Claudia Roth zum documenta-Eklat: „Hätte lauter sein müssen“ +++ Volker Beck kritisiert erneut documenta – Bilder nun mit Einordnung
Claudia Roth zum documenta-Eklat: „Hätte lauter sein müssen“
Hamburg/Kassel (dpa) – Kulturstaatsministerin Claudia Roth bedauert, sich nicht bereits vor der von Antisemitismus-Vorwürfen geprägten documenta-Eröffnung entschiedener zu Wort gemeldet zu haben. „Mir ist bewusst, dass es nicht reicht, wenn ich sage: Ich konnte nicht mehr tun. Auch wenn es objektiv stimmt. Vielleicht hätte ich bei den Diskussionen im Vorfeld der documenta-Eröffnung lauter und deutlicher sein sollen, sein müssen“, sagte die Grünen-Politikerin dem Nachrichtenmagazin „Stern“ (Ausgabe vom Donnerstag). Die Vorkommnisse in Kassel nannte Roth eine „Kette der Verantwortungslosigkeit, wo am Ende keiner verantwortlich gewesen sein will“.
Gelernt habe sie aus dem Vorgang, „dass ich mehr mitreden möchte, sobald der Bund Geld gibt“. Dabei bekräftigte die Politikerin ihre jüngsten Forderungen, dem Bund mehr Einfluss und eine unmittelbare Einbindung in die Strukturen der documenta zu geben. „Es kann nicht sein, dass in diesem Kunstföderalismus manchmal gerne Fördermittel entgegengenommen werden, aber konkrete Mitsprache zurückgewiesen wird. Wenn ich für etwas tatsächlich verantwortlich bin, habe ich auch kein Problem damit, verkloppt zu werden, wenn etwas schiefläuft.“
Bereits seit Monaten kursieren Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta. Kurz nach der Eröffnung der Ausstellung war ein Banner mit judenfeindlichen Motiven entdeckt und abgebaut worden. Roth betonte, der Bund sei in den Strukturen der documenta nicht vertreten und alle relevanten Entscheidungen zur diesjährigen Ausstellung seien bei ihrem Amtsantritt bereits getroffen worden.
Entschieden wandte sich die Kulturstaatsministerin gegen Versuche, antisemitische Darstellungen durch den Verweis auf die Herkunftsländer der Künstler zu relativieren. „Antisemitismus ist und bleibt Antisemitismus, ob in Indonesien, in der Türkei oder sonst wo“, sagte Roth. Wenn ausländische Künstlerinnen und Künstler zu einer deutschen Ausstellung eingeladen würden, müssten sie wissen, „was historische Verantwortung gerade hier bedeutet“.
Volker Beck kritisiert erneut documenta – Bilder nun mit Einordnung
Bei seinem Besuch der umstrittenen documenta in Kassel erneuert Volker Beck seinen Unmut über die Kunstausstellung. Derweil werden jüngst kritisierte Bilder nun mit einer Erklärung versehen.
Kassel (dpa) – Im Streit um als antisemitisch kritisierte Kunstwerke stehen sich Auffassungen des Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), Volker Beck, und der documenta-Verantwortlichen weiterhin unversöhnlich gegenüber.
Nach einem Besuch der Kunstausstellung in Kassel am Dienstag erneuerte Beck seine Kritik: „Die documenta fifteen ist wirklich ein Epochenwechsel in der Geschichte des deutschen Nachkriegs-Antisemitismus“, sagte er. Bislang habe man auf Antisemitismus-Skandale reagiert, indem man sich davon distanziert habe und der Antisemitismus gesellschaftlich geächtet worden sei. „Doch hier findet das ausdrücklich nicht statt.“
Die documenta hatte zuvor mitgeteilt, einige kritisierte Darstellungen zielten nicht auf Juden oder Jüdinnen als Einzelpersonen oder als Gemeinschaft ab, sondern kritisierten die israelische Armee. Zudem seien die Bilder mit einer Einordnung versehen worden.
Bereits seit Monaten kursieren Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta. Kurz nach der Eröffnung der Ausstellung war ein Banner mit judenfeindlichen Motiven entdeckt und abgebaut worden.
Beck hatte die Vorgänge schon zuvor massiv kritisiert und erklärte am Dienstag: „Nach dieser documenta muss man sagen: Antisemitismus hat einen Platz in Kassel, Antisemitismus hat einen Platz auf dieser documenta.“ Der DIG-Präsident sprach sich erneut für einen Umzug der Kunstschau weg von Kassel aus. Das könne ein Zeichen für einen Neuanfang sein.
Beck hob er bei seinem Besuch hervor, dass es in der Ausstellung interessante Exponate geben, aber eben auch „unbewältigt Problematisches“. Diese Werke müssten entweder entfernt oder kritisch eingeordnet werden. Das betreffe etwa das Zeigen von Archivmaterial und Filmen der japanischen Roten Armee Fraktion (RAF), was antisemitischen Terror verharmlose und verherrliche.
Die documenta sei an sich selbst gescheitert, weil sie „auf die Probleme, die ja nun mal vorkommen können, nicht angemessen reagiert hat“, sagte der Grünen-Politiker. Die Verantwortung dafür sieht Beck bei Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) und Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne), „da sie im Aufsichtsrat nicht dafür gesorgt haben, dass hier etwas geschieht“. Seiner Ansicht nach sollten beide aus dem Gremium abgezogen werden, „da gehören Leute hin, die gesellschaftliche Verantwortung tragen können“.
Seit Dienstag liegt den als antisemitisch kritisierten Darstellungen in einer auf der documenta fifteen ausgestellten Broschüre eine Einordnung des ausstellenden Kollektivs bei. Darin weist das Kollektiv „Archives des luttes des femmes en Algérie“ („Archive der Frauenkämpfe in Algerien“) die erhobenen Vorwürfe entschieden zurück.
„Wir bedauern, dass diese Bilder auf Unverständnis stoßen und Gegenstand von Fehlinterpretationen seitens der Medien und Besucher:innen geworden sind, die in ihnen antisemitische Darstellungen zu erkennen meinen“, schreibt das Kollektiv. Die in der Broschüre „Presence des Femmes“ enthaltenen Zeichnungen zeigen unter anderem Soldaten mit Davidstern am Helm als Roboter mit entblößten Zähnen. Beck erklärte dagegen, dass er die Kontextualisierung für völlig misslungen halte.
Unterdessen kündigte die documenta an, dass noch am Dienstagabend Monitore an einem zentralen Punkt der Schau aufgestellt werden sollten, auf denen in Englisch und Deutsch eine Erklärung zum Umgang mit der Kritik zu lesen sein werde.