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Von der Mundorgel zum Pianoforte

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Keine Zukunft für die Studenten aus Chinas Musikakademien?
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Chinas musikalische Elite studiert hauptsächlich westliche Musik. Doch über Chinas Grenzen hinaus werden die Stars unter den chinesischen Solisten, Dirigenten und Komponisten kaum bekannt. Die meisten international anerkannten chinesischen Musiker leben im Ausland, weil die Aufführungsmöglichkeiten in China fehlen. Dazu gehören die in Amerika lebenden derzeit bekanntesten chinesischen Komponisten Ye Xiaogang und Tan Dun, der die ,,Symphonie 1997“ für die Rückgabe Hong Kongs an China geschrieben hat. In China selbst fand sich kein Komponist mit entsprechendem Prestige für diesen hochpolitischen Kompositionsauftrag. In ganz China gibt es zur Zeit kein einziges Opernhaus – in Shanghai wird gerade am ersten gebaut. Die großen Sinfonieorchester aus Shanghai und Peking sind auf den internationalen Konzertpodien nicht anzutreffen. Die Rahmenbedingungen für die Ausbildung der musikalischen Elite sind also schlecht. Hinzu kommt ein marodes Ausbildungssystem, das selbst die linientreue Zeitung ,,China Daily“ als chaotisch bezeichnet. Die 1994 gestartete Ausbildungsreform erreicht die spezialisierten Hochschulen wie Kunst- und Musikakademien bis jetzt nur in Form von Studiengebühren, hat aber noch keine strukturellen Verbesserungen bewirkt. Ein Ziel der Reform war, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes im akademischen Bereich zu steigern. Auf dem Gebiet der westlichen klassischen Musik ist es bis dahin allerdings noch ein weiter Weg. Zhang Jia Lin, 26, Gesangsstudentin am Pekinger Konservatorium, strebt eine Karriere als Opernsängerin an. Sie gehört zu den drei jungen chinesischen Nachwuchstalenten, die im Juni zur Endrunde des von der Bertelsmann-Stiftung ins Leben gerufenen renommierten Opernwettbewerbs ,,Neue Stimmen“ nach Gütersloh gefahren sind. Internationale Wettbewerbe sind für die jungen chinesischen Musiker die einzige Hoffnung auf eine Bühnenkarriere. Die Jury aus Gütersloh, die dieses Jahr zum ersten Mal Vorauswahlen in Peking abhielt, war vom Niveau des Opernachwuchses in China überrascht. „Die technische Ausbildung ist sogar hervorragend“, fand Dirigent August Haltmayer, der die Vorauswahlen für die „Neuen Stimmen“ leitet. Vor zehn Jahren hat die Bertelsmann-Stiftung den Wettbewerb ins Leben gerufen hat, nachdem 1985 prominente Musiker, unter anderem Herbert von Karajan, bei einer Galaveranstaltung in Berlin auf die Frage nach dem Opernnachwuchs nur mit den Schultern zucken konnten. „Wir wollten die Vorauswahlen auf ein breiteres Fundament stellen. Es mehrten sich die Hinweise von Musikern, daß es da in China vielversprechende Talente gebe.“ Die drei chinesischen Teilnehmer der Endrunde sind alle Studenten des Pekinger Konservatoriums: die Sopranistin Zhang Jia Lin, der Baßbariton Xiao Liang Li, 27, und der Bariton Wang Haitao, 23. Obwohl niemand von ihnen auf den ersten drei Plätzen landete, fand die Präsenz der asiatischen Teilnehmer große Beachtung. Drei der insgesamt sieben Sonder- und Förderpreise in Höhe von 3.000 DM gingen an die chinesischen Bewerber. Damit können sie hier drei Jahre ihre Studiengebühren bezahlen. „Hartarbeitend große Beiträge zur sozialistischen Musikausbildung leisten“ – so beschreibt die Broschüre des Zentralen Musikkonservatoriums Peking, das als einzige Hochschule Chinas direkt vom Kultusministerium geleitet wird, die Ziele von Chinas größter Institution für die akademische Musikausbildung. Auf dem Campus der größten Musikhochschule Chinas spürt