Dass der Musikerziehung ein fester Platz in der Bildungspolitik zustehen muss, darüber ist man sich zumindest in musikalischen Fachkreisen seit langem einig. Bundespräsident Horst Köhler, der mit dieser nachdrücklichen Forderung unlängst den Musikschulkongress in Berlin eröffnete, sprach somit nicht nur seinem Auditorium aus der Seele, sondern richtete auch ein klares Signal an die Legislativen des Landes. „Wir müssen uns die musikalische Bildung etwas kosten lassen“, so seine Quintessenz.
Fällt der Blick hierbei auf die Vielzahl der sogenannten musikpädagogischen Großoffensiven, die – allen voran „Jedem Kind ein Instrument“ – in den letzten Jahren flächendeckend und großzügig finanziert wurden, liegt der Anlass zur Freude eigentlich nahe. Aber leider nur eigentlich. Denn der öffentliche Diskurs registrierte heftigen Gegenwind gegenüber den Projekten, weil man befürchtete, dass die Bildungsziele nur verschwommen umrissen sind oder sich die Konzeptstrukturen nicht ausreichend in die Alltagspraxis implementieren. Als obendrein wenig Konsens über die Qualitätsmerkmale der Lehrenden bestand, hatte die Skepsis vollends Fuß gefasst. Will heißen: So vielversprechend sie auch sind, JeKi, JEKISS, SMS und Co., bedürfen sie doch neben ihrer stetigen Evaluation auch einer überlegten Nachbesserung, wenn ihnen nicht der Ruf des reinen Aktionismus anhaften soll. Einen sinnvollen Ort, diese notwendige, weil förderliche Auseinandersetzung darüber immer wieder neu zu verankern, bilden die Musikhochschulen, denn ihnen obliegt eine der wichtigsten Aufgaben: Die Ausbildung kompetenter Lehrkräfte und Beobachter.
Ein individueller Kriterienkatalog
In diesem Sinne lud die Hochschule für Musik in Detmold am 11. Mai zu einem „Forum musikpädagogische Praxis“ ein. Unter der Fragestellung „Wie sinnvoll sind musikalische Großprojekte?“ sollte hier bewusst den Studierenden der Instrumental- und Gesangspädagogik sowie der Elementaren Musikpädagogik Gelegenheit zur Information über die neuen Arbeitsmöglichkeiten gegeben werden.
Gleichzeitig kam es Heike Arnold-Joppich, Professorin im Studiengang EMP und Initiatorin der Veranstaltung, aber auch darauf an, dass die jungen Lehrer in der Lage sind, diesbezüglich einen individuellen Kriterienkatalog zu entwickeln. Dieser sollte, so erklärte sie, als Synthese aus Hoffnung und Kritik gegenüber den Projekten aus dem „Wie sinnvoll sind …?“ ein „Wie sind sie sinnvoll?“ formulieren und auch beantworten.
Die Basis für dieses ambitionierte Ziel lieferte zunächst Katrin Gerhard als Fachberaterin von „Jedem Kind ein Instrument“ und leitete die rund sechs Stunden mit den grundlegenden Inhalten und Zahlen des Projektes ein. Ihrer Darstellung des Bochumer Modells stand dann das jüngst initiierte ostwestfälische Projekt „Singen macht Sinn“, kurz SMS, gegenüber, welches aus einer Kooperation zwischen der Detmolder Hochschule, der Universität Paderborn und der örtlichen Bezirksregierung erwachsen ist. „Jede zweite Grundschule in Ostwestfalen hat keinen Musikfachlehrer“, stellt Stefan Simon, Projektleiter von SMS, fest, dessen mehrgliedriges Modell neben der konkreten Singarbeit in ausgewählten Schulen der Region vor allem eine infrastrukturelle Verbesserung durch mehr musikkompetente Lehrende vorsieht.
In den Studienseminaren etwa könnten Lehramtsanwärter, die nicht das Unterrichtsfach Musik studiert haben, durch SMS das „Basismodul Stimme“ als Wahlfach belegen, um so Grundkompetenzen im Umgang mit ihrer eigenen Stimme und der Arbeit in der Primarstufe zu erwerben. Zusammen mit dem neuen Detmolder Masterstudiengang „Singen mit Kindern“ und einem analogen Modul an der Universität Paderborn hätte man schließlich auch die Nachhaltigkeit der Idee gewährleistet, so der allgemeine Tenor.
Nachhaltigkeit und Lehrerausbildung, sind dies Stichworte, die im Zusammenhang mit JeKi noch mit Fragezeichen zu versehen sind? Professor Hartwig Maag von der Musikhochschule Münster hält es dabei mit dem Dichter Clemens Brentano: „Selig, wer in Träumen stirbt“, lässt er die Forumsteilnehmer zu seinem Referat singen und leitet dabei in eine kritische Haltung über. „Wir sind auf jeden Fall um einhundert Prozent weiter als noch vor wenigen Jahren“, erkennt er zwar optimistisch an, JeKi würde jedoch erst dann sein volles Potenzial erfüllen können, wenn dessen Programmplanung weitere Aspekte bedenke. Im Klartext bedeute dies für ihn neben einer Verdopplung der bisher einjährigen Eingangsphase besonders die individuelle und flexible Heranführung an das Instrument sowie die Angebotsergänzung durch Zusatzaktionen in Form von Theaterbesuchen oder Gastspielen externer Musiker in Schulen. Die Evaluation der ersten JeKi-Jahrgänge in Bochum (Beckers & Beckers 2008) hätte, so Maag, besonders die hoch motivierende Wirkung des Unterrichts auf die Kinder bemerkt, woran es nun fruchtbar anzuknüpfen gelte. Denn damit sich das Projekt nicht nur bei der Chance auf erste musikalische Geh- und Orientierungsversuche beschränke, müsste auch an den Schulen der Sekundarstufe flächendeckende Musikförderung gewährleistet sein.
