Diesmal holte sich der ARD-Wettbewerb einen Eigengewinn: die Frauen-Quote wurde überschritten. Denn alle acht Solopreise gingen an Bewerberinnen. Die Wettbewerbsleitung versichert, Entscheidungskriterien der hochprofessionellen Jurygremien seien nach wie vor ausschließlich Aspekte von Musiktechnik und künstlerischer Gestaltung. So ergab es sich, was in der über 60-jährigen ARD-Wettbewerbsgeschichte noch nie eingetreten war: In den diesjährigen Solokategorien Violine, Viola und Fagott hatten es ausschließlich Musikerinnen ins Finale geschafft. Stärkste Teilnehmerfraktionen waren diesmal Südkorea und Japan, danach Deutschland und Frankreich. Von den 21 deutschen Solisten erreichte allerdings keiner das Semifinale.
Der andere Clou: Zwei Instrumente, die vor einiger Zeit noch als „Mangelinstrument“ galten, zeigten sich qualitativ und quantitativ in Höchstform: Viola und Fagott, zuletzt vor fünf und sechs Jahren Wertungskategorie im ARD-Wettbewerb. Er gilt weltweit als einer der künstlerisch anspruchsvollsten: Podiumsreife selbstverständlich. Die Anmeldungen für diesen 62. internationalen Musikwettbewerb der ARD waren so zahlreich, dass aus Kapazitätsgründen wiederum eine Vorprüfung eingeschaltet wurde. Nur jede zweite Bewerbung erhielt eine Einladung, insgesamt über 200 Musikerinnen und Musiker aus 37 Ländern. So schraubt sich die Erwartung und auch die Messlatte für die künstlerische Leistung immer höher, ja so hoch, dass in diesem Jahr in drei der vier Kategorien auf die Vergabe erster Preise verzichtet wurde.
So gab es im Fach Violine nur zwei 2. Preise, für die Südkoreanerin Bomsori Kim, die sich im Finale mit Brahms’ Violinkonzert, beim Abschlusskonzert mit Mozarts A-Dur-Konzert und dem Münchner Rundfunkorchester unter Milan Turković vorstellte, und für die Amerikanerin Christel Lee, die den abschließenden Höhepunkt mit Sibelius’ Violinkonzert setzte, begleitet vom BR-Symphonieorchester unter Antonio Méndez.
Beglückend, die Begegnung mit dem Fach Viola: ein Gewinn, die unglaubliche Bandbreite originaler Literatur, die zur Wahl stand, und die Virtuosität und das hohe Selbstverständnis, mit dem sie vorgestellt wurde. Das verschafft dem Instrument und seinen Spielern eine besonders hohe Reputation. Sicher nicht nur dies, vielmehr die Perfektion der Spieler forderte die Vergabe aller drei Preise heraus. Der erste und zweite ging in Südkoreas Hände: Yura Lee präsentierte Bartóks hinterlassenes, von Tibor Serly ausgearbeitetes Viola-Konzert mit dem BR-Symphonieorchester, Kyoungmin Park das Konzert von F.A. Hoffmeister D-Dur mit dem Rundfunkorchester, während die Polin Katarzyna Budnik-Gałązka (3. Preis), begleitet vom Münchener Kammerorchester, mit dem Konzert op. 1 von Carl Stamitz dank einer großartig gestalteten Kadenz in Erinnerung bleibt.
Die Fagottisten verstanden, eine unglaubliche technische Brillanz und enorme Modulationsfähigkeit in den Klangfarben vorzustellen. Virtuoser Höhepunkt: das Konzert von André Jolivet. Dabei konkurrierten im Finale die zwei 2. Preisträgerinnen, die Französin Sophie Dartigalongue und die in Trossingen aufgewachsene und an der dortigen Musikhochschule ausgebildete Japanerin Rie Koyama. Die spanische Farmerstochter Maria José Rielo Blanco, inzwischen bei den Bamberger Symphonikern, holte sich mit Carl Maria von Webers Fagottkonzert den 3. Preis und den neuen BR-Klassik Online-Preis.
Dem Ensemblemusizieren schenken die Hochschulen angesichts zurückgehender Orchesterplanstellen offensichtlich zunehmend Aufmerksamkeit. Im öffentlichen kammermusikalischen Musikangebot und damit bei den Konzertvermittlern hat das Streichquartett eine höhere Akzeptanz gegenüber Klaviertrios. Insofern war es höchsteZeit, dass der ARD-Wettbewerb sich dem Klaviertrio wieder öffnete. 12 der 26 Klaviertrios (darunter sechs aus Deutschland) setzten sich aus Musikerinnen und Musikern mit unterschiedlicher Nationalität zusammen, ein Beleg dafür, dass sich Ensembles während des Studiums zusammengefunden haben, sei es an einer der Hochschulen in Deutschland, oder irgendwo zwischen London, Paris und Moskau. An ihrem Repertoire arbeiteten sie, wie die Lebensläufe belegen, zwischen drei und sechs Jahren. Voraussetzung sind nicht nur ähnliche musikalische Neigungen und gleichwertiges technisches Können, stimmen muss auch die menschliche Balance, um zu solchen Hochleistungen zu kommen, wie sie hier zu hören waren.
Das demonstrierten insbesondere die fünf Klaviertrios, die das Semifinale erreichten, von denen sich im Finale leider nur zwei durch ihre interpretatorischen Höhepunkte qualifizierten – nach den Statuten des Wettbewerbs durfte es nicht zwei 1., aber zwei 2. Preise geben. Beide Trios, das holländisch-französische Baerle Trio aus Amsterdam und das französische Trio Karénine belegten, wie jenseits jeder Technik ein Ensemble zusammenwachsen und ausstrahlen kann. Schon im Semifinale demonstrierten sie dies, jedes Trio auf eigene Art und Weise, bei der unerhört konzentrierten Wiedergabe von Schuberts Trio B-Dur op. post. 99 oder dann bei dem Pflicht- und Auftragswerk von Fazil Say „Space Jump“ im Semifinale. Und in den eindrucksvollen Schlusskonzerten nochmals gesteigert – das Baerle Trio mit Mendelssohns Trio c-Moll op. 66, das Trio Karénine in Robert Schumanns Trio d-Moll op. 63 in einer an Leidenschaft und inniger Empfindung großartigen Interpretation.