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Community-Music-Symposium am Dr. Hoch’s Konservatorium Frankfurt am Main. Foto: Dr. Hoch’s Konservatorium

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Vielfältige Inseln des Besonderen

Untertitel
Praxis Community Music: „Mit-Ein-Ander“ · Ein Impuls von Wolfgang Rüdiger
Vorspann / Teaser

„Alles kann geschehen und alles passt zusammen.“ In ihrer absoluten Offenheit sind diese Worte von John Cage (aus „Silence“, übersetzt von Ernst Jandl) ein gutes Motto für die Praxis der Community Music (CM), deren Intentionen Lee Higgins mit den Schlüsselbegriffen „Menschen, Orte, Partizipation, Vielfalt, Inklusion“ benennt. Leute kommen zusammen und machen Musik mit allem, was sie dabeihaben und was sich im Raum befindet, hören zu, was klingt und entsteht, gehen aufeinander ein und überlegen gemeinsam, wie es weitergeht. Diese alleroffenste Form von Musizieren als Ausdruck einer Gruppe von Menschen verschiedener Herkunft, die im freien Zusammenspiel zu allererst Regeln entwickeln und ein musikalisch-soziales Ganzes formen, enthält tausende von tosenden Möglichkeiten, Musik zu machen mit Rhythmen, Klängen und Gesängen des Lebens, die wir in uns tragen, teilen und gestalten können jederzeit an jedem Ort.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Für solches miteinander Musizieren in Freiheit, Freude und Feier von Vielfalt, das zutiefst human ist, guttut und das Interesse an den Besonderheiten Anderer mit der Neugier verknüpft, was an neuen musikalischen und menschlichen Verbindungen entstehen mag, gibt es eine Reihe von Vorschlägen, die von Mitgliedern der CM-Community und ihres Netzwerks entwickelt und veröffentlicht worden sind (https://communitymusicnetzwerk.de/). So führen zum Beispiel die Videos auf dem YouTube-Kanal https://www.youtube.com/c/communitymusiclearning mit etlichen Anleitungen unter anderem für musikalische Warmups, Songs, Plays sowie Workshops, Lectures, Gesprächen, Forschungsberichten in die Welt der CM ein und regen zum aktiven Zuhören, Singen, Bewegen, Mitmachen, Nachmachen, Weiterentwickeln, Selber-Erfinden an. Ebenso empfohlen sei die einführende „Orientierung“ und Beschreibung von 21 „Events“ zum musikalischen Ausdruck zwischen „fixed and free“ von Lee Higgins and Patricia Shehan Campbell: „Free to Be Musical. Group Improvisation in Music“ (Rowman & Littlefield Education), Lanham etc. 2010.

Wenn hier und des Weiteren in lockerer Folge praxisbewährte Konzepte zur CM vorgestellt werden, so handelt es sich nicht um Modelle oder Muster von Praxis, die in letzter Instanz nicht modellier- und planbar ist, sind doch die musikalischen Situationen ebenso wie die Biographien, Themen, Interessen der Menschen, die zusammenkommen und ihre „Musiken“ mit- und einbringen, nicht vorhersehbar und nicht verfügbar. Was man aber vorstellen und vermitteln kann, das sind Vorschläge, Beispiele und Praxisideen, die offen sind für die verschiedensten Situationen, Gruppen, Gelegenheiten und bes­tenfalls immer und überall realisiert werden können, mit hunderten von Varianten, Anknüpfungs- und Weiterführungsmöglichkeiten.

Das offene, sehr allgemeine Konzept, das ich hier vorstellen möchte, wurde zunächst mit einer 6. Schulklasse Anfang 2020, kurz vor der Corona-Zeit, entwickelt und später dann in verschiedenen Kontexten wie partizipativen Konzerten und Workshops mit Jugendlichen und Erwachsenen erprobt; das Schöne daran ist, dass es immer wieder anders ausfällt und für alle Anlässe und Altersstufen geeignet ist. Verleihen wir ihm den programmatischen Titel (der sehr verschieden lauten kann) „Mit-Ein-Ander“ oder „Alle und Eine*r“ oder „Gemeinsames und Besonderes. Ein Klangband mit persönlichen Beiträgen“. Es eignet sich für kleine und für große Gruppen von zirka fünf bis fünfzig Mitwirkenden im Alter von zehn Jahren aufwärts, ohne und mit Instrumente(n); Voraussetzungen gibt es keine (elementares Instrumentalspiel nicht unerwünscht), eine Vorbereitung ist nicht nötig, nur der Raum sollte entsprechend groß und mit elementarem Instrumentarium und klingenden Alltagsgegenständen ausgestattet sein.