Skandalöse Bezahlung
Großes Staunen seitens der Studierenden provozierte der Münsteraner Professor, als er auf das Gehaltsspektrum der zukünftigen Musiklehrer zu sprechen kam. Ein Unding sei das, befand man einhellig angesichts der knappen Tarife, zumal die Grundschullehrer, mit denen der Tandemunterricht in den Klassen stattfinde, oftmals noch mit sicheren A-Besoldungen verbeamtet würden. „Die Hochschulen müssten viel fordernder auf die Politik zugehen und versuchen, Einfluss auf die Tarifregelung zu nehmen, um dieser Schieflage beizukommen“, erwartet eine Studentin. „Überall verlangt man eine praxisbezogene Ausbildung, lockt mit attraktiven Studienangeboten, aber kümmert sich nicht um die Gehälter.“
Und tatsächlich kam hier eine Komponente ins Gespräch, zu der auch die eingeladenen Referenten keine zufriedenstellende Lösung wussten. Sollten die großen Anstrengungen der Hochschulen, nach Bologna-Vorgaben möglichst zahlreiche und exzellente Absolventen hervorzubringen, letztlich völlig umsonst sein, wenn es bald an Studieninteressenten fehlt? Wer wolle angesichts der Aussicht auf schlechte Bezahlung noch ein teures Studium auf sich nehmen? „Auch TVöD 9 ist skandalös wenig, vor allem im Rahmen des erweiterten Musikunterrichts im Regelschulbetrieb“, sagt Katrin Gerhard über die Vergütung, die JeKi in die Programmstandards aufgenommen hat. Da das Projekt jedoch noch nicht ausfinanziert sei, könne man an dieser Schraube bislang nicht drehen. Ebenso trete man mit der Gewerkschaft ver.di nicht in Kontakt, da JeKi nicht als Arbeitgeber fungiert.
Kooperationen Musikschule – Schule
Auf der Suche nach weiteren Zutaten für den Kriterienkatalog konnten die anwesenden Leiter verschiedener Musikschulen aus dem Raum Ostwestfalen-Lippe Hilfreiches beisteuern. Sie hoffen nämlich, dass sich das JeKi-Modell bei seiner bevorstehenden Einführung in die Region harmonisch in die bereits bestehende Arbeit einfügt und sehen hierin eine der höchsten Notwendigkeiten. Es seien schon viele Kooperationen zwischen Musikschulen und allgemein bildenden Schulen gewachsen, die sich auch ertragreich etabliert haben. Daher sollte mit den vor Ort tätigen Lehrern eng zusammengearbeitet werden und Bewährtes nicht an Neuem zugrunde gehen. „Nicht so viel Schwarzsehen“, empfiehlt Stephan Otters, Regionalsprecher des VdM, also den Studierenden und zählt auf flexiblen und engagierten Nachwuchs. „Die JeKi-Ritter dürfen diese frische Gelegenheit nicht verpassen!“ Denn wenn jeder in seinem Verantwortungsbereich das Möglichste tue, könne es um die Basisarbeit gar nicht besser bestellt sein. Dem konnte auch Heike Arnold-Joppich beipflichten, der es mit ihren Studierenden der Elementaren Musikpädagogik vor allem auf eines ankommt: „Bei uns stehen die Kinder und die Förderung ihrer individuellen Entfaltung durch Musik im Mittelpunkt. Von dieser Warte aus ist es manchmal besser, einfach zu handeln als endlos zu grübeln, das Richtige zu tun.“ Eine solch insgesamt positiv gefärbte Bilanz war es auch, die am Ende der Veranstaltung stehen blieb, wenngleich die Studenten verschiedene Ansichten zu den Ergebnissen der Vorträge hatten. Wem die Thematik rund um JeKi und SMS schon bekannt war, wer beispielsweise die disputfreudigen Podiumsteilnehmer im Rahmen der Frankfurter Musikmesse miterlebt hatte, dem brachte der Tag in Detmold leider keine neuen Erkenntnisse. Besonders die jüngeren Semester erfuhren hier jedoch Details aus erster Hand, sodass auch Heike Arnold-Joppich ein Hauptanliegen ihrer Vorbereitungen erfüllt sah, selbst wenn ihr Kriterienkatalog länger hätte ausfallen dürfen. „Ich bin froh, wenn manch einer mit einem verschobenen Blickwinkel hier herausgeht“, erklärte sie abschließend und verwies auch auf die Pflicht, sich als Absolvent bewusst mit der eigenen beruflichen Zukunft auseinanderzusetzen. „Und selbst wer heute gemerkt hat, dass JeKi und Co. absolut nichts für ihn ist, ist doch einen Schritt weitergekommen.“