Einmal im Jahr lässt Lea Philippa Heinrich, wie sie es selbst ausdrückt, Studentinnen, Studenten und Kinder „in ein gemeinsames Abenteuer stürzen“. Und zwar in Form eines partizipativen Kitakonzerts. Dies tut die Gastdozentin an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin seit über zehn Jahren. Die ersten Konzerte konzipierte sie zusammen mit Andrea Tober, heute Rektorin der HfM. Inzwischen leitet die Musikvermittlerin das Projekt in Eigenregie.

Thema des letzten Berliner Kitakonzerts: „Frieden“. Foto: Pat Christ
Wie bringt man Harmonie ins Land?
Bei den Kitakonzerten bilden jeweils unterschiedliche Themen den Hintergrund. „Sie richten sich nach dem, was die Studentinnen und Studenten und was die Kinder gerade interessiert“, erklärt Lea Philippa Heinrich, Mitglied im Forum Musikvermittlung an Hochschulen und Unis. Beim letzten Mal entführte das Konzert in ein zerrüttetes, zerstrittenes Land. Die Menschen waren einander nicht mehr gut. Wie stellt man wieder Frieden her? Wie kommt man wieder zu Harmonie? Um diese Frage drehte sich das Kinderkonzert.
Zwischen 80 und 90 Kinder nehmen jeweils teil. Sind so viele Jungen und Mädchen beieinander, können sie eindrucksvolle Stimmungen hervorzaubern. „Beim letzten Konzert hatten die Kinder zum Beispiel Gewitter in den Raum gebracht“, erzählt Lea Philippa Heinrich. Die Drei- bis Sechsjährigen klopften mit den Fingern auf dem Boden, um den Klang von Regentropfen nachzumachen. Als dann die kleinen Füße auf dem Boden stampften, klang das überwältigend nach Donner. Später nahmen die Studentinnen und Studenten die Kinder mit in den Zauberwald, wo die Vögel ein eindrucksvolles Konzert gaben. Unter Mithilfe der Kinder.
So ein in Workshops erarbeitetes Kitakonzert ist für die Kleinen eine aufregende, meist noch nie zuvor erlebte Sache. Mit allen Sinnen sind sie dabei. Mit ihrer Stimme. Mit ihrem Körper. Auch mit den Augen, wenn es zum Beispiel darum geht, im Zauberwald bunte Tücher zu schwingen. Emotional erleben sie während des Konzerts Wechselbäder der Gefühle. Als es zum Beispiel beim letzten Mal wegen der feindseligen Stimmung plötzlich immer kälter wurde, sind auch die Kinder für einen Moment zu Eiszapfen erstarrt.
Auf Augenhöhe
Die Konzerte finden im Galakutschensaal II der Berliner Hochschule statt. Der kleine Raum wird dafür mit Sitzkissen ausgestattet. Die Studentinnen und Studenten bewegen sich zwischen den Kindern. Man ist auf Augenhöhe, ist in unmittelbarem Kontakt: „Die Studentinnen und Studenten sind dort, wo auch die Kinder sind.“ Sie sollen mitgenommen, sie sollen in Aktion gebracht werden. Mit einer aufregenden Geschichte, deren Spannungsbogen sich im Laufe des Konzerts allmählich auflöst.
Musikalisch erleben die Kinder bei den kurzweiligen, fantasievollen Mitmachkonzerten eine große Bandbreite an Musikrichtungen, an Stilen, an Epochen. „Im letzten Jahr hatten sie zum Beispiel gelernt, ein Menuett zu tanzen“, berichtet Lea Philippa Heinrich. Es gab außerdem französische Chansons zu hören. Und es wurden verschiedene Volkslieder in das einstündige Programm eingestreut. „Dabei schauen wir, dass es sich nicht nur um deutsches Liedgut handelt“, so die 38-Jährige.
Am 13. und 14. März wird das zehnte Kinderkonzert realisiert. Seit November arbeiten die Studenten daran. An den beiden Tagen finden, nach intensiver Probephase, insgesamt vier Konzerte statt. Die Kindergruppen sind bunt gemischtt. Es geht also keine Kita mit allen Gruppen geschlossen ins Konzert. Die Kinder der einen Kita begegnen Jungen und Mädchen, die in drei anderen Berliner Kitas spielen und lernen.
