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Die integrative Kraft von Musik und Tanz. Foto: Oliver Röckle
Die integrative Kraft von Musik und Tanz. Foto: Oliver Röckle
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Von der Bewegung zum Verständnis

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Das netzwerk junge ohren veranstaltete in Dortmund die Konferenz „Musik – Körper – Bewegung“
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Welche Rolle spielen Rhythmus und Körperlichkeit in der Musikvermittlung? Das netzwerk junge ohren veranstaltete dazu eine Tagung in Dortmund.

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; und jeder geht zufrieden aus dem Haus“, sagt der auf Publikum bedachte Theaterdirektor im Vorspiel zu Goethes „Faust“. Einem ganz ähnlichen Erfolgsrezept muss das „netzwerk junge ohren“ gefolgt sein, als es daran ging, eine Tagung für Musikvermittler zu planen. Der gemeinnützige Verein mit Sitz in Berlin, ein Forum für Experten und Praktiker der musikvermittelnden Zunft, hatte am 28. November 2018 ins Orchesterzentrum NRW nach Dortmund eingeladen, das in direkter Nachbarschaft zum renommierten Konzerthaus der Stadt liegt.

Weil Musik und Tanz, Rhythmus und Bewegung untrennbar miteinander verbunden sind, wollten die Veranstalter erkunden, wie derlei körperliche Aspekte bei der Vermittlung von Musik helfen können. Ein Thema voller Dynamik, das indes unter dem ungelenken Dreischritt „Musik – Körper – Bewegung“ präsentiert wurde. Eine vergleichbare Steifheit haftete denn auch den meisten Podiumsdiskussionen im Kammermusiksaal an, während die interdisziplinären Workshops im großen Probensaal Schwung in den Konferenztag brachten. Dieser wuchs sich zu einem kleinen Szenetreffen aus. Insgesamt fanden knapp 100 Teilnehmer aus ganz Deutschland und darüber hinaus den Weg nach Dortmund, viele von renommierten Orchestern, Konzertsälen, Opernhäusern, Stiftungen und Chören.

Starken Eindruck hinterließen im Workshop 1 die Kinder von der Grundschule Sandstraße in Duisburg-Marxloh: Ein Stadtteil, der weithin als problembehaftet bekannt ist. Zu Musik von Claude Debussy führten sie kleine Choreographien vor, die sie unter fachkundiger Anleitung erarbeitet hatten. „Die Kinder mussten überhaupt nicht mehr mitzählen. Die hatten das Stück total verinnerlicht!“, staunte eine Kinderchorleiterin über die nahezu perfekte Präsentation. Sie fühlte sich durch dieses Erlebnis motiviert, künftig in ihrem eigenen Unterricht mehr mit Musik und Bewegung zu arbeiten.

Dass die Verknüpfung von Tanz und Musik derart mustergültig funktionierte, lag auch an der langjährigen Zusammenarbeit des verantwortlichen Teams, bestehend aus dem Education-Experten Tobias Bleek, der Tänzerin und Choreographin Petra Jebavy sowie Klaus Hagge, Musiklehrer und Leiter der Sandstraßen-Schule. Von engagierten Lehrkräften wie ihm hängt in der Educationarbeit viel ab. Das wissen auch der englische Musikvermittler Richard McNicol und die Tänzerin Yasha Wang, die im anschließenden Workshop Erwachsene und Förderschüler zu kreativer Tätigkeit animierten. Die Teilnehmer sollten kleine Choreographien zum Thema „Wasser“ erarbeiten. Auf perfekte Ergebnisse kam es dabei weniger an als auf die Demonstration der integrierenden Kraft von Musik und Tanz, die Menschen unterschiedlichster Herkunft und Fähigkeiten zueinander führt.

Unerfreulich Grundsätzliches

Derweil rutschte die erste Podiumsdiskussion der Fachkonferenz ins unerfreulich Grundsätzliche. Leonie Reineke vom Deutschlandfunk, der die Tagesmoderation anvertraut war, tauschte sich mit dem Komponisten und Gitarristen Marc Sinan, der Musikerin Barbara Bultmann und der deutsch-türkischen Theaterpädagogin Günfer Çölgeçen zum Thema „Bewegungskultur – Konzertkultur“ aus. Es dauerte kaum eine Viertelstunde, bis so gut wie alle etablierten Aufführungsformen des klassischen Musiklebens als elitär, unzeitgemäß und abschreckend abgeurteilt waren. Das Stillsitzen und Zuhören ist – horribile dictu – Erwachsenen demnach noch weniger zuzumuten als kleinen Kindern. Nun ist gegen andere Aufführungsformen zumeist wenig einzuwenden: Barbara Bultmann vom Ensemble Resonanz berichtete überzeugend davon, wie trefflich sich Zeitgenössische E-Musik und DJ-Sounds in lockerer Atmosphäre vereinen lassen. Damit blieb sie freilich die Ausnahme. Weder ging es in diesem Gespräch um alternative Aufführungsformen, von denen es mittlerweile nicht wenige gibt, noch riskierten die Teilnehmer einen visionären Blick auf Chancen für die Zukunft. Stattdessen wurden Traditionen, die sich über Jahrhunderte herausgebildet haben, um Musikern und Publikum optimale Bedingungen zu bieten auf den Müllhaufen der Geschichte gewünscht. Eine beklemmende Erfahrung. Wenn Deutschlands einzigartig reiches Konzert- und Kulturleben solche Freunde hat, braucht es keine Feinde mehr.

Motive auf der Reise

Weitaus kreativer ging es in einem Improvisations-Workshop zu, den die Essener Tänzerin und Choreographin Henrietta Horn gemeinsam mit Matthias Schlothfeldt von der Folkwang Universität der Künste durchführte. Ein kleines Spiel zum Aufwärmen zeigte gleich zu Beginn, dass Tempo, Lautstärke und Ausdruck nicht nur in der Musik variabel sind. In großer Runde im Kreis stehend, warfen sich die Teilnehmer rundum ein „Hallo“ zu, indem sie es mit einer Bewegung verbanden und an ihren jeweiligen Nachbarn weitergaben. Trotz der Aufforderung, Geste und Ausdruck des jeweiligen Nachbarn möglichst genau zu kopieren, veränderte sich das derart auf die Reise geschickte Motiv wie von selbst. Es entstanden Modulationen, schließlich Variationen, wie sie auch in der Musik eine große Rolle spielen. Aus der simplen Anweisung, jeweils zwei Schritte in die Mitte des Kreises und wieder zurück zu machen, ergaben sich verblüffende Muster, weil jeder seinem eigenen Tempo folgen durfte. Die Wahl eigener Parameter führte schließlich zu einer Art „Planetenmusik“, bei der sich die Teilnehmer in ihrem eigenen Tempo nach einem selbst gewählten Bewegungsmuster durch den Raum bewegen und beim Ausatmen einen eigenen Ton summen durften. Was dabei entstand, klang der Tonsprache des Ungarn György Ligeti verblüffend ähnlich.

Ob sich das vielfältige Angebot dieser interdisziplinären Konferenz eher an Musiker, Musikvermittler, Musiklehrer oder Instrumentalpädagogen richtete, blieb auch im Rückblick unklar. So fehlte die konsequente Ausrichtung auf eine bestimmte Zielgruppe, auf die Musikvermittler gemeinhin höchsten Wert legen. Aber womöglich führt nichts am Rat von Goethes Theaterdirektor vorbei: „Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen; ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.“

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