Die Beschreibung lautet:

  1. Alle Teilnehmenden stehen oder sitzen mit ihren Instrumenten, zu denen auch Klangerzeuger aus dem Alltag gehören können, im Kreis.
  2. Ein*e Spieler*in beginnt mit einem schwingenden Halteton bzw. -klang, wendet sich Spieler*in zwei zu und so weiter; der Reihe nach kommen alle mit dem gleichen Ton oder einem verwandten Klang hinzu. Ein Bordun oder Klangteppich entsteht, bei dem alle denselben Ton oder einen entsprechenden Klang spielen (nach Karlheinz Stockhausen: „Treffpunkt“).
  3. Der gemeinsame „Ton“ kann an- und abschwellen, sich leicht nach oben und nach unten biegen, rhythmisch in Bewegung geraten – alles, was ein lebendiges Klangband ausmacht.
  4. Wer möchte, kommt in die Mitte und spielt, singt oder tanzt ein Solo (ggf. auf eine freundliche Einladungsgeste hin) – mit Stimme (Lied, Text, Rap, Vocussion), Körper (Bodypercussion), Alltagsgegenständen (was verfügbar ist und gewählt wird), Instrumenten aller Art. Das Klangband wird dabei leiser, dünnt sich aus und lebt nach dem jeweiligen Solo wieder auf.
  5. Wer möchte, kann das Solo aus dem Klangteppich heraus musikalisch begleiten, sensibel kommentieren, leicht variieren – oder zum*r Solospieler*in in die Mitte kommen und mitspielen.
  6. So können sich Duos, Trios et cetera bilden, die kleine Gruppenimprovisationen als Inseln des Besonderen spielen. Aus der Mitte entspringen mehrere kleine Flüsse.
  7. Dies kann sich bei einer größeren Zahl von Mitwirkenden dahingehend fortsetzen, dass sich immer mehr Gruppen von drei bis vier Spieler*innen bilden, die gemeinsam improvisieren, Pausen einlegen, den anderen zuhören – sodass das Klangband sich eine Weile auflöst und das Konzept „den Faden verliert“ – bis sich alle wieder im gemeinsamen Bordun treffen (oder auch nicht) und die Musik von selbst ausklingt.

Alternativ ist auch eine Version nur mit Stimmen und Körperklängen möglich, bei der ein Lied oder ein (pentatonischer) Gesang das rhythmisch-dynamisch bewegte Ostinato bildet, aus dem die Soli oder Duos hervortreten; alle Teilnehmenden sollten dabei den gemeinsamen Puls erspüren und vollführen, mitschwingen und mitsingen, mal laut, mal leise (nach einer Idee von Oliver Giefers). Oder eine Kombination von (alltags-)instrumentalen und vokalen, Natur- und Körperklängen. (Ein schönes Praxisbeispiel mit Flöte, Gesang, Zweigen und Blättern auf der Basis eines Borduns bietet z. B. „In the Land of the Trees“ und „What sounds are made in the forest?“ von und mit Thomas Johnston, https://www.youtube.com/watch?v=DfrruSG6JDg).

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„Gut ist es, an andern sich zu halten. Denn keiner trägt das Leben allein.“ (Hölderlin) So könnte das Motto des offenen Konzepts lauten, bei dem man viel erleben und erfahren kann: das Gefühl von „Verbindung – Sich sicher fühlen können – Kreativ sein – Einen Platz haben und willkommen sein – Mitgestalten – Auf Augenhöhe sein – Zufrieden sein mit der Musik und dem Prozess – Seinen Anliegen eine Stimme geben“ (Posteraufschrift von Marion Haak-Schulenburg zum Community Singing auf dem CM-Symposium in Frankfurt am 3. Juni 2023).

Welch vielfältige Inseln des Besonderen aus dem Meer des gemeinsamen Klangbands auftauchen können, zeigt der Einfallsreichtum der Schüler*innen im besagten Schulprojekt. Lieder aus verschiedenen Kulturen, gesungen und gespielt, wechselten mit einer gekonnten Klangaktion mit Bällen, gefolgt von Duo- und Trio-Improvisationen auf traditionellen Instrumenten, Events mit Plastiktüten und mit Wasser in Gläsern, Flaschen, Bechern (nach einer Fluxus-Partitur von George Maciunas), einem Konzept mit Steinen (nach Christian Wolff) und multilingualen Raps – unendlich erweiterbar und übertragbar, ein farbenfroher „Musicircus“ verschiedener Leute und Leben. „Alles kann geschehen und alles passt zusammen.“ ¢

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