorläuferversuche, die wenig erfolgreich verliefen – aber Probst ließ sich nicht beirren. Neue Runde, neue Konzepte, neuer Versuch. Also genau die Haltung, die im Kontext Inklusion immer noch unabdingbar ist: Nicht wissen wie es geht, kann nicht heißen, es nicht zu machen. Risiko des Scheiterns aber auch des Gewinnens inbegriffen.
Vier Jahre Modellversuch von 1979 bis 1983 machten klar, wie es geht: Zunächst eine Präsentation verschiedener Instrumente mit der Möglichkeit des Ausprobierens und Experimentierens in der Förderschule – damals genannt Motivationsphase – mit anschließender Instrumentenwahl durch die Kinder, gefolgt von instrumentalem Kleingruppenunterricht während der Schulzeit und schließlich einer einmal wöchentlich stattfindenden Zusammenkunft aller Gruppen zu einem bunten Orchester. Wem das bekannt vorkommt: Ja, die Grundstruktur des Modellversuchs ist auch die des späteren Großprojektes Jedem Kind ein Instrument. Nächste Erkenntnisse: Die Kooperation von Schule und Musikschule ist unabdingbar. Und weiterhin: Lehrkräfte an Musikschulen sind mit ihrer musikalischen und pädagogischen Kompetenz genau richtig für das Unterrichten von Kindern mit Beeinträchtigungen – sie brauchen allerdings eine berufsbegleitende Fortbildung für diese Arbeit.
In der Folge gründete Probst den „Berufsbegleitenden Lehrgang Instrumentalspiel mit Menschen mit Behinderung an Musikschulen“, bis heute abgekürzt BLIMBAM. Der Lehrgang bildet seit mittlerweile mehr als 30 Jahren Lehrkräfte an Musikschulen für das Unterrichten von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigung und für die inklusive Ensemblearbeit aus. Die erste Nach-Probst-Generation, Claudia Schmidt und Robert Wagner, führt BLIMBAM erfolgreich weiter. (Übrigens: der nächste Lehrgang beginnt im Januar 2020.) Die zweite Nach-Probst-Generation tritt allmählich in bundesweite Fußstapfen: All diejenigen, die BLIMBAM durchlaufen haben, bringen das Thema Inklusion in ihre Musikschulen und damit neue Impulse ein.
Langsam, aber stetig wachsen nicht nur die sogenannten Fallzahlen, sondern es wächst auch die Qualität: Das Konzert von „just fun“ Anfang November in Bochum war ein Stück Bigband-Hochkultur, das auf jede Bühne dieser Republik gehört. Möglich werden solche Konzerte durch Personen, die das gesellschaftliche Thema der Inklusion ernst nehmen und musikalisch gestalten, Personen wie hier in Bochum Claudia Schmidt. Aber auch Claudia Schmidt kann nicht alles alleine machen – sie ist Teil eines Netzwerks, das in unterschiedlichen Aufgaben Inklusion gestaltet. Eine Musikschule braucht, daran gibt es keinen Zweifel, in Sachen Inklusion einen Repräsentanten oder eine Repräsentantin, braucht reale Menschen, die Fragen beantworten und Zweifel ausräumen, braucht auch ein wohlwollendes Kollegium, das in alltäglichen Fragen weiterhilft. Die Generation der Ansprechpartnerinnen: Auf die erste Abteilungsleiterin Karin Hedderich folgten Angelika Neuse (1989), Renate Müllemann (1993) und Marei Rascher (1997); derzeit ist Rainer Buschmann Inklusionsbeauftragter und damit auch die Kontaktperson für die Abteilung Bochumer Modell – Musik für Menschen mit Behinderungen.
Der 10. November 2019 war in Bochum drinnen wie draußen ein strahlender Herbst- und Sonntag: Das Jubiläumsfest brachte würdigende Reden und vor allem so viel gute Musik in allen Sälen. Das Wandelkonzert ermöglichte Spaziergänge durch die musikalische Welt der Inklusion: Die Musikschule Bochum ist bundesweit die Herzschule musikalisch-inklusiver Arbeit. Das werden alle anderen Musikschulen vielleicht etwas neidvoll, vielleicht aber auch einfach neidlos anerkennen.