Zwischen dem 28. August und 10. September hat die Klassikwelt wieder nach München geblickt. Denn in den Kategorien Harfe, Kontrabass, Klaviertrio und Bratsche hat die ARD die 72. Ausgabe des ihrer Meinung bedeutendsten Musikwettbewerbs veranstaltet. Die Teilnehmerzahlen wollen der Behauptung auch rechtgeben, wäre da nicht eine Welle von Reformmaßnahmen, die wie Gewitterwolken über dem Wettbewerb hängen und den Glanz von Größe eintrüben. Wie allen großen Veranstaltungen geht auch dieser eine Pressekonferenz am 24. August voraus. Neben einer klaffenden Finanzierungslücke, die das Budget ab 2025 von 740.000 Euro auf die Hälfte herunterkorrigiert und vom BR nicht vollständig ausgeglichen werden kann oder will, sorgten genauso für Verwunderung wie das unkommentiert gebliebene Abtreten von Oswald Beaujean, der die vergangenen Jahre zusammen mit Meret Forster die künstlerische Leitung innehatte. An dessen Stelle tritt ab sofort Falk Häfner. So mag die Personalie vielleicht keinen großen Einfluss auf den Wettbewerb haben, doch es ist ein symbolisches Zeichen für eine Klassikinstanz im Wandel.
Ein Wettbewerbsriese in Zeiten seiner Verzwergung
Der Beginn des Wettbewerbs wurde durch die Harfe eingeläutet. Das Instrument scheint qualitativ wie quantitativ in fester weiblicher Hand zu sein, setzte sich doch aus vierzig Harfenistinnen und Harfenisten im Semifinale lediglich ein männlicher Teilnehmer durch: Marcel Cara aus Frankreich, der auch den Auftakt machte. Eine Besonderheit der Kategorie war dieses Jahr, dass alle Teilnehmenden in Semifinale und Finale das gleiche Repertoire zu spielen hatten, ein fünfminütiges solistisches Stück nach Wahl ausgenommen. Cara versuchte Publikum und Jury mit einer sehr verspielten Interpretation des ersten Stücks, Georg Friedrich Händels Harfenkonzert in B-Dur (HWV 294) zu verzaubern.
Was bei dem barocken Konzert noch von interpretatorischer Freiheit zeugt, entpuppte sich beim zweiten Pflichtstück, Camille Saint-
Saëns Fantasie für Violine und Harfe in A-Dur als Problem. Denn das Stück verlangt von der Harfe neben klaren Akzenten auch den Mut, die Violine, die in Fragen der Virtuosität eindeutig die dominantere Rolle spielt, dynamisch in den Schatten zu stellen. Da half dann auch nicht mehr die grundsolide Interpretation der wunderbaren Neukomposition von Édith Canat de Chizy „En pointe sèche“, ein sehr lyrisches Stück in konservativerer Sprache, das zwischen geisterhaften Melodien, Glissandi und rhythmisch akzentuierten Figuren changiert. Cara schied aus. Ein anderes Profil legte da die Schweizerin Tjasha Gafner an den Tag. Schon die ersten Noten ihres Händels zeugten von einem kraftvollen und dabei akzentuierten Spiel, dass diese in gleicher Weise auch bei der Saint-Saëns-Fantasie anwendete. Gafner war die einzige Bewerberin, die das Verhältnis von Violine zur Harfe neu ordnete, und sich verdient für das Finale qualifizierte. Sowohl die Französin Alexandra Bidi und Lea Maria Löffler aus Deutschland knüpften an die das Finale verheißende Interpretation des Violinen-Harfen-Duos an, sorgten beim Händel sogar für weichere und dabei elegantere Klänge. Die Spanierin Noelia Cotuna Rizea und die deutsche Johanna Görißen scheiterten, trotz solidem Händel-Konzert, am Saint-Saëns. Hauptstück im Finale war das Harfenkonzert in C-Dur von François-Adrien Boieldieu. Alle drei Bewerberinnen gaben dem Konzert einen eigenen Charakter, wobei Bidis Stilistik durch Weichheit und Wärme, und Loefflers durch eine kristallklare Nüchternheit geprägt war. Hier war es wieder Tjasha Gaffner, die mit unerreichbarer Expressivität und Präzision und nicht zuletzt einer raffinierten Schlusskadenz im letzten Satz, dem Konzert ein Eigenleben verlieh. Da brauchte man die engelsgleichen Arpeggien von Sergej Prokofjews Präludium in C-Dur, op. 12 Nr. 7, nicht mehr abzuwarten. Gafner erhielt den 1. und den Publikumspreis. Die beiden anderen wurden aber jeweils mit einem 2. Preis belohnt.
