Während in Techno und verwandten Formen der New Electronica das Subjekt zunehmend gelöscht wird und Erfahrung bloß noch als „Schmutz“ gedacht werden kann, als etwas, was die Reinheit der Struktur stört, gibt es im Bereich der Singer-/Songwriter eine heftige Gegenbewegung: Authentizität zählt; und authentisch ist nur das, was man selbst erlebt hat, was sich in den eigenen Körper und die eigene Seele eingeschrieben und dort Spuren hinterlassen hat. Konsequenterweise sind die Heroen des Songs alte Männer – allen voran Bob Dylan und Leonard Cohen, von denen es in diesem Herbst nach drei beziehungsweise zehn Jahren endlich neue Alben gibt.
Während in Techno und verwandten Formen der New Electronica das Subjekt zunehmend gelöscht wird und Erfahrung bloß noch als „Schmutz“ gedacht werden kann, als etwas, was die Reinheit der Struktur stört, gibt es im Bereich der Singer-/Songwriter eine heftige Gegenbewegung: Authentizität zählt; und authentisch ist nur das, was man selbst erlebt hat, was sich in den eigenen Körper und die eigene Seele eingeschrieben und dort Spuren hinterlassen hat. Konsequenterweise sind die Heroen des Songs alte Männer – allen voran Bob Dylan und Leonard Cohen, von denen es in diesem Herbst nach drei beziehungsweise zehn Jahren endlich neue Alben gibt.Ist diese rühmend-exklusive Rede von den alten Männern mehr als ein sexistischer Reflex? Ja, denn die durchaus imposanten Œuvres der Diven des gelebten Lebens folgen meist anderen Regeln: bei Marianne Faithful etwa denen der puren Brüchigkeit – dass man noch „da“ ist nach all den Jahren wird bei ihr zum Beleg für die Kraft des eigenen Begehrens und für die andauernde Bosheit der Welt; bei Tina Turner und den großen schwarzen Soul-Ladies denen einer Vitalität, die dem vorgesehenen Verfallsdatum ebenso trotzt wie der Gemeinheit der Männer, von denen sie aus unerklärlichen Gründen nicht lassen können. Die alten Frauen verkörpern selbst dort, wo sie gezeichnet und zerstört sind, nicht den Gang der Geschichte, sondern die reine Vergänglichkeit. Die alten Männer dagegen tun zumindest so, als wären sie nicht Opfer, und sei es der eigenen Sehnsüchte oder der Biologie, sondern die Subjekte und Autoren ihres Lebens. Bob Dylans „never-ending tour“ beschreibt, so gesehen, nicht bloß die Dichte seiner Auftritte oder die Rastlosigkeit eines globalisierten Musiker-Lebens: sie wird zur großen Existenz-Metapher. „Forever young“ sang trotzig der jüngere Dylan: das war ein politisches und ein existenzielles Statement. Es protestierte paradoxerweise dagegen, dass alles bleibt wie es ist, während die eigene Jugend unwiderruflich vergeht. „Time Out of Mind“ hieß, Jahrzehnte später, das Alterswerk Dylans, die „Summe“ seines Lebens, durchaus auch im theologischen Sinn, das manche für sein bestes Album halten. Darin erzählt Dylan weder von der reißenden noch von der beharrenden Zeit, weder vom raschen Altern der Technik und der Körper noch von der Zählebigkeit der Strukturen, sondern von der „longue durée“, von dem, was in all den Veränderungen erhalten bleibt und die gültigen Erfahrungen begründet.Dieses letzte, 98er-Album war subjektives, persönliches Resümee. Dylan, der immer schon den Medien misstraute und gern Masken trug, um sehen zu können, ohne selbst allzu sichtbar zu sein, berichtete von dem, was er erfahren hatte. Das ist nicht nur in dem mehr als 10-minütigen Talking Blues „Highlands“zu spüren, der das geheime Zentrum des Albums bildet, ein äußerst verdichtetes, poetisch mehrdeutiges, metaphorisch wucherndes Existenz-Parlando.
Demgegenüber scheint sein neues Album „Love And Theft“ (Columbia/Sony) einfacher, ja roher. Dylan unternimmt etwas, was er von Anfang an immer wieder unternahm: Er geht zurück zu den „roots“. Er beschäftigt sich mit den Songs der Väter-Generation und der eigenen Kindheit. Das Gesetz der „longue durée“, dessen, was dauert, wird auf diese Weise kollektiv zur gemeinsamen Erfahrung.
Dylan, der auch deshalb so manisch (oder panisch?) unterwegs war, weil er nur dem traute, was er selbst sah und hörte, der sich vor den Medien hütete, weil er in ihnen Information und Desinformation, Nachricht und Lüge unentwirrbar verschmolzen sah, öffnet sich auf „Love And Theft“ den überindividuellen Songs und Songformen der Tradition; voller Respekt und voller Vertrauen.
Merkwürdigerweise wirkt gerade dieser Dylan, der sich „selbstlos“ in eine große, fast schon anonyme Tradition einreiht, verjüngt: frisch und wild. Er schlüpft in all die Rollen und Sounds, die vom schnellen Markt und den noch schnelleren Medien längst weggewischt schienen, die aber im „Underground“ der Erinnerung gespenstisch präsent bleiben und fortwirken. Es gibt nicht nur das eine Bild, das gerade herrscht; Dylan ist der Sänger der Alternativ-Takes und verdrängten Wahrheiten. Er verkörpert die düster-vitale Rückseite des blendenden Spiegels der Gegenwart: all die kleineren und größeren Geschichten, die verdrängt wurden, melden sich in seinen Songs zurück.
