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Norbert Jürgen Schneider: Komponieren für Film und Fernsehen. Ein Handbuch. Schott, Mainz u.a. 1997, 304 Seiten, 49,80 Mark.Als „Sensibilisierungsbuch“ möchte Norbert Jürgen Schneider sein neuestes Werk sehen. Gewidmet habe er es allen, die vom Faszinosum „Filmmusik“ angezogen werden. Eine zärtliche Widmung, die zu dieser klassischen „labor of love“ paßt. Eines vorweg: dem Filmkomponisten und Professor ist mit diesem „Handbuch“ ein großer Wurf gelungen. Der Titel spielt natürlich an auf die „Mutter“ der deutschen Filmmusik-Literatur, Adorno/Eislers „Komposition für den Film“. Eine Polemik, geschrieben im Hollywood der frühen Vierziger, die freilich heute im „Multi-Media-Zeitalter“ etwas verstaubt wirkt. Nur eine handvoll unentbehrliche Bücher sind zu diesem Thema bis 1997 erschienen, Schneiders Handbuch, gehört dazu.
„Komponieren für Film und Fernsehen“ ist die Essenz aus Schneiders bisherigen Veröffentlichungen (u.a „Die Kunst des Teilens“) und sein reifstes Buch dazu. Geschrieben hat er es aus Trotz gegenüber den „Verarmungstendenzen massenkultureller Produkte“ – wg. der „Affirmation der Kulturindustrie“ (Adorno). Doch Schneider jammert nicht, denn er weiß: „Jahr für Jahr zeigen einige große Filmproduktionen, daß sich differenziertes Arbeiten und kreatives Suchen nach Wahrheiten (jenseits eines Profitdenkens) lohnen und dadurch Filme entstehen, die zum ‚trendsetter‘ werden, die (wie alle wirklichen Kunstwerke) Menschen zu erschüttern vermögen und letztlich sogar doch noch ein Kassenerfolg werden.“ Er nennt dafür Beispiele wie „Das Schweigen der Lämmer“, „Paris, Texas“ oder „Spiel mir das Lied vom Tod“. In all diesen Fällen fand eine wunderbare „Hochzeit“ statt zwischen Bild und Ton. Immer am Rande der Schizophrenie sieht Schneider den Filmkomponisten: „Auf der einen Seite muß man analytisch, intellektuell, prozeßorientiert, buchhalterisch im Umgang mit Zeit und Produktionsschritten sein, auf der anderen Seite muß man in gleichem Maße emotional, intuitiv, ganzheitlich, ursprünglich, unverbildet und direkt arbeiten können.“ Nur eine gewachsene Musikerpersönlichkeit kann diese reizvolle Gratwanderung unternehmen. Schneider selbst verkörpert diesen Typus in Reinform. Und so ist er der ideale Vermittler von Theorie und „Handwerk“. Nützlich sind dabei auch seine Erfahrungen, die er in 400 TV- und Kinoproduktionen gemacht hat: „Denn so sehr sich Handwerk und Theorie auch lernen und abstrakt darstellen lassen, so sehr erfordert jeder Film immer wieder eine einmalige, individuelle und daher nicht wiederholbare Lösung kompositorischer Fragen.“
Weil sich Schneider bewußt ist, daß der Filmkomponist manipuliert, läßt er in seine Überlegungen immer wieder Kenntnisse aus der Musiksoziologie und Musikpsychologie einfließen. Die „Seele“ eines Films stellt für Schneider die „Filmmischung“ dar, die Symbiose aus Geräuschen, Dialog, Atmos und Musik, der „Soundtrack“, das „Sound-Design“. „Emotionale Filmgestaltung heißt das Zauberwort jener Filme, die den Zuschauer so packen, daß er im psychischen Sog der Leinwandfigur die tatsächliche Filmlänge völlig vergessen kann.“ Besonders die Hörperspektive kann diesen Effekt beim Zuschauer auslösen, wie die grandiosen „Hörfilme“ David Lynchs („Lost Highway“) beweisen. Wir „sehen“ mit den Ohren, wie wir aus der Hirnforschung wissen, denn das Ohr informiert uns über die „innere Beschaffenheit der Welt.“
Komponieren mit Raum, Zeit und Klang steht im Mittelpunkt von Schneiders Interesse, das weit über die Filmmusik hinausweist. Die Themen reichen dabei von der „studiotechnischen Raumsimulation“ über „Melodie als Zeitgestalt“ bis zur „Klang-Bibliothek“. Besonders hilfreich für den Praktiker ist Schneiders akribisches Kapitel über die Entstehungsphasen einer Filmmusik. Was der Filmkomponist, der zumeist auch Produzent ist, dabei alles zu beachten hat. Das fängt z.B. bei den Vorbereitungen zur Studio-Session so an: „Sind wirklich alle Musiker über den Zeitplan informiert?“: Eine Frage, die pedantisch erscheint, die aber Schneider manchmal schon vor einem Planungschaos, das Zeit und Geld kostet, bewahrt hat. Da werden Tage, Uhrzeiten oder sogar der Monat verwechselt, wie er berichtet. Film ist Teamwork, und deshalb muß auch bei der Filmmusik alles bis aufs kleinste Detail perfekt organisiert sein.