Krawall gewollt
Eine Besonderheit in diesem Jahr war das Auftragswerk „Krawall“ von Gordon Kampe, dass bei Kontrabass bereits im zweiten Durchgang zu spielen war, und damit von 17 Personen. Kampe verlangte den Teilnehmenden eine spieltechnisch hochausdifferenzierte Etüde ab, die in der Bezugnahme der eigenen Stimme gipfelte. Die stark geforderten Spielerinnen und Spieler waren dabei sehr erfinderisch in der Interpretation des Stücks, was dem Publikum zugutekam, das sich durch ein sonst eher wenig erwähnenswertes Stück Musik hätten kämpfen müssen. So eindeutig die Wahl des Repertoires im Fach Kontrabass, zumindest im Semifinale ausfiel, so klar kristallisierten sich auch die drei Besten darunter heraus. Alle Semifinalisten entschieden sich für das Kontrabasskonzert in D-Dur von Johann Baptist Vanhal, doch nur José Trigo aus Portugal, Gabriel Polinsky aus den USA und Hongyiu Thomas Lai legten eine innovative Darbietung ab.
So entschied in nicht unerheblichen Maß die Schlusskadenz des ersten Satzes über Scheitern und Gelingen dieses Werks. Triga bot dabei ein manieristisches, fast schon selbstinszenatorisches Spiel. Anders Polinsky, dessen fehlende Ausstrahlung durch eine sachliche und nüchterne aber gut nachvollziehbare Version des Werks vom Publikum mit Applaus und Jubelrufen belohnt wurde. Schließlich komplettierte Lai, der die Musik Vanhals mit seiner etüdenhaften Kadenz nicht nur spielte, sondern durch seine gesamte körperliche Haltung fühlte, das Finalisten-Trio. Dort wurde dann von Lai das romantische Kontrabasskonzert Nr. 2 in h-Moll von Giovanni Bottesini gespielt, flankiert jeweils durch eine Darbietung des Kontrabasskonzerts in fis-Moll, op. 3, von Sergej Koussevitzky. Trigo begann das elegische Werk in einem Satz mit hinreißendem Spiel und konnte dieses zu einer Symbiose aus Solisten und Orchester stilisieren, scheiterte aber dann an der Länge des Stücks. Das Spiel drohte zu verschwimmen. Leichter hatte es Thomas Lai mit seinem formkonservativeren Bottesini. Auch hier überzeugte der aus Hong Kong stammende Kontrabassist vor allem das Publikum mit ausgefeilter Kreativität in den Kadenzen und der Lebendigkeit seines warmen Spiels: ein verdienter 2.- und noch mehr verdienter Publikumspreis. Polinsky jedoch setzte mit seiner lässigen und dabei technisch versierten Interpretation von Koussevitzky Maßstäbe. Mit der spielerischen Selbstverständlichkeit eines Jazz-Kontrabassisten konnte er sich den 1. Preis erspielen.
Finaler Zweikampf
Über dem Halbfinale der Kategorie Klaviertrio schwebt der Eindruck, den die Auftragskomposition „Kaolin“ hinterlassen hat. Ein in hohen Lagen teilpräpariertes Klavier trifft auf hektisches Treiben in den Streichern. Dazu kommt das Reiben eines Trinkglases auf den offenen Saiten des Klaviers und so manche gähnende Stille. Ein zehnminütiges, wenig interessantes Stück zwischen musikalischem Gewaltexzess und kompositorischer Leere. Und die Partizipierenden bemühen sich inständig, dem Stück ein wenig Geist einzuhauchen – vergebens. Umso wichtiger da die zur Auswahl stehenden Klaviertrios von Beethoven. Das Trio Orelon erspielte sich mit einer souveränen Darbietung des op. 1 Nr. 3 in c-Moll das Finale. Das französische Trio Pantoum und das Amelio Trio aus Deutschland erspielten sich mit op. 73 Nr. 1 die nächste Runde und setzten sich damit gegen das tschechische Trio durch, dem die beste Interpretation der fragwürdigen Auftragskomposition gelang. Das Finale wiederum war ein Zweikampf aus Kammersonate von Hans Werner Henze und der Wahl eines der beiden Klaviertrios von Franz Schubert.