man jedoch wenig vom politischen Überbau. Die großen goldenen chinesischen Zeichen für ,,Zentrales Musikkonservatorium“ auf dem Flachdach sind das einzig glänzende an dem schmuddeligen, braungrauen Plattenbau. Der Eingang wird längst nicht so streng bewacht wie bei vielen anderen staatlichen Universitäten. Ein Wirrwarr von Klängen dringt aus den offenen Fenstern: das Tonleitergedudel einer Trompete mischt sich mit einer gefühlvoll intonierten Appassionata. Nur selten leuchten aus den Standards westlicher klassischer Musik die Farben chinesischer Melodien. Moderne Komponisten führen ein noch unscheinbareres Randleben als in den Musikzentren Europas. Bartok, Cage, Schostakowitsch? Xie Ai Ming, erfahrene Klavierpädagogin an der Hochschule, verzieht verächtlich das Gesicht. ,,Ich verstehe sie nicht.“ wehrt sie ab. Technische Perfektion wird in China bei westlicher Musik immens hoch bewertet. Bei den Aufnahmeprüfungen im Fach Klavier werden immer noch die Fingerübungen von Beyer und Czerny verlangt. „Trotzdem ist die künstlerische Ausstrahlung der chinesischen Wettbewerbsteilnehmer sehr groß,“ meint Martin Spilker von den ,,Neuen Stimmen“. Auch die Aussprache des Italienischen und Französischen kann sich hören lassen. Einjährige Kurse gibt es am Pekinger Konservatorium in den wichtigsten europäischen Musiksprachen, einschließlich Russisch. Aber man sah auch deutliche Mängel in der Interpretation. Kein Wunder, die drei Kandidaten für die Endrunde der „Neuen Stimmen“ beispielsweise haben noch nie in ihrem Leben eine Oper live erlebt. Sie müssen sich mit Videos und CDs aus der Hochschulbibliothek einen Eindruck von der fremden Kunst verschaffen, für die sie und knapp 700 Studenten des Konservatoriums von ihrem 12. Lebensjahr an täglich üben. Die Chancen auf eine internationale Karriere werden durch die Isolation chinesischer Musiker verringert. Die Kontakte mit ausländischen Musikern sind auf Meisterkurse von Koryphäen wie Yehudi Menuhin oder dem japanischen Dirigenten Seiji Ozawa beschränkt. Den Sinfonieorchestern bleiben ausländische Musiker fern. Die Gehälter liegen mit 2.000 Renminbi (400 DM) weit unter dem internationalen Niveau. Die meisten Musiker sind darauf angewiesen, an einem der acht Musikkonservatorien Chinas ihrer Lehrpflicht nachzukommen. Mit 1.000 Renminbi (200 DM) Monatslohn bleiben sie dann meist ihr Leben lang an derselben Hochschule. Im 17. und 18. Jahrhundert haben Jesuitenmissionare die barocke Musik nach China gebracht. Seither hatte die musikalische Kunst aus dem Westen am chinesischen Kaiserhof einen festen Platz und genoss einen exzellenten Ruf. Während der Kulturrevolution gab es eine Drehung um 180 Grad: als bürgerlich und dekadent wurde westliche Musik verboten. Von dieser Flaute erholt sich die Musik aus dem Westen nur langsam, seit einigen Jahren aber zunehmend. Chinesische Studenten und Professoren führen die wachsende Beliebtheit und das steigende Prestige klassischer westlicher und chinesischer Musik auf den Einfluß des chinesischen Präsidenten und Kunstfreundes Jiang Zemin zurück. Auch chinesische elitäre Kunstformen wie Klassische Musik und Peking-Oper werden von der Regierung wieder gefördert. Auch außerhalb des akademischen Rahmens wächst das Interesse an westlicher klassischer Musik im Reich der Mitte. Die Verkaufszahlen der vier Klavierfabriken Chinas steigen exponential. Immer mehr private Musikschulen werden aufgemacht. An der Jianguo-Musikschule lernen Musikfreunde jeden Alters Klavierspielen. ,,Auch ältere Leute wollen Musik machen, einfach so. Wir haben zur Zeit 300 Schüler,“ sagt die Verkäuferin stolz. „Und es werden jeden Monat mehr.“ Bettina Eichmanns

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