Hauptbild
Holsts „Mars“ und „Venus“ in der bildnerischen Umsetzung. Foto: Mittermayr
Holsts „Mars“ und „Venus“ in der bildnerischen Umsetzung. Foto: Mittermayr
Banner Full-Size

Musik zum Hören und Sehen

Untertitel
Vertiefte Hörerlebnisse durch bildnerisches Gestalten
Publikationsdatum
Body

Kinder und Jugendliche als interessierte und aufmerksame Musikhörer zu gewinnen, ist in Zeiten von medialer Dauerbeschallung mehr denn je zu einer musikpädagogischen Herausforderung geworden. Wenn man von kurzlebiger Unterhaltungsmusik verwöhnte Ohren gar für die großen Klassiker der Musikgeschichte begeistern will, sind Methoden von Musikvermittlung gefragt, die Schülerinnen und Schüler von einem vorwiegend passiven Musikkonsum zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Gehörten führen.

„Handlungsbegleitetes Musikhören“ ist das Schlagwort, das mein Interesse auf der Suche nach neuen Wegen im Musikunterricht geweckt hat. Die musikdidaktische Literatur umschreibt mit diesem Begriff kreative Zugänge zum Musikhören durch Übersetzung von Höreindrücken in andere künstlerische Ausdrucksformen wie Bewegung und Tanz, Sprache und darstellendes Spiel sowie bildnerisches und grafisches Gestalten zur Musik. Auf diese Weise wird Musik zum Anlass für künstlerische Gestaltungsprozesse, die aufmerksames Zuhören voraussetzen und einen intensivierten Wahrnehmungsprozess fördern.

Der folgende Artikel gibt nach einer kurzen Darstellung kunsttheoretischer Hintergründe Einblicke in die praktische Arbeit mit Schülerinnen und Schülern, in der sie durch eigene bildnerische Gestaltungsversuche vertiefte Zugänge zu Musikstücken unterschiedlicher Epochen entwickeln können.

Vor einer didaktischen Auseinandersetzung mit Hörerziehung durch bildnerisches Gestalten erhebt sich zunächst die grundlegende Frage, wie weit Transpositionen von Musik in andere Ausdrucksformen wie Bildende Kunst über die Ebene der rein subjektiven Empfindungen hinaus möglich und künstlerisch begründbar sind. Wo finden sich demnach in visuellen und akustischen Ausdrucksformen Affinitäten, die für eine Vernetzung beider Kunstformen und die Möglichkeit ihrer wechselseitigen Annäherung sprechen?

Diese Frage ist keineswegs neu. Sie wurde von namhaften Künstlern verschiedener Jahrhunderte gestellt und der jeweiligen Zeit und stilistischen Epoche entsprechend reflektiert. Bereits Leonardo da Vinci bezeichnete Musik und Malerei als „Schwestern“, da sie auf denselben Grundprinzipien beruhen: „Beide erstreben Harmonie; die Musik erzielt diese mit ihren Tönen und Akkorden, die Malerei mit ihren Proportionen.“ Der Brückenschlag in das Reich der Musik erfolgte in dieser Zeit über die Arithmetik, die als Grundlage von Musik ebenso wie von Architektur und Bildender Kunst betrachtet wurde.

Gleiche Vorlagen als Ausgangspunkt für künstlerische Gestaltungen verbinden Musik und Malerei des 19. Jahrhunderts. So liegt die Natur als Vorbild zahlreichen programmatischen Werken wie Ludwig van Beethovens 6. Sinfonie („Pastorale“), Bedrich Smetanas Zyklus „Mein Vaterland“ oder Edvard Griegs „Peer-Gynt-Suite“ ebenso zugrunde wie den romantischen Landschaftsdarstellungen William Turners und seiner Zeitgenossen. Als erster Komponist nahm Franz Liszt mit seinen Kompositionen Bezug auf ein Gemälde und vertonte in einer seiner Sinfonischen Dichtungen die berühmte „Hunnenschlacht“ von Wilhelm von Kaulbach. Ihm folgte Modest Mussorgsky mit seiner Vertonung der „Bilder einer Ausstellung“ des Malers Victor Hartmann.

Im 20. Jahrhundert erreichte die Beziehung zwischen Musik und Malerei ihren Höhepunkt. Vor dem Hintergrund der Abstrahierung der Malerei und der Auflösung der traditionellen Harmonielehre suchten Künstler wie Wassily Kandinsky, Paul Klee und Arnold Schönberg nach Möglichkeiten einer strukturellen Annäherung zwischen den Künsten. Bildtitel wie „Fuge in Rot“ oder „Dreistimmige Polyphonie“ weisen auf Inspirationsquellen aus dem musikalischen Formenreichtum hin.

