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Filmemacher Edgar Reitz über Josef Anton Riedl: „Ich habe nie einen Komponisten kennengelernt, der mit einem so spitzen Bleistift Noten schrieb wie er …“ Foto: Astrid Ackermann
Filmemacher Edgar Reitz über Josef Anton Riedl: „Ich habe nie einen Komponisten kennengelernt, der mit einem so spitzen Bleistift Noten schrieb wie er …“ Foto: Astrid Ackermann
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Donaueschingen, Gleis 3: Jährliche Begegnung mit Josef Anton Riedl

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Der Komponist Josef Anton Riedl, unter anderem Gründer und Leiter der Münchner Veranstaltungsreihe „Klang-Aktionen“, hat in den vergangenen fünf Jahrzehnten eine einzigartige Pionierarbeit für die zeitgenössische Musik geleistet. „Riedl ist ein unermüdlicher Prophet der Neuen Musik“, sagt Edgar Reitz über ihn im Interview, „sein Idealismus ist unersetzlich“.

Das Buch „Josef Anton Riedl – Klang in Aktion“, herausgegeben vom Kulturreferat München und dem ConBrio Verlag, versammelt vielfältige Erinnerungen von langjährigen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern, aber auch spontane Momentaufnahmen von Begegnungen mit ihm. Angesichts  der bevorstehenden Donaueschinger Musiktage, auf denen die Publikation vorgestellt wird, druckt die nmz einen Beitrag von Roland Spiegel, Musikredakteur beim Bayerischen Rundfunk, ab, in dem er sich an sehr persönliche Begegnungen mit dem Komponisten erinnert:

Der Bahnhof von Donaueschingen ist klein, lauschig und um neun Uhr morgens nicht sonderlich frequentiert. Man findet dort schnell die Gesichter wieder, die einem in Konzerten der Musiktage aufgefallen sind. Zum Beispiel das eines unglaublich jung und vital wirkenden Mannes mit braungebrannter Haut und schlohweißem Haar, der auf dem Bahnsteig ein paar Meter von mir entfernt stand, plötzlich wissend lächelte und mit energischem Schritt auf mich zukam. Er hatte, wie sich herausstellte, bemerkt, dass ich mir während der Konzerte Notizen gemacht hatte, nahm an, dass ich – genau wie er – nun auf dem Rückweg nach München sei, und stellte sich vor. Es wurde ein langes leidenschaftliches Gespräch daraus, das bereits am Bahnsteig aufflammte, im erstbesten Waggon weiterloderte, noch im Stehen, bevor wir uns überhaupt für einen Platz entschieden, und danach glühte und glomm bis zum Umsteigen in Ulm – wo jedem dann einfiel, dass er ja doch noch Einiges zum Arbeiten mit in den Zug genommen hatte.

So lernte ich Josef Anton Riedl kennen – und schätzen als Anreger und Herausforderer im Diskurs über Musik. Bei Riedl gibt es nichts Halbes. Er ist ein Maniac. Ein Energie-Monster. Und Akribie-Teufel. Einer, der sich reinschmeißt – und andere auch. Ich weiß nicht mehr im Einzelnen, über welche Stücke wir sprachen in den etwa zehn Jahren, in denen sich ähnliche Zugfahrten, mit mal längerem, mal etwas kürzerem Austausch, wiederholten, immer je nach der Arbeit, die mindestens einem von beiden im Nacken saß. Die erste Begegnung fand im Jahr 1995 statt, als Vinko Globokars „Masse, Macht und Individuum“ und Hanspeter Kyburz’ „The Voynich Cipher Manuscript“ im Programm waren. Damals wurde übrigens auch ein Stück von Riedl gespielt, es hieß „wu-tkar; ssla ztastal-tkarbu“, und ich habe mir damals notiert: „ein lautpoetisch-musikalisch-visueller Grenzgang: Musik von Murmeln, die durch fragile Glasröhrenkonstruktionen rollen, als Kontrapunkt zu sprachlichen Grundlauten; und zerschla­gene Glasscheiben als schockierender Kontrast zum Röhren- und Sprachspiel“.

Ich weiß noch, dass ich ihn darauf ansprach, wie viel Eindruck sein Stück auf mich gemacht hatte. Aber mir schien damals: Lob wollte er nicht hören. Und überhaupt: Er wollte lieber über die anderen Stücke der Musiktage sprechen.

Und zwar nicht, wie viele andere Komponisten, mit diplomatischer Zurückhaltung. Aber auch nicht mit Gift in den Sätzen. Sondern schlicht: mit Leidenschaft. Hier höre ich, ich kann nicht anders – und ich spreche über das, was ich höre. Mir fiel dabei immer wieder auf, dass Riedl ganz selten eine Meinung des Gegenübers bestätigte. Kein zustimmendes Bauchpinseln, kein Einwickeln. Sondern: Auseinandersetzung, Reibung, Erkenntnisgewinn. Wenn ich sagte, ein bestimmtes Stück habe mich eher weniger überzeugt, dann kniff er die Augen listig zusammen, zwinkerte und stellte mit seiner hohen, klaren und in solchen Fällen etwas bohrenden Stimme einige gezielte Fragen: Was ich denn von der Instrumentierung hielte? Vom Umgang mit einem vertonten Text? Ob mir da nicht doch etwas Neues, Spannendes aufgefallen sei? Und bei jubelnden Anmerkungen über ein Stück, das mir als ein Höhepunkt des Jahrgangs erschien, hielt er wieder dagegen: Was denn mit der Zeitgestaltung sei? Mit den Rhythmen? Mit den Proportionen im Werk?

Vor allem seine Fragen sind mir in Erinnerung – und vermutlich hat er kaum jemals in diesen Gesprächen eine Behauptung aufgestellt, sondern jedes Mal hauptsächlich nachgefragt. Mir ist wohl selten sonst jemand begegnet, der so konsequent wie Josef Anton Riedl gegen die Oberflächlichkeit angekämpft hätte. Und ja, es gibt sie auch in der Szene der Neuen Musik: die allzu vorschnelle Reaktion auf erstmals gehörte Stücke, das übereilte Einordnen, das Für-gut-oder-schlecht-Befinden aus dem Augenblick heraus. Vielleicht auch: die allzu zementierte Selbstgewissheit in einem Urteil, dessen Grundlagen möglicherweise doch einem Wandel unterworfen sind. Nach jeder Fahrt im selben Zug wie Riedl – egal, wie lang unsere Gespräche waren – stellte ich meinen Kriterienkatalog aufs Neue in Frage. Und auch die Eindrücke, die ich im jeweiligen Jahr zu Papier brachte (gezwungenermaßen vorschnell, da sie in ei­ner Tageszeitung erschienen). Ob nun „Styx und Lethe“, das Cello-Konzert von Wolfgang Rihm im Jahr 1998; oder „Lichter – Wasser“ von Karlheinz Stockhausen im Jahr 1999, in dessen Aufführung neben den tiefen Instrumenten ein grünes Kerzenlicht aufgestellt war und neben den höheren ein blaues flackerte – und bei der jeder der im Saal verteilten Musiker am Ende einen Schluck Wasser zu trinken hatte; oder auch, im Jahr 2002, „vollicht aust es sa, III“, ein Stück von Riedl selbst, dessen Titel aus Lauten eines Satzes von Georg Büchner abgeleitet war und das mit Videos, sprachlichen Lauten und Live-Musik vor allem von Schlagzeugern ein hochkomplexes, dichtes Erlebnis bescherte: Ich würde diese Aufführungen alle gern nochmal erleben, mit den vielen unbequemen Fragen Riedls im Kopf, mit denen alles das, was das Gehirn an Eindrücken sortiert, kreativ durcheinander gewirbelt würde. Und mit seinen Ohren.

Es sind wache Ohren. Unersättliche Ohren. Ohren, die stets nach Neuem suchen, nach Klängen, die man noch nicht kennt. Und: die auch dabei dem Oberflächlichen, Schnellen misstrauen. Ohren, die wissen, um mit Karl Valentin zu sprechen, wie viel Arbeit die Kunst macht. Und dass es auch eine minuziöse – eine ungemein genaue, aber unendlich lohnende – Arbeit ist, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Eine Arbeit, die sich nie von selber tut, auch nicht nach Zugfahrten mit einem wie Josef Anton Riedl. Aber an einem sonnigen Montagmorgen nach den Donaueschinger Musiktagen an einem kleinen, nicht sonderlich frequentierten Bahnhof kann sie beginnen. 

Halten Sie Ausschau nach einem Mann mit strahlend weißem Haar. Und steigen Sie nicht in ein anderes Abteil!

 

Buchpräsentation

Klang in Aktion – Josef Anton Riedl

Samstag, 20. Oktober 2012, Donaueschinger Musiktage

10.00 bis 10.45 im Foyer Mozart-Saal der Donauhallen in Donaueschingen

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