Wege zum Frieden
Die Geschichten, die den roten Faden abgeben, laufen meist darauf hinaus, dass ein Problem gemeinsam bewältigt werden muss. Wie zum Beispiel ist es möglich, wieder zu Harmonie zu kommen? Wie ist es möglich, Frieden zu schaffen? Beim vergangenen Kinderkonzert kamen die großen und kleinen Akteure auf die Idee, so Lea Philippa Heinrich: „Am besten schafft man das, wenn man miteinander kommuniziert.“ Als ideales Mittel, um über sprachliche, kulturelle oder andere persönliche Grenzen hinweg wieder in Dialog zu kommen, entdeckten Kinder und Studenten die Musik mit ihrer universal verbindenden Kraft.
Für die Studentinnen und Studenten bedeutet das Projekt eine Herausforderung. Nicht zuletzt deshalb, weil Kinder ein ungemein ehrliches und ein nicht ganz berechenbares Publikum sind. Es kam auch durchaus schon mal vor, dass ein Kind plötzlich aufstand und sich neben einem Gitarrenspieler aufbaute. Aus lauter Neugier. Mit dieser kindlichen Spontaneität muss man während des Konzerts umgehen können.
Das anspruchsvolle Projekt dient nicht zuletzt dazu, Studentinnen und Studenten Kompetenzen für ihren späteren beruflichen Weg mitzugeben und ihnen zu helfen, sich professionell aufzustellen. „Es ist wichtig, breit versiert unterwegs zu sein“, sagt Lea Philippa Heinrich. Zu den essentiellsten Kompetenzen von Musikpraktikern gehört Kreativität. Eine weitere wichtige Kompetenz besteht darin, ein Konzept stricken zu können, das Hand und Fuß hat. Die Studenten erfahren nicht zuletzt, dass es wichtig ist, gerade auch Kindern etwas qualitativ Hochwertiges anzubieten. Damit der Funke überspringt. Damit Passion für Musik geweckt werden kann.
Am Ende des Kitakonzerts haben die Jungen und Mädchen Gelegenheit, die Studenten zu löchern. Was immer sie fragen wollen, dürfen sie fragen. Das kann das Konzert betreffen. Oder die studentischen Akteure. „Was ist denn dein Lieblingslied?“, lautet eine gern gestellte Frage. Oder auch: „Wie lange spielst du denn schon Geige?“ Manche Fragen gehen sogar etwas tiefer. Auf jeden Fall ist auch beim Antworten Spontaneität gefragt. Und ein Einfühlen in die Gedanken- und Erlebniswelt von Kindern.
Studentische Mitwirkung
Studenten aller musikalischer Fächer nehmen an dem Projekt teil. Manchmal sind es nur drei. Nie waren es bisher mehr als zehn. Häufig handelt es sich um Studentinnen und Studenten, die bereits Kontakt mit Kindern hatten. Manche hatten als Kind selbst schon mal ein Kinderkonzert erlebt: „Das war natürlich vor 15 Jahren noch völlig anders als heute“, so Heinrich. Was die Instrumente anbelangt, war bisher die gesamte Bandbreite vertreten. Von Harfe über Klavier bis hin zum Cello. Auch ein Chorleitungsstudent machte einmal mit. Im Stück agierte er dann als Chorleiter für die Kinder.
Während des Konzerts sind immer mindestens zwei Erzieherinnen anwesend: „Deren Aufgabe ist es, die Kinder im Blick zu behalten, was meistens auch gut funktioniert.“ Befinden sich Kinder mit bestimmten Bedürfnissen in der Gruppe, vielleicht solche mit ADHS oder Autismus, wird vorab Bescheid gegeben. Dann können sich die Studentinnen und Studenten darauf einstellen.
Haben die Kita-Konzerte einen Effekt auf die Jungen und Mädchen, die daran teilnehmen? Noch wurde dies nicht evaluiert. Allerdings weiß Lea Philippa Heinrich Genaueres über den Weg, den die studentischen Projektteilnehmer eingeschlagen haben: „Nicht wenige von ihnen haben später eigene Ensemble gegründet.“ Einige sind kurativ unterwegs. Von wieder anderen weiß die Musikvermittlerin, dass sie inspirierende, innovative Konzepte für Musikprojekte entwickelt haben.
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