Musik und Bild im Dialog

Berührungspunkte zwischen Musik und Bildender Kunst ziehen sich durch die Geschichte beider Kunstformen und zeigen auf, dass solche Analogien nicht fiktiv, sondern durchaus real, wenn auch schwer greifbar und systematisierbar sind. Die Vielfalt an möglichen Parallelen zwischen Musik und Bild ist es aber auch, die ein großes Potenzial an kreativen Gestaltungsmöglichkeiten für eine fächerübergreifende Hörerziehung bereitstellt. Ideenreichtum, künstlerisches Verständnis und pädagogisches Geschick des Lehrers oder der Lehrerin sind dabei von gro-ßer Bedeutung.

Die Methode einer Hörerziehung durch kreative Gestaltungsmöglichkeiten zielt darauf ab, Schülerinnen und Schülern in einer intensiven Auseinandersetzung mit einem Musikstück zentrale Aspekte des Gehörten näherzubringen und sie zu einer visuellen Umsetzung zu führen. Inhaltliche Vorstellungen oder musikalische Stimmungen können durch farbige Assoziationen zum Ausdruck kommen, Melodieverläufe und Instrumentierungen grafisch mitverfolgt werden. Auch stilistische oder strukturelle Besonderheiten eines Musikstückes sowie prägnante Gestaltungsmittel finden auf individuelle Weise im Bild ihren Niederschlag. Wesentlich erscheint mir, dass sowohl ganzheitliches Erfassen und emotionales Berührtwerden durch die Musik als auch stärker analytisch ausgerichtete, Struktur und Aufbau erfassende Rezeptionsprozesse in Gang gesetzt werden. Die Bildgestaltung orientiert sich am Prozess der Wahrnehmung und dient primär der Vertiefung des Höreindrucks; erst in zweiter Linie wird die Aufmerksamkeit auf künstlerische Aspekte der Bildgestaltung gelenkt.

Beispiele aus der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern unterschiedlichen Alters sollen im Folgenden Einblick geben in die vielfältigen Möglichkeiten der Vermittlung von Hörerlebnissen durch Malen und Zeichnen zu Musik.

Farbige Gewitterklänge

Die Auseinandersetzung mit Ludwig van Beethovens „Gewitter“ aus der 6. Sinfonie („Pastorale“) knüpft in einer ersten Phase des Zuhörens an den programmatischen Inhalt der Musik an. Assoziationen zum Gehörten werden besprochen. Die sehr deutlich erkennbaren musikalischen Motive für „Blitz“, „Donner“ und „Regen“ werden bewusst wahrgenommen, in ihrer Instrumentierung besprochen und gruppenweise mit Klanggesten begleitet. Der Donner wird beispielsweise durch Patschen auf den Oberschenkeln ausgedrückt, der Regen mit den Fingern auf der Sitzfläche der Sessel getrommelt, zu den Blitzen wird geklatscht. Diese mehrmals durchgeführte Hörübung erfordert hohe Konzentration und soll die Schülerinnen und Schüler mit der Musik vertraut machen und auf die nachfolgende Malaktion vorbereiten.

In weiterer Folge werden den drei erarbeiteten Motiven bildnerische Umsetzungsmöglichkeiten zugeordnet, die in Form von „Actionpainting“ auf zwei großen Leintüchern direkt zur Musik ausgeführt werden. Der Regen wird als flüssige blaue Farbe aus Farbflaschen getropft, der Donner mit einem schwarz eingefärbten Roller aufgetragen, die Blitze in Rot und Gelb mit großen Pinseln auf den Stoff geschleudert. Die Musik wird mehrmals vorgespielt, sodass jeder Schüler die Möglichkeit hat, mit allen drei Farben zu arbeiten. Die Schülerinnen und Schüler sind mit Spaß und Engagement bei der Sache und merken gar nicht, wie oft sie die Musik bereits gehört haben, ohne sie langweilig zu finden. Primär werden die motivierten Hörerinnen und Hörer angehalten, ihre bildnerischen Aktionen synchron zur Musik auszuführen; sie konzentrieren sich also in erster Linie auf die Musik. Zwischen den einzelnen Durchgängen besprechen wir außerdem unsere Bildergebnisse und überlegen, wie wir die optische Wirkung verbessern können. In einer Phase der gemeinsamen Reflexion wird besprochen, wie weit der synchrone Mitvollzug des Gehörten im Sinne von „Actionpainting“ gelungen ist und ob die Gesamtwirkung des Bildes den Charakter der Musik getroffen hat. Aufgrund der recht naturalistisch angelegten Farbwahl lassen sich im Bild klare Entsprechungen zwischen den inhaltlichen Vorstellungen zu Beethovens „Gewitter“ und der Bildgestaltung erkennen. Der temperamentvolle Charakter der Musik kommt durch die aktionistische Art des Farbauftrags sehr unmittelbar zum Ausdruck.

