Die Streicherakademie Hannover feierte im November 2023 ihr zwanzigjähriges Bestehen mit einer Reihe von vier Festkonzerten. Diese Akademie ist eine private Schule zum Erlernen des Spiels auf Streichinstrumenten. Sie unterrichtet SchülerInnen ab der Grundschulzeit bis zum Erwachsenenalter. Geleitet wird sie von ihrer Gründerin Marie-Luise Jauch.
Wohlgefühl und Selbstverständlichkeit
Wer sich am satten Wohlklang der verschiedenen Ensembles der Akademie in den Festkonzerten erfreute, wird sich klarmachen, dass solch ein raumfüllender Sound nicht von ungefähr entsteht. Er beruht auf der jahrelangen Schulung der Kinder und Jugendlichen nach einem besonderen einheitlichen Konzept. Mit viel Singen und Tanzen geht es bei den Kleinen los. Relative Solmisation, also das Singen auf den Silben do - re - mi usw. wird erlernt und schärft den Sinn für die unterschiedlichen Abstände zwischen den Tonstufen. Liegt hierin vielleicht einer der Schlüssel für die auffällig gute Intonation der Akademie-SchülerInnen? Jedenfalls strahlen sie an ihrem Instrument ein Wohlgefühl und eine Selbstverständlichkeit aus, die gerade bei Streichern eben nicht selbstverständlich sind.
Das Wohlgefühl ist sicher auch ein Ergebnis des jahrelangen Miteinanders der SchülerInnen in den Musiziergruppen der unterschiedlichen Anforderungsstufen. Wenn die allerersten Anfänger noch nicht greifen können, dann wird eben eine Extra-Stimme nur mit leeren Saiten dazugeschrieben, und schon spielen sie mit den Großen mit, auch bei einem so klanggewaltigen Werk wie der Palladiosuite des gegenwärtigen britischen Komponisten Karl Jenkins. Wenn sie mit dem Auszählen vieler Pausen noch nicht fertigwerden, zeigt ihnen eben eine Subdirigentin mithilfe unterschiedlicher Farbkarten an, wann sie dran sind.Dieses gewachsene Gemeinschaftsgefühl strahlen die Ensembles jederzeit aus – nicht nur in ihrem homogenen Klang, sondern auch abseits der Bühne. So trägt die Schulung am Streichinstrument nicht nur zur motorischen und kognitiven, sondern auch zur emotionalen und sozialen Reifung der Jugendlichen bei. Wer einmal im Zusammenwirken mit cirka dreißig anderen gleichaltrigen SpielerInnen des Konzertorchesters Brittens Sentimental Sarabande so über die Rampe gebracht hat, wie das im Abschlusskonzert im Galeriegebäude des Schlosses Herrenhausen am 19. November 2023 geschah, wird das ein Leben lang nicht vergessen. Und hat einen Maßstab dafür gewonnen, wozu gute Musik im Stande ist. Dass Aufführungen dieses Orchester mehrfach mit renommierten Preisen bedacht wurden, konnte auf diese Weise kaum ausbleiben.
Es fehlt der Raum, um die Highlights der vier Festkonzerte einzeln zu würdigen. Jedes hatte seinen eigenen Schwerpunkt. Im ersten, am 5. November, konnte man Einblicke in die Arbeit der jüngsten Ensembles nehmen, angefangen von den ‚Streichhölzern‘ mit ihren halben und viertel Geigen über verschiedene Anfängergruppen bis zum Nachwuchsorchester. Stilistische Scheuklappen kennt die Akademie nicht. Denn das Triolenspiel kann man auch an einem Thema aus dem Film „Star Wars“ erlernen. Und zwischendurch legen die Jugendlichen ihre Geigen beiseite und skandieren locker ein polyphones Sprechchorstück, die Fuge aus der Geographie des deutsch-amerikanischen Komponisten Ernst Toch.
Überhaupt gehört der Blick über den Tellerrand zum Konzept der Akademie. Waren es in den vergangenen Jahren Musiktheaterprojekte der SchülerInnen zu verschiedenen Themen, so brillierten diesmal im zweiten Festkonzert am 10. November die LehrerInnen mit feiner Kammermusik, zeitlich und thematisch abgestimmt auf die Lesung ausgewählter Texte der von den Nationalsozialisten vertriebenen deutsch-jüdischen Dichterin Mascha Kaléko. Bei solchen Gelegenheiten zeigt sich, dass die Akademie ihres Namens wahrhaft würdig ist: als einer Stätte des geistigen Austausches weit übers Handwerkliche hinaus. Wer Genaueres über das pädagogische und organisatorische Konzept dieser Institution wissen will, wird auf ihrer Homepage fündig: https://streicherakademie-hannover.de.
Zu hoffen ist, dass diese Streicherschule, ihre ungefähr zehn künstlerischen Mitarbeiter*innen und insbesondere ihre Leiterin Marie-Luise Jauch noch lange Zeit in ähnlicher Weise weiterarbeiten und ihren Beitrag zur musikalischen Kultur in der Landeshauptstadt Hannover leisten können. Und dass sie – so ein mehrfach am Rande der Konzerte zu vernehmender Wunsch – endlich ein zentrales Gebäude für ihre Arbeit zur Verfügung gestellt bekommt. Auf diese Weise könnte sie ihr Nomadenleben zwischen unterschiedlichen Schulgebäuden beenden, zu dem sie in den ersten zwanzig Jahren ihres Bestehens verurteilt war.
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