Aufgrund der Schwierigkeit, die sehr nüchterne Kammersonate lebhaft zu inszenieren, erfreut sich das Werk hoher Beliebtheit bei den Veranstaltern. Sie ist als Pflichtstück schon in vorangegangenen Ausgaben des Wettbewerbs zu hören gewesen. Daran scheiterte das Trio Pantoum wie auch an der ambitionierten Entscheidung für die ungekürzte Fassung von Schuberts Klaviertrio Nr. 2 in Es-Dur. Zu wenig Kraft konnte das Cello aufrechterhalten, zu dominant war das Klavier beim alles entscheidenden vierten Satz, der mit zusätzlichen Themendurchläufen über zwanzig Minuten andauert. Am Ende fehlte für mehr als Platz 3 schlicht die Ausdauer. Nicht so die Musiker des Amelio Trio, die, durch differenzierte Akzentuierungen in jedem der fünf Sätze, aus der Kammersonate ein gänzlich neues Werk erschufen. Deren Klaviertrio Nr. 1 in B-Dur war eine gelungene Hommage an den Wiener Komponisten, das durch herzliche Wärme und beständige Kraft verzauberte, und den Deutschen einen verdienten 2. Preis einbrachte. Den Sieg trug allerdings das Trio Orelon davon. Neben einem wirkmächtigen Henze, war es vor allem das zweite Klaviertrio, diesmal in kürzerer Fassung, das mit Vielfältigkeit überzeugte. So erheben diese die plätschernden Kaskaden des ersten und die grazile, aber pathetische Schönheit des zweiten Satz, im vierten Satz zu einem charakterreichen Gesamtkunstwerk.
Verhaltenes Klangsubstrat
Die letzten Finalrunden waren der Bratsche vergönnt. Bereits im Halbfinale zeichnete sich – vielleicht stärker als in den anderen Gattungen – die Überlegenheit der Finalisten ab: Haesue Lee aus Südkorea glänzte mit einer zur technischen Perfektion getriebenen Interpretation von Franz Anton Hoffmeisters D-Dur-Konzert. Interessant hierbei das Auftragswerk „Doryphóros“ (der Speerträger) von Alberto Posadas, ein verhaltenes Klangsubstrat, dass ostinate und melodische Strukturen miteinander verbindet um dann mit der Spielbarkeit der Bratsche in hohen Lagen zu experimentieren – der Name der Komposition ist möglicherweise eine Hommage an die neoklassizistischen Qualitäten des Werks. Lee verstand es dabei, das Stück unter vollem Einsatz expressiver Mittel zu inszenieren. Auch Takehiro Konoe entschied sich für Hoffmeister und bewies zusammen mit einem noch runderen Posadas den Anspruch für das Finale. Erwähnenswert ist die Vorführung von Carl Stamitz Bratschenkonzert in D-Dur durch Ionel Ungureanu, der mit seinen eigenen Kadenzen dem Stück ein Eigenleben verlieh. Die Kadenzen changierten dabei von Spätklassik, über einen romantischen Virtuosenstil bis in zeitgenössische Formen. Da wäre das Weiterkommen zu verwehren eine Frechheit gewesen. Im Finale erstritten sich Ungureanu mit dem Bratschenkonzert von Béla Bartók und Konoe mit William Walton einen dritten Preis. Ungureanu meisterte sein Konzert, das einer Soloetüde mit Orchesterbegleitung nahekommt, mit Bravour. Leider erlaubte er sich fast schon jazzartige Freiheiten, auf Kosten der Synchronität mit dem Orchester. Bei Konoe war das Gegenteil zu beobachten. Der Japaner lieferte eine schulmeisterliche Interpretation von Walton ab, der man fehlendes technisches Verständnis gewiss nicht unterstellen kann. Doch diese musikalische Tragödie in Konzertform birgt einige Gefahren für den Solisten. Zu oft muss die Solobratsche in diesem Konzert zugunsten von ausgedehnten Orchesterparts schweigen. Schwierig ist es da für einen introvertierten Solisten zu glänzen. Das machte sich wiederum Haesue Lee zunutze. Sie beherrscht die extrovertierte Sprache, die für Walton unabdingbar ist, und verlieh diesem erst den reißerischen Charakter, was ihr unter Jubelrufen den 1.- und den Publikumspreis einbrachte.
Neben Oboe, Violoncello und der beliebten Gattung Gesang steht 2024 auch Bläserquintett auf dem Wettbewerbsplan. Das ist insofern relevant, als letzteres nach den bevorstehenden Einsparmaßnahmen keine Zukunft mehr hat und daher seinen letzten Durchgang erleben wird. Mag allein schon aus dem Sichtpunkt des Repertoires, das Bläserquintett tatsächlich von untergeordneter Bedeutung sein, so trifft das auf die beiden weiteren Abschusskandidaten Orgel und Gitarre nicht zu. Man erwartet da gespannt, mit welchen Erfolgsmeldungen die Verantwortlichen bei den Rundfunkanstalten in den nächsten Jahren die Bedeutung des Wettbewerbs rechtfertigen wollen, während sie weiter am weit verzweigten Ast der Kunst sägen – eine der letzten Branchen, für die man uns in aller Welt noch zu Recht beneidet. Vermutlich bemerken sie es gar nicht, denn Kunst wirkt wahrlich groß, wenn sie in ihrem Dämmerlicht weite Schatten wirft.
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