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Tanzen auf zwei Hochzeiten

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Eine Studie zur Situation musikalisch Hochbegabter
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Resultat dieser Befragung unter insgesamt 28 Jugendlichen ist die „Studie zur Situation musikalisch hoch begabter Jugendlicher in Niedersachsen“, herausgegeben von “Jugend musiziert“ Niedersachsen. Sie gibt einen Einblick in einen wenig bekannten Lebensbereich einer Gruppe von Jugendlichen, die wegen ihrer großen Leistungen gern lobend hervorgehoben und zur öffentlichen Repräsentation in Anspruch genommen werden, die aber im Alltag oft kämpfen müssen, um die schulischen Verpflichtungen mit der musikalischen Ausbildung vereinbaren zu können.

Jugendliche, die schon früh auf eine Karriere als Musiker hinarbeiten, haben es an allgemein bildenden Schulen nicht immer leicht. Vor einiger Zeit häuften sich beim Landesmusikrat Niedersachsen Klagen darüber, dass Schulen den besonderen Bedürfnissen von Nachwuchsmusikern zu wenig Verständnis entgegenbringen. Daraufhin wurden Mitarbeiter des Landesmusikrates aktiv und starteten eine Befragung unter den erfolgreichsten jungen Musikern, um einen Überblick über ihre schulische Situation zu bekommen. Resultat dieser Befragung unter insgesamt 28 Jugendlichen ist die „Studie zur Situation musikalisch hoch begabter Jugendlicher in Niedersachsen“, herausgegeben von “Jugend musiziert“ Niedersachsen. Sie gibt einen Einblick in einen wenig bekannten Lebensbereich einer Gruppe von Jugendlichen, die wegen ihrer großen Leistungen gern lobend hervorgehoben und zur öffentlichen Repräsentation in Anspruch genommen werden, die aber im Alltag oft kämpfen müssen, um die schulischen Verpflichtungen mit der musikalischen Ausbildung vereinbaren zu können. Auskunft gaben die Befragten über den zeitlichen Aufwand ihrer Aktivitäten, über ihre schulischen Leistungen und Erwartungen, über Konflikte und Akzeptanzprobleme im schulischen Umfeld. Auch mögliche Alternativen zum regulären Abschluss (meist Abitur) an einer staatlichen Schule standen zur Debatte.

Zunächst fällt auf, dass die große Mehrheit dieser Jugendlichen, die zumeist das Berufsziel eines Musikers klar vor Augen haben, dennoch auf eine umfassende Schulbildung großen Wert legt und daher das Abitur anstrebt. Nur eine kleine Minderheit verlässt sich voll und ganz auf die künstlerische Perspektive und gibt die Schule auf.

Für alle anderen stellt sich die Aufgabe, zwei Welten miteinander in Einklang zu bringen, die nicht selten miteinander über Kreuz liegen. Lehrer auf der einen und Instrumentallehrer auf der anderen Seite wissen nichts voneinander und stellen ihre Ansprüche nur im Hinblick auf den eigenen Bereich. Viele Jugendliche, die vormittags in der Schule sitzen, nachmittags mehrere Stunden üben und abends wiederum Hausaufgaben erledigen, fühlen sich zwischen diesen Ansprüchen hin- und hergerissen, eine belastende Situation. Viele nehmen bewusst und kalkuliert Abstriche in der schulischen Bewertung in Kauf, um musikalisch weiterzukommen.

Ein häufiger Konfliktpunkt ist die Unterrichtsbefreiung für Wettbewerbe, Meisterkurse oder Arbeitsphasen von Ensembles. In den Augen der Jugendlichen sind das wichtige Bausteine ihrer musikalischen Ausbildung, aus der Perspektive von Pädagogen mitunter lästige Sonderansprüche. Einige Jugendliche sprechen dagegen auch von großem Verständnis. Doch gerade dieses uneinheitliche Bild ist beunruhigend – zeigt es doch, dass es auf Seiten der Schulverwaltung offenbar keinen allgemein akzeptierten Konsens im Umgang mit einer Gruppe von Jugendlichen gibt, die für das Kulturleben in ihrer Schule und ihrem Wohnort ja zumeist einiges leisten.

Beunruhigend ist zudem, dass die Zahl derjenigen, die einen Schulwechsel vollziehen, nicht gering ist: Von den 28 Befragten haben das sechs vor oder bereits getan. Dabei spielen die Spezialschulen in Ostdeutschland als Alternative eine Rolle, aber auch private Institute, die freilich nur wenige Eltern bezahlen können.

Beim Landesausschuss “Jugend musiziert“ in Niedersachsen werden die Ergebnisse der Befragung als Aufforderung gesehen, die Bedürfnisse musikalisch hoch begabter Jugendlicher stärker zu berücksichtigen. Es müsse diskutiert werden, ob und in welcher Weise schulische Leistungsanforderungen durch anerkannte Erfolge auf musikalischem Gebiet ersetzt werden können. Zu prüfen wäre dabei auch, ob die geltenden KMK-Vereinbarungen dafür genug Spielraum lassen.

Ein erster Schritt in dieser Richtung ist in Niedersachsen bereits getan: Erstmals können Jugendliche in diesem Jahr einen Erfolg beim Landeswettbewerb “Jugend musiziert“ in die Abiturwertung einfließen lassen. Darüber hinaus möchte der Landesmusikrat die Problematik stärker in das Bewusstsein von Pädagogen und Schulleitern rücken. Zielvorstellung ist eine kontinuierliche und zwischen allen Beteiligten abgestimmte Strategie, um Leistungskonflikte bei den Jugendlichen abzumildern. Das Gefühl, „auf zwei Hochzeiten zu tanzen“, wie eine Befragte ihre Situation umschrieb, wird sich jedoch nicht grundsätzlich vermeiden lassen. Die Jugendlichen können jedoch an dieser Situation wachsen, wenn sie eine faire Chance bekommen, ihre individuellen Bedürfnisse in den eigenen Bildungsprozess einzubringen.

Die „Studie zur Situation musikalisch hoch begabter Jugendlicher in Niedersachsen“ ist erhältlich beim Landesmusikrat Niedersachsen, Lange Laube 22, 30159 Hannover, Tel. 0511/153 86.

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