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Der Titel „Unter Wasser“ des Engländers Richard Barrett war symptomatisch für so manches beim diesjährigen Steirischen Herbst. Das Stück basiert auf einem Text von Margret Kreidl, der substantivreich aufzählend die innere Zerstörung einer Frau beschreibt. Die Musik sucht diesen Prozeß zu kontrapunktieren, sie löst sich vom Text, dann kehrt sie in fast heterophoner Parallelbewegung zu ihm zurück. Der Text, der immer schlinggewächsartiger ins nasse Element treibt, wird von der Musik umspielt oder auch umspült, alles endet im stöhnenden Schrei. Mithin ein diskutables Konzept, doch es ging auf mehreren Ebenen schief. Das sinnigerweise in Schwimmwesten verpackte belgische Ensemble „Champ d’Action“ zeigte sich wenig engagiert, die Sängerin Marianne Pousseur blieb hinter dem Gang der Ereignisse zurück und ließ eine ganze Textpassage – leider war es die wichtigste – notgedrungen aus. Letztlich hatte man den Eindruck, daß der ganze melodramatische Ansatz mit einem schiefen Rückblick auf Schönbergs „Erwartung“ auch schon vom Ansatz her aus dem Ruder gelaufen war. Nicht immer wartet die zeitgenössische Musik, bis ihr ihre Szene nachkommt. Christian Scheib, nunmehr zum vierten Mal Programmierer des Musikprotokolls im Steirischen Herbst, scheint diesen Zustand in besonderem Maße provozieren zu wollen. Zwar ist auch er teilweise dem Zufall unterworfen, denn die Qualität der in Auftrag gegebenen Werke läßt sich – gottlob – noch nicht planen. Dennoch wiesen die Arbeiten ein Gefälle vor, die einen Wechsel der Perspektiven nahelegten. So boten die herkömmlichen Avantgarde-Konzerte mit dem Klangforum Wien unter Sylvain Cambreling und besonders mit dem Radio Symphonieorchester Wien unter Dennis Russel Davies was die Uraufführungen anlangte kaum mehr als eher schlechte Hausmannskost. Am triftigsten, am weitesten nach vorn denkend, erschien fraglos Helmut Lachenmanns Stück „Mouvement – vor der Erstarrung“, das schon 15 Jahre alt ist. Und man mochte sich angesichts vieler weiterer Arbeiten fragen, ob die also prognostizierte Erstarrung nicht schon Wirklichkeit geworden sei. Merkwürdig antiquierte Natursehnsüchte wurden vermerkt; und meist so, als sei impressionistisch romantische Zeichnung immer noch status quo. Toshio Hosokawa lieferte ein profund komponiertes See- und Morgendämmerungsstück, weitere Kompositionen wandten sich Wolken- oder Wüstenschilderungen (die Chinesin Ming Wang und die Kanadierin Linda Bouchard) zu.So wanderte man von solch herkömmlichen Zeitgenossen über sehnsuchtstiefe Pausenfüller von Max Nagl, bewußt an den Rand der Veranstaltungen gesetzte Melangen aus Volksmusik, Jazz und Avantgardetechniken, um schließlich in der Betonhalle des Theatro anzukommen, wo der Chicagoer Exzentriker Jim O’Rourke seine computergesteuerten Exzesse ablaufen ließ. Die Musiker sitzen scheinbar unbeteiligt, rauchend und trinkend, hinter ihren Laptops und steuern improvisierend vorbereitete Samples an. Der Sound nahm schon durch seine physische Wucht in Beschlag.
Christian Scheib nannte seine ästhetische Dreier-Konfrontation eine Kultivierung der Genauigkeit innerhalb der Vielfalt. Das pädagogische Moment dabei blieb nicht verborgen. Die alte Avantgarde soll aus ihren verknöcherten Positionen herausgestemmt werden. