Am 14. November hebt sich am Theater Duisburg der erste Vorhang für „Flut“, eine Produktion, die im Rahmen des neuen Projekts „Opernmacher“ von Kindern und Jugendlichen geschrieben und komponiert wurde. Mit Anna-Mareike Vohn, der Leiterin der Jungen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg, sprach Juan Martin Koch.
neue musikzeitung: Wie ist die Junge Oper am Rhein personell aufgestellt und was bietet sie an?
Anna-Mareike Vohn: Im Team sind wir zu viert, wobei eine Kollegin hauptsächlich für den Kinderchor zuständig ist. Wir haben ein vielfältiges Programm, darunter den von Malte Arkona moderierten „Opernbaukasten“, der einen Blick hinter die Kulissen ermöglicht. Dabei wird jeweils ein besonderer Aspekt beleuchtet, der für eine Opernaufführung eine Rolle spielt. Relativ neu ist unser Angebot an Vorschulkinder: Da spielen wir zurzeit „Die Zauberflöte für Kinder“ als niederschwellige Produktion im Opernfoyer, während alle anderen Aufführungen für Kinder und Jugendliche jeweils im großen Haus unserer Spielstätten in Duisburg und Düsseldorf stattfinden. Außerdem zeigen wir Opern aus dem „normalen“ Repertoire in Vormittagsvorstellungen, zum Beispiel Barrie Koskys „Zauberflöten“-Inszenierung oder „Hänsel und Gretel“. Alle Schulklassenbesuche im Opernhaus oder im Theater, ob Kinder- oder Repertoireopern, werden durch das Team der Jungen Oper musiktheaterpädagogisch in Schulklassenworkshops betreut und vorstellungsbezogen vorbereitet.
nmz: Werden auch Auftragskompositionen vergeben?
Vohn: Ja, das ist eine Besonderheit, die wir in Form der Kooperation Junge Oper Rhein-Ruhr mit den Opern in Dortmund und Bonn haben. Wir vergeben gemeinsam Auftragskompositionen und bieten in jeder Spielzeit eine neue Familienoper auf der großen Opernbühne mit großem Orchester und Sängerensemble an. Diese Produktion wird dann vormittags und in Familienvorstellungen aufgeführt. Im Moment spielen wir „Gullivers Reise“, das in Dortmund uraufgeführt wurde. Die vorherigen Auftragsopern hatten alle bei uns Premiere: „Vom Mädchen, das nicht schlafen wollte“, „Die Schneekönigin“ und „Ronja Räubertochter“.
nmz: Wie ist der Kinderchor eingebunden?
Vohn: Neben den Produktionen, die wir für Kinder und Jugendliche zeigen, haben wir einen großen Block an Projekten, die in allen Formen und Formaten zum Mitmachen einladen. Letztes Jahr haben wir zum Beispiel die Oper „Lost in the Forest“, eine zeitgenössische Version von „Hänsel und Gretel“, mit 140 Mitwirkenden von 6 bis 20 Jahren auf die Bühne gebracht. Da war der Kinderchor natürlich aktiv, ebenso beim Format „Sing together“, an dem sich viele Schul- und Jugendchöre beteiligen.
nmz: Die kommende Produktion „Flut“ hat nun einen ganz eigenen Entstehungsprozess, oder?
Vohn: Ja, bei „Lost in the Forest“ war es umgekehrt: Die Profis waren im Hintergrund verantwortlich, die Kinder aktiv auf der Bühne. Beim Projekt „Die „Opernmacher“ – das war der Arbeitstitel, bevor klar war, dass die Oper „Flut“ heißen würde – ist das Prinzip so, dass die jungen Menschen unter professioneller Anleitung für Libretto, Musik und die szenische Konzeption zuständig sind. Aufgeführt wird das Stück dann von Profis: vom notabu Ensemble und Solisten des Opernstudios sowie Mitgliedern unseres Kinderchors.
nmz: Wer macht mit und wie begann der Arbeitsprozess?
Vohn: Auf unsere Ausschreibung im Dezember hin haben sich etwa 20 Interessierte gemeldet, denen wir dann bei einem „Kick-Off“ erst einmal erzählt haben, worum es bei diesem Projekt gehen sollte. Wir haben es ja mit einer Zielgruppe zu tun, die zum Teil gar nicht so genau weiß, was bei einer Oper auf sie zukommt: Was heißt es, ein Libretto zu schreiben? Wie komponiert man? Dann haben wir ihnen eine Art Farbkasten an die Hand gegeben, aus dem sie sich bedienen konnten.
nmz: Wie sah der musikalisch aus?
Vohn: Zusammen mit dem Leiter der Kompositionsgruppe David Graham haben wir überlegt, welche Instrumente zum Einsatz kommen könnten. Wir wollten eher ein Opern-untypisches Instrumentarium, um durch eine große Vielfalt an Klangfarben Gegensätze gut darstellen zu können. Wir haben dann zwei Sänger unseres Opernensembles eingeladen, um den jungen Autoren mit einem Querschnitt durch die Epochen vorzuführen, was es für stimmliche Möglichkeiten gab und gibt: von Händel über Berg bis zum Musical. Wir wollten sie auch anregen, Fragen dazu zu stellen, was man mit der Stimme noch alles machen kann, um auch die Möglichkeit zu bieten, in eine experimentelle Richtung zu gehen.
nmz: Zunächst musste dann ja die Librettogruppe beginnen. Wie kam es zum Thema der Oper?
Vohn: Das war eine Grundidee von Sascha Pranschke. Wir haben die Gruppe angeregt, sich vorzustellen, was passieren würde, wenn der Pegel von Rhein und Ruhr stark ansteigen und die Region unter Wasser stehen würde. Daraus haben sich dann viele Gedanken, Ideen und Geschichten entwickelt. Das mussten wir nur insofern lenken, dass die Möglichkeiten der Bühne, der Ensemblestärke et cetera berücksichtigt werden mussten.
nmz: Ein ziemlich düsteres Szenario, oder? Wie haben die Kinder reagiert?
Vohn: Sie haben das gar nicht als so düster empfunden, aber sie haben es sehr ernst genommen, und es hat ihre Fantasie sehr stark angeregt. Sie haben darüber nachgedacht, was sie tun würden, wenn es zu einer solchen Situation kommen würde, und daraus haben sich sehr ernste Gespräche und sehr viele Geschichten entwickelt.
nmz: Eher episodenhaft oder linear?
Vohn: Unter der Anleitung von Sascha Pranschke ist eine klare Handlung entstanden. Da gibt es zum Beispiel einen Kapitän, der über ein Schiff verfügt und die Möglichkeit hat, Menschen dort aufzunehmen. Bei ihm geht es dann darum, wie er mit dieser Macht umgeht. Außerdem gibt es ein Mädchen, ein Wohlstandskind, das mit dem Verlust von Materiellem gar nicht klar kommt, und einen Jungen, der das Gegenteil verkörpert … Die Ideen der Kinder haben überall ihren Platz gefunden. Schön zu erleben war dabei besonders die Kompromissbereitschaft, auch einmal der Idee eines anderen den Vortritt zu lassen.
nmz: Wie ist es den jungen Komponisten und Komponistinnen ergangen?
Vohn: David Graham sagte, dass sie genau das erlebt hätten, was Komponisten bei solchen Aufträgen auch immer erleben: Es ist wahnsinnig stressig, die Musik auf den Punkt fertig zu bekommen und man muss es dann irgendwann bei dem Status quo belassen, kann nicht mehr an diesem oder jenem Detail nachbessern. In der Gruppe ging es noch stärker darum, allen ein Handwerkszeug zu vermitteln, das über die eigenen Hörerfahrungen hinausgeht. Die Kinder denken sehr „harmonisch“, wir wollten sie dazu anzuregen, sich mit einer zeitgenössischen Sprache auseinanderzusetzen, ihnen klar zu machen, dass es keine klanglichen Grenzen gibt.
nmz: Das ist eine Gratwanderung, nicht? Die jungen Komponisten sollten ja nicht zu ihrem Glück gezwungen werden, „zeitgenössisch“ zu komponieren …
Vohn: Klar. Wichtig ist, dass sie das dann auch wollen und nicht nur deshalb anwenden, weil es ihnen vorgegeben wird. Es ist ihnen zum Beispiel schwer gefallen, „das Wasser an sich“ musikalisch umzusetzen. Sie konnten aber mit den Geräuschen etwas anfangen, die man damit verbindet: Schiffsmotoren, Möwen … Im Fall des Kapitäns, der wegen seines Umgangs mit seiner Macht als negative Person charakterisiert wurde – in einer früheren Librettoversion sollte er Selbstmord begehen –, war es so, dass wir angeregt haben, dass der Mollakkord, der ihm zugeordnet war, auch übermäßig werden und dann auch Dissonanzen enthalten könnte. So entstand dann ein Motiv für den Kapitän, das von allen getragen wurde.
nmz: Das Stück ist nun fertig und wird geprobt. Wie funktioniert die Regiegruppe?
Vohn: Die Alterspanne liegt hier höher. Während in der Libretto- und der Kompositionsgruppe 11- bis 18- Jährige mitarbeiten, haben wir für die Regie Ältere angesprochen: zwischen 23 und 30. Jeder der Teilnehmer hatte im Vorfeld ein Regiekonzept und einen Bühnenbildentwurf gemacht. Das hat man sich in der Gruppe gegenseitig vorgestellt, es wurden von Seiten der Dramaturgie Überarbeitungsideen vorgeschlagen, und man hat sich dann auf eines der fertigen Konzepte verständigt.
nmz: Und wer führt konkret Regie?
Vohn: Die Gruppe hat sich im Lauf des Prozesses aus Termingründen stark verkleinert, sodass es nun drei sind, die das übernehmen. Der Leiter der Regiegruppe Volker Böhm ist bei den Proben dabei, aber die Regie liegt in deren Händen.
- Termine: 14.11. und 15.11. Theater Duisburg, 20.12. und 21.12. FFT Kammerspiele Düsseldorf