Die Konjunktur der schnellen Tempi, der Fortissimi und Staccati geht zu Ende; hohe und helle Töne sind vorerst eine Sache des 20. Jahrhunderts. Demnächst musizieren wir wieder dunkel, weich und knuddelig, und erst ab 2100 wird sich der Nebel lichten. Freunde des Barock mag die-se Prognose quälen, zumal sie von einem stammt, der dem 18. Jahrhundert immer den Vorzug gab: Hans-Peter Schmitz – Musikpädagoge, Autor, eleganter Flötenvirtuose. Am 5. November wäre er 90 Jahre alt geworden. Einige seiner Schüler trafen sich jetzt in Detmold beim 60-jährigen Jubiläum der Musikhochschule.
Schmitz, zunächst Soloflötist im Berliner Philharmonischen Orchester, reiste zwischen 1953 und 1972 zweiwöchentlich zu seiner Flötenklasse an der Nordwestdeutschen Musikakademie. In Detmold ließ es sich in einer Weise studieren, die heutige Hochschulkommunikatoren als „ideale Bedingungen“ feiern würden: keine Ablenkungen, Konzentration auf die Musik, der Lehrer als stets präsenter, väterlicher Freund. „Wir hier in 33“ nannte Schmitz seine Klasse, die oben links im Detmolder Neuen Palais residierte: dort, wo die Ruhe am größten und die Fernsicht am weitesten war.
„Jede Unterrichtsperiode endete mit einem Klassenvorspiel und einem von Schmitz spendierten Kaffeetrinken“, erinnert sich Gunther Pohl, ehemaliger Soloflötist der Bamberger Symphoniker. Wie sein Lehrer lässt Pohl die Flöte meist daheim, wenn er heute an der Dresdner Musikhochschule unterrichtet – er hat nicht einen Ton des Meisters live gehört. Schmitz spielte im Unterricht niemals vor, wollte Imitationen vermeiden. Und dennoch: Mit ihrem lockeren, großen Ton klingen Schmitz-Schüler eindeutig nach Schmitz, meint dessen Künstlerfreund Aurèle Nicolet, der zehn Jahre jüngere Großflötist aus der Schweiz. Nach Hans-Peter Schmitz’ Musizierkunde („Singen und Spielen“, Kassel 1958) pendeln musikalische Parameter wie Tonbewegung, Tonstärke und Tonlänge mal zur vitalen Geste, mal zur stillen Andacht. „Gegenkoppeln“ heißt das bei Schmitz: ein Prinzip des Musizierens wie des Lebens allgemein. In unserer Zeit neigen Komposition und Interpretation sich wieder zur Mitte, zur Klassik. Wer da nicht mitwill, muss zweihundert Jahre warten – oder sei auf drei Schallplatten verwiesen, die Schmitz in den 1950er-Jahren mit dem Cembalisten Hans Pischner und dem Gambisten Werner Haupt produzierte. Von der Kritik als lebendig, schwungvoll, subtil, wild und frech gefeiert, dokumentieren sie bis heute das barocke Klangideal – lange bevor jemand die Formel der historischen Aufführungspraxis erfand.