Jedes Jahr ist der Internationale Musikwettbewerb der ARD – einer der größten und vielfältigsten seiner Art – mit 21 unterschiedlich häufig wechselnden Fächern Anfang September das erste musikalische (Groß-)Ereignis der noch jungen Saison im fast unüberschaubar reichen Musikleben Münchens. Dieses Jahr wurde er zum 67. Mal ausgetragen und versammelte 58 Sänger/-innen, 17 Klaviertrios, 39 Trompeter und 40 Bratscherinnen im jeweils ersten Durchgang. Von ihnen kamen in den jeweiligen Fächern nicht mehr als sechs ins Semifinale. Doch die spiegelten die hohe Qualität in allen Fächern, insbesondere bei den Sängern oder beim Klaviertrio, wo man viele Teilnehmer gerne über den zweiten Durchgang hinaus gehört hätte.
Man muss wohl wirklich alle Runden in einem Fach erlebt haben, um immer jede Entscheidung einer Jury nachvollziehen zu können, denn sie muss die drei ersten Durchgänge am Ende stets mitbewerten. So im Gesang: Die vier Finalisten hatten in allen vier Durchgängen Grandioses geleistet, die russische Mezzosopranistin Natalya Boeva allerdings war mit ihrer sängerischen Souveränität und stilistischen Bandbreite einzigartig. Sie traute sich schon im zweiten Durchgang, auf ein A-cappella-Lied Aribert Reimanns das anfangs ebenfalls unbegleitete Verdi-Requiem anzuschließen und ließ auf Bachs „Es ist vollbracht“ die Bach-Reminiszenzen in der Klage der vergewaltigen Lucretia Benjamin Brittens folgen. Milan Siljanov konnte im Finale mit so unterschiedlichen Herausforderungen wie Escamillo und Philipp II. wieder ganz dicht aufschließen und einen zweiten Platz erringen, während der immer wieder mit ausnehmend schönem Tenor, leichter Tongebung, feiner Ausdruckskraft und schon enormer Bühnenpräsenz verzaubernde Tenor Mingjie Lei aus China doch enge Fachgrenzen zeigte. Und auch bei der lyrischen Koloratursopranistin Ylva Sofia Stenberg aus Schweden war trotz reifer Leistung mit Gilda und Königin der Nacht am Ende noch Luft nach oben; beide bekamen daher einen 3. Preis.
Klaviertrio
Obgleich der Große Konzertsaal der Hochschule für Musik und Theater sich schon ab der ersten Runde immer gut füllte, war das Fach Klaviertrio für alle Beteiligten außerordentlich anstrengend. Und es stellte sich die Frage, ob denn bereits der zweite Durchgang jeweils 70 Minuten umfassen und im Finale einem großen 45-minütigen Schubert-Trio Henzes heikle Kammersonate vorausgehen muss? Das sind gewaltigere Ansprüche, als sie jeder Konzertbetrieb fordert. Dies führte bei so gut wie allen Ensembles in der Zielgerade zu physischer Ermüdung, was gleichbedeutend war mit Konzentrationsmängeln und Intonationstrübungen. Da hieß es: Nerven bewahren! Dem Aoi-Trio gelang das und sie hielten für den 1. Preis im schweren, langen späten Es-Dur-Trio Schuberts mit großer Leuchtkraft, Intensität und Ausgewogenheit aller Instrumente bis in die letzten Takte durch. Trio Marvin, das nicht erst seit dem Semifinale mit herrlich gespanntem, oftmals vibratoarmem Ton bei Beethoven wie Schubert überzeugte, errangen dafür einen von zwei 3. Preisen (ein 2. wurde nicht vergeben). Das ungleich weniger überzeugende Lux Trio hatte allerdings schon im zweiten Durchgang überragenden Haydn gespielt und konnte danach sein hohes Niveau halten.
Trompete
Eine kleine Sensation fand im Fach Trompete statt: Die 20-jährige Selina Ott aus Österreich war die erste Frau in einem der zehn Trompeten-Wettbewerbe in 67 Jahren, die einen ersten Preis gewann. Leider war der vielversprechende Trompeter Lucas Lipari-Mayer trotz eines traumhaft schön gespielten Hummel-Konzerts nach dem Semifinale ausgeschieden, der mit dem zweiten Jolivet-Konzert, das alle Finalisten spielen mussten, überragende Ungar Mihály Könyves-Tóth erhielt neben dem zweiten Preis zu Recht sowohl den Publikumspreis wie die Auszeichnung für die beste Interpretation des zeitgenössischen Auftragswerks. Ebenfalls zweitplatziert wurde Célestin Guérin.
Auch im Fach Bratsche, wo schon das Semifinale ganz in asiatischer Hand war, gab es einen Jugendbonus für den ebenfalls erst 20 Jahre alten Takehiro Konoe, der einen 3. Preis bekam. Für exzellent gespielten eminent schweren Hindemith („Der Schwanendreher“) bekam Yucheng Shi zurecht einen 2. Preis und Djyang Mei räumte mit fantastischem Bartók den 1. Publikumspreis und den für die beste Interpretation des Auftragswerks ab.
Neue Musik
Jedes Jahr sind diese zeitgenössischen Auftragswerke, mit denen die Leitung des Wettbewerbs renommierte Komponisten beauftragt, eine besondere Herausforderung für alle Teilnehmer. Manchmal scheuen Bewerber diese Herausforderung und treten gar nicht erst an, denn sie ist der Lackmus-Test für jeden Kandidaten. Dann zeigt sich, ob er auch bei heikelsten modernen Partituren nicht nur Töne trifft, sondern ausdrucksvoll Musik machen kann.
Heikle Nelly-Sachs-Deutungen von Stefano Gervasoni, feine Porträts für Bratsche nach einem Chagall-Bild von Konstantia Gourzi, originelle Glissandi im Klaviertrio von Miroslav Srnka oder ein eher etüdenhaftes Stück für Trompete von Olga Neuwirth: Die Bandbreite der Kompositionen war so groß wie die Unterschiede bei ihren Interpretationen. Beim sechsten Mal hatte man ein Stück jedenfalls in all seinen Facetten kennengelernt und die Schule des Hörens, die jeder ARD-Musikwettbewerb zu Beginn einer Konzertsaison bedeutet, trug besonders reiche Früchte.