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Renaud Capuçon war Dozent am Mozartlabor und Artist étoile des Mozartfestes 2015. Er war der Solist der Uraufführung von Hosokawas „Elegy“ für Violine und Streichorchester. Foto: Frenz Julian Jordt
Renaud Capuçon war Dozent am Mozartlabor und Artist étoile des Mozartfestes 2015. Er war der Solist der Uraufführung von Hosokawas „Elegy“ für Violine und Streichorchester. Foto: Frenz Julian Jordt
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Drei Engel, ein Klassiker und eine Uraufführung

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Mozartfest Würzburg: Werke von Toshio Hosokawa zwischen alter Musik und einem Klassiker des Geigenrepertoires
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Ein Blick durch die Zuschauerreihen: Alle Füße wippen. Und das bei Mozarts Requiem, der heiligen Messe zu Ehren eines Verstorbenen? Ja, die Akademie für Alte Musik Berlin unter Matthias Beckert nahm den Bass des Introitus derart federnd, dass es fast tänzerisch leicht wirkte. Nicht nur das; bei diesem Auf und Ab entstand ein Fließen der Musik, das auf wunderbare Weise das „Lux aeterna“ musikalisch verdeutlichte. Mozarts Musik wütet, verzweifelt, trauert und hofft, aber die Musiker und der Monteverdichor Würzburg fügten all dem noch etwas Entrücktes, Transparentes hinzu.

Wenn im Rex tremendae der Chor die schrecklichen Gewalten besingt, dann füllt sich das Kirchenschiff mit Klang, ohne dabei monumental zu wirken. Mit dieser Transparenz malt Mozarts Musik die Vergänglichkeit nach. Sein Requiem ist ein Kunstwerk zum Gedenken an einen Toten, aber es ist kein Denkmal. Und so klingt in der Interpretation mit den fulminanten Würzburger Interpreten auch das durch, was Toshio Hosokawa – japanischer Komponist und in diesem Jahr Gast des Würzburger Mozartfestes, das Veranstalter des Konzertes war – über Mozarts Musik gesagt hat: „Die ‚Trauer’ in dieser Musik ist eine ‚heitere’, ist wie ein transparenter, klarer Himmel an einem Herbsttag.“

In einer Rede im Rahmen des diesjährigen Festivals beschrieb Hosokawa das, was seiner Meinung nach japanische von europäischer Musik trennt: Japanische Musik akzentuiere das Vergängliche, westliche Musik das Ewige. In Mozarts Musik aber stemme sich kein Ego gegen das Ende. Deshalb passte in diesem Konzert auch das zusammen, was nicht zusammen gehört: Europäische Musik des 18. Jahrhunderts und japanische Musik der Gegenwart. Das Programm setzte die „Drei Engel-Lieder“ von Hosokawa zwischen die Sätze des Requiems. So kontrastierend wie es vielleicht gemeint war klang das gar nicht. Mit den Engel-Liedern vertonte Hosokawa Gedichte von Else Lasker-Schüler und Gershom Scholem für Harfe und Sopran. Die Harfe begann mit leisen Arpeggien, als ob der Wind durch die Saiten wehte. Dann trat die Stimme von Anna Nesyba hinzu, in hoher Lage, fast unmenschlich. Der Text war nicht immer zu verstehen, was nicht an Anna Nesybas Gesangskunst, sondern an der Komposition lag. Hosokawa legte mehr Wert auf den Klang an sich, er ließ Nesyba hauchen, hysterisch schreien und manchmal auch sehr ständchenhaft singen. Ergreifend war der Übergang des Mozart’schen/Süßmayr’schen Agnus Dei, das die ewige Ruhe erbittet, und der „Weltflucht“, in dem sich die Sängerin langsam, wie aus dem Nichts in die Musik hereinschlich und am Ende wieder in die Stille zurückkehrte: auskomponierte ewige Ruhe durch vergängliche Klänge.

Der folgende Tag bot das Kontrastprogramm zum transzendenten Kirchenstück: Von der Neubaukirche ging es nun in die wuchtige Würzburger Residenz. Nicht nur der Veranstaltungsort, auch das Programm mit den Bamberger Symphonikern unter dem sehr jungen israelischen Dirigenten Lahav Shani versprach Monumentales. Mozart spielte im Programm eine eher untergeordnete Rolle: Zu Beginn erklang seine Ouvertüre zu Figaros Hochzeit. Hosokawas Uraufführung bot den thematischen Brückenschlag zum Mozart-Requiem des Vortages: Hika entstand als Musik für die verstorbene Frau eines Freundes. Für das Mozartfest bearbeitete der Komponist das Solostück für Solo-Violine mit Streichorchester. „Im Gesang über Traurigkeit kann die Menschheit ihr Seelenheil finden“, wird Hosokawa im Programmheft zitiert. Und dieses Finden des Seelenheils, das für Hosokawa im Einswerden mit der Natur besteht, vertonte er: Die Solo-Violine, genial gespielt von Renaud Capuçon, begann mit der Repetition eines Tones, die Zeit schien stillzustehen. Langsam gesellte sich ein umheimlich wirkender Klangkosmos im Streichorchester hinzu. In virtuosen Läufen kämpft die Violine gegen den Orchesterklang an. Das umgarnt sie mit Flageolettsäuseln. Wieder erklingt die Repetition der Violine, die sich, nach wildem Aufbäumen dann doch dem Klang des Streichorchesters ergibt. Das Windrauschen am Ende verschallt ins Nichts.

Und dieses wurde dann leider überlagert von dem berühmten und überwältigenden Violinkonzert von Felix Mendelssohn-Bartholdy, lässig-virtuos vorgestellt von Capuçon, dem „artiste étoile“ des diesjährigen Festivals. Das Stück exponiert den Solisten, der in wunderschönen Melodien schwelgen kann. Mit viel Bogen legte der sich in die Saiten. Es war schon erstaunlich, wie Capuçon es schaffte, mit so voluminösem Ton derart schnell zu spielen. Er und seine Begleiter stürmten durch das Konzert, nahmen jeden Ton ernst und doch schien es, als ob hier der Kontrast zu dem japanischen Stück akzentuiert werden sollte: Dort stand der einzelne Klang im Fokus, bei Mendelssohn dagegen nahm jeder Ton schon den nächsten voraus.

Als Finale gab es einen weiteren Klassiker: Beethovens 7. Sinfonie. Wie die „Eroica“ wird sie mit den Napoleonischen Kriegen in Verbindung gebracht, wurde sie doch bei einem Benefizkonzert uraufgeführt, dessen Erlös für Kriegsveteranen verwendet werden sollte. Tatsächlich kann sich der Zuhörer Schlachtengetümmel, Trauermarsch und Freudentänze vorstellen. Im Gegensatz zum Mozart’schen Requiem passiert in Beethovens Musik immer etwas; es lässt sich dazu eine Geschichte erfinden. Und weil hier ein Thema, ein Rhythmus den anderen jagt, kann das schnell zerfasern. Nicht aber bei den Bamberger Symphonikern und Shani. Das Ensemble entfachte ein derart intensives Spiel, dessen Sogwirkung sich über sämtliche Sätze hinweg streckte. Crescendi waren weniger schnödes „lauter werden“, denn ein Anziehen von Energie, die dann nahtlos in den lang anhaltenden Schlussapplaus mündete.

Das Konzert ließ ein begeistertes Publikum hinter sich, aber hatte das Hosokawas Klagelied nicht schon längst vergessen? Es war schade, eine solche Uraufführung inmitten von Klassik-Hits zu verstecken. In Erinnerung blieb nur Beethovens tönendes Denkmal, nicht Hosokawas Gedenken.

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