Sie liebt Musik. Singen und vor allem Tanzen sind ihre großen Leidenschaften. Damit ist sie unter Teens in bester Gesellschaft. Was E-Musik ist, weiß und interessiert sie nicht. Musik ist Popmusik, meist polnisch oder englisch. Bis vor einem halben Jahr war sie noch nicht hier, aber jetzt ist sie da und muss mit dem neuen Leben, dem neuen Land und der neuen Sprache klar kommen. Malvina ist sechzehn, kommt aus Polen und besucht die „IFK“, die internationale Förderklasse der Theodor-Wuppermann-Hauptschule in Leverkusen-Manfort. Hier bekommen sie und ihre Klassenkameraden aus aller Welt die Förderung, die ihnen helfen soll, ihren Weg in der immer noch „neuen Welt“ zu gehen.
Die „Roots“, die unterschiedlichen kulturellen Wurzeln der Schüler, prägen nicht nur an Leverkusener Haupt- und Förderschulen mittlerweile den schulischen Alltag im und jenseits des Unterrichts. Der vielzitierte „Migrationshintergrund“ bringt nicht nur Bewegung in die Kulturlandschaft, sondern auch in die Bildungspolitik und fordert beziehungsweise fördert neue und kreative Ideen. Einen frischen und bislang sicher modellhaften Ansatz liefert hier im musikpädagogischen Bereich die Musikschule der Stadt Leverkusen mit dem zunächst auf ein Jahr angelegten Kooperationprojekt „Many Cultures – One Beat“. Auch wenn Migration, Vielfalt und Unterschiede Hand in Hand gehen, so macht sich dieses Projekt doch eine Gemeinsamkeit fast aller Jugendlichen zu Nutze: sie lieben Musik. Popmusik. Die musikalischen und ästhetischen Formen, Farben und Phänomene der Popmusik bilden zentrale Koordinaten jeder jugendlichen Lebenswelt und bieten deshalb zahlreiche Ansätze, die Schüler „abzuholen“ und zu motivieren.
Seit Februar und bis Dezember steht deshalb für Malvina und 53 ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler zweier weiterer Hauptschulen „Songwriting“ und „Musikproduktion“ auf dem wöchentlichen Stundenplan und das kommt gut an. Innerhalb kürzester Zeit wurden neun Bands gegründet, die bereits an Musik und Text zum ersten von zwei geplanten Songs arbeiten. Ziel ist die Produktion der CD „Many Cultures – One Beat“ und deren Präsentation und Veröffentlichung im Rahmen eines Konzertes im rennomierten Veranstaltungsort „Forum“ im Dezember.
Die Kooperation von Musikschule und allgemeinbildender Schule hat in Leverkusen bereits Tradition. So profitiert man beim „One Beat-Projekt“ von langjährigen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den ortsansässigen Förderschulen (ehemalige Sonderschulen). Unter dem Titel „sCOOL-HITs“ schreiben und produzieren schon seit 2000 gut 50 bis 60 Förderschüler mit „Roots“ in allen Teilen der Welt jährlich eigene Songs. Sie texten, rappen und singen sich dabei vieles von dem, was sie alltäglich bewegt, von der Seele (nachzuhören auf den gleichnamigen CD „sCOOL-HITs Nr. 1 – 6“ (www.myspace.com/scoolhits.de oder www.KaDeBe.com). Neben Songs, die sich mit der Begegnung von Menschen zwischen verschienen Kulturen beschäftigen reicht die inhaltliche Bandbreite von Dauerbrennern wie Liebe und Sehnsucht über Gewalt, Drogen, Schule und Probleme mit den Eltern bis hin zu Songs über ganz persönliche Themen. Stilistisch geht die Reise dabei von Hip Hop und R&B über Pop, Rock und Ethno bis hin zu Dance.
Auch wenn die Schüler sich mit Popmusik auf ihre Art auskennen, so funktioniert das Selbermachen natürlich nicht von selbst und bedarf deshalb professioneller Unterstützung. Die liefern zwei kompetente Dozenten beziehungsweise „Producer“ (neudeutsch für „Popmusiklehrer“), die mit ihren „mobilen Tonstudios“ (mehr als ein Laptop, ein bisschen Equipment und Know-How sind heute kaum noch nötig) direkt in die Schulen gehen. Entwickler und kreative Geburtshelfer der „sCOOL-HITs“ Idee sind die beiden Kölner Sonder- beziehungsweise Musikpädagogen und Musiker Thorsten Neubert und Markus Brachtendorf. Aus den eigenen biographischen Zutaten: einem Sonderpädagogik- und Musikstudium an der Uni Köln und der professionellen Beschäftigung mit Popmusik (als Songwriter, Sänger, Produzenten, Label-/Studiobetreiber und Musiker in verschiedenen Bands) entwickelten sie das „sCOOL-HITs“ Konzept und ihre Methodik zur kreativen Arbeit mit den Kids im Laufe der verganenen Jahre immer weiter. Wie Produzenten im „echten Musikbusiness“ katalysieren sie dabei in der Praxis durch ihr Know-How und ihre Erfahrung die Kreativität der Schüler und lenken ihre Ideen in musikalische Bahnen. Zugangsvorraussetzungen wie das Spielen eines Instrumentes sind nicht nötig, sind sie aber vorhanden, werden sie einfach genutzt und im Laufe des kreativen Prozesses können sich so alle mit ihren Ideen einbringen und sich verwirklichen. Das stärkt die Identifikation mit dem eigenen Tun und den eigenen Ideen und wirkt sich, wie die Erfahrung mittlerweile belegt, auch abseits vom bloßen Musizieren positiv auf das Selbstwertgefühl der Schüler aus. Ganz nebenbei schärft es ihre kritische Musikrezeption und setzt positive Akzente gegen die „Klischeeisierung“ unserer Wahrnehmung und Welt durch Popmusik- und Medienphänomene wie „Superstars“ und „Big Brother“.
Das Beispiel „sCOOL-HITs“ in Leverkusen weckt kreative Möglichkeiten und setzt durch die Vernetzung von Musikschule, Förderschulen und Hauptschulen einer Region neue Akzente in Sachen schulübergreifender Kooperation. Hier begegnet man demographischen Gegebenheiten wie Migration und sozialer Benachteiligung mit Musik und Kreativität und sorgt auf diesem Wege für Klimawandel. Allerdings geht’s diesmal um das Schulklima und hier steigt glücklicherweise das Stimmungsbarometer in Richtung Musik und Kreativität! Man darf also schon gespannt sein, was Malvina und ihre Band, die „Force Girls“, aber auch alle anderen Bands am 14. Dezember im Leverkusener „Forum“ auf CD und Bühne bringen werden. Aktuelle Zwischenergebnisse werden auf jeden Fall unter www.musikschule-leverkusen.de und der MySpace-Seite zum „One Beat“ Projekt unter www.myspace.com/cultures
onebeat nachzuhören sein.
Weitere Infos zu diesem und anderen „scoolen“ Projektmöglichkeiten gibt’s übrigens auch direkt bei den Dozenten unter info [at] scool-hits.de (info[at]scool-hits[dot]de).