Das Irritierende und die Macht dieser Lieder: dass sie alle Dylan-Originale sind, hier und jetzt entstanden – und doch auf etwas anderes verweisen, was immer schon war beziehungsweise, noch rätselhafter, Heideggers „Gewesenheit“ aufgreifend, immer schon gewesen sein wird. Dylan erobert die Vergangenheit zurück, vom ländlichen Blues über den Boogie bis zum simplen Rock’n’Roll der frühen Jahre, er revitalisiert Muster, die schon verbraucht schienen und macht sie von neuem plausibel.
Auch Cohen ist ein rückwärts gewandter Prophet. Nur gilt seine Recherche nicht so sehr der Geschichte, sondern, und darin ist dieser Meister des unerfüllbaren Verlangens fast weiblich, dem Schicksal des Körpers und der Seele. Seine großen Themen sind, von Anfang an, Schuld und Vergänglichkeit: Er ist ein Nomade der Lust, der Wunden hinterlässt, bei sich und bei den anderen, die sich nicht schließen wollen; und ein Partisan, der sich in der vermeintlichen Heimat bewegt wie in Feindesland.
Alles ist da unsicher, selbst die eigene Identität; alles revidierbar; auch das, was man ein für allemal erfahren zu haben glaubt. Cohen bleibt, sogar da, wo er scheinbar nur die Ewigkeit der Lust will und einklagt, ein verstörender Ahasver des frei flottierenden Begehrens, für den jede konkrete Beziehung oder Erfahrung vergänglich ist und sofort zum Gleichnis für das ganz Andere, Unerreichbare wird.
Cohens erotische Songs, die ihn zum Idol einer ganzen Generation machten, sind nie hell oder leicht: wie die Sirenen lockt auch er mit dem Versprechen der Auslöschung. Sein Faszinosum ist nicht der bequeme Hedonismus, Genuss ohne Reue gewissermaßen, sondern die bleibende Abgründigkeit der Existenz. Seine eigene Bereitschaft zur Hingabe ist dabei nicht frei von Selbstironie: etwa in dem leitmotivischen 80er-Jahre-Song „I’m Your Man“, wo er seiner Geliebten anbietet, sich in jede Rolle zu finden und jede Maske zu tragen, wenn sie es nur will. Dieses „wenn du es willst“ ist keineswegs nur frivoler Refrain eines versierten Don Juan, sondern der Grundton eines Künstler-Daseins, in dem selbst ein scheinbar so irdisch-eindeutiges Wort wie „naked“, das im Zentrum so vieler Songs steht, auf ein metaphysisches Hintergrund-Rauschen verweist, das den wahren Verführer ausmacht.
Schon einmal, Ende der 70er-Jahre, da war er Mitte 40, hatte Cohen den „death of a ladies man“ beschworen. Das war damals auch musikalisch eine Revolution: weg von den kargen Gitarren hin zum Phil Spector’schen „wall of sound“. Das Orgiastische, das sich bis dahin in Cohens Parlando eher versteckte, rutschte jetzt in die voluminösen Arrangements, brach dort auf. Von da an fand er zu seinem Spätstil: den effektsicheren Schluchzern der Zigeuner-Geigen, den fast schon unanständigen Frauen-Chören, den suggestiven Harmonien, die ihn seit „Natural Born Killers“ zu einem der führenden Soundtrack-Zulieferer für das zunehmend apokalyptische Hollywood-Kino machten.
Zehn Jahre hat Cohen „geschwiegen“, sich in ein Zen-Kloster zurückgezogen, dessen rigide Disziplin sei-ner zersplitternden Identität, diesem Patchwork der Augenblicksreize und ausufernden Wünsche, eine halbwegs stabile Haut verschaffte. Jetzt ist er mit „Ten New Songs“ (Columbia/Sony) wieder da, die Cohen-Aficionados ähnlich verstören dürften wie damals die Kooperation mit Phil Spector. Wieder geht es um ein Werk des Abschieds („you have loved enough“), um Altern, das schmerzender Entzug ist, aber auch in neues geheimes Leben führt. Und erneut ist die musikalische Verwandlung fast skandalöser als die lyrische Metanoia. Denn die Songs hat jetzt im Wesentlichen seine langjährige Mitarbeiterin Sharon Robinson geschrieben, wenn auch auf verblüffend coheneske Weise, und so erlebt man das erstaunliche Wunder, dass Cohens Seele zum puren Soul wird.
Aber Nestroy hatte schon Recht: Jede Veränderung, so schockhaft sie auch erfahren wird, ist am Ende nicht so groß, wie es zunächst den Anschein hat: „Ten New Songs“ wird beim wiederholten Hören rasch zum Cohen-Klassiker; nicht einfach nur zehn neue Lieder, sondern ein berückender Sound-Kosmos, in dem sehr abwechslungsreich, sehr suggestiv und in einem sich durchziehenden Grundton vom Schicksal des Begehrens und von der Erfahrung der Transzendenz erzählt wird.
Plattentipps
Bob Dylan: Love And Theft, Columbia/Sony
Leonard Cohen: Ten New Songs, Columbia/Sony