Kontraste prallen aufeinander

Das kontrastierende Prinzip als grundlegendes Gestaltungsmittel in Musik und Bildender Kunst liefert den Ansatzpunkt für eine Gegenüberstellung von „Mars“ und „Venus“ aus Gustav Holsts „Die Planeten“ mit Franz Marcs „Kämpfende Formen“. „Mars, der Kriegsbote“ besticht durch straffe Rhythmik, bedrohliche Crescendi sowie den gezielten Einsatz von Blechbläsern, während „Venus, die Friedensbringerin“ durch weiche Melodien der Streicher und Holzbläser dargestellt wird. Die Gegensätzlichkeit der beiden Musikstücke wird durch ihre prägnante musikalische Verwirklichung von den Kindern unmittelbar wahrgenommen und im Gespräch mit Inhalten wie Krieg und Frieden, Licht und Finsternis, Gut und Böse in Verbindung gebracht.
Das expressionistische Bild „Kämpfende Formen“ von Franz Marc charakterisiert in der Gegenüberstellung mit „Mars“ und „Venus“ das Aufeinanderprallen von Kontrasten in der Sprache der Bildenden Kunst. Der bewusste Einsatz von Komplementärfarben und ihre Wirkung auf den Betrachter werden anhand des Bildes erarbeitet. Die anschließende Bildgestaltung wird nicht nur durch die Farbwahl von  Marcs Bild inspiriert, sondern auch durchdie Unterteilung der Bildfläche in zwei Hälften, die als Gegensätze aufeinanderprallen.

Der Zugang zur „Planetenmusik“ geschieht zunächst auf ganzheitlicher Ebene. Kurze abwechselnde Musikausschnitte aus „Mars“ und „Venus“ werden in gegensätzliche Bewegungsqualitäten (eckig – rund, hart – weich …) umgesetzt. In Partnerarbeit schlüpft dann jeweils ein Kind in die Rolle von „Mars“ und „Venus“ und zeichnet beim Erklingen „seiner Musikausschnitte“ mit Filzstift auf einem Papierbogen mit. Die Musik von „Mars“ und „Venus“ wird nun mit den „Kämpfenden Formen“ verglichen. Wir entdecken auch im Bild von Franz Marc das Aufeinandertreffen von Gegensätzlichem, vor allem durch die Verwendung von kontrastierenden Farben. Nach einer Besprechung des Farbkreises treffen die Schülerinnen und Schüler die Farbwahl für ihre Bildgestaltung. Sie werden angehalten, den Kontrast von „Mars“ und „Venus“ durch die Verwendung komplementärer, also auf dem Farbkreis gegenüber angeordneter Farben darzustellen.

Für die Bildgestaltung werden aufgrund der Länge der Sätze wiederum Ausschnitte aus der Musik herausgenommen. Die Kinder hören abwechselnd je drei Hörbeispiele aus „Mars“ und „Venus“, deren Charaktere den Bewegungsimpuls für das Malen mit Farbfläschchen bestimmen. Zum Malen positionieren sich die beiden Partner jeweils an zwei gegenüberliegenden Seiten eines Stoffstreifens (grundierte Leinwand), auf dem sie jeweils zum Erklingen „ihres“ Musikausschnitts abwechselnd „aufeinander zu malen“. Für jeden Musikausschnitt wird eine andere Farbe verwendet, sodass auf jeder Stoffhälfte drei miteinander verwandte Farben zum Einsatz kommen. In den Schülerarbeiten kommt das Prinzip des Kontrastes sowohl in der komplementären Farbgebung als auch in unterschiedlichen Formen zum Ausdruck.

Die beschriebenen Unterrichtsbeispiele greifen exemplarisch Möglichkeiten der Vermittlung von Hörerlebnissen durch bildnerisches Gestalten heraus und mögen interessierten Musikpädagoginnen und -pädagogen als Anregung für die Entwicklung eigener Unterrichtsmodelle dienen und Impuls für einen lebendigen Musikunterricht sein. Sie sind meiner Dissertation (Mittermayr, Nicola: Bildliche und grafische Darstellung von Musik als Mittel zur Anbahnung von vertieften Hörerlebnissen, Bibliothek Mozarteum Salzburg, 2008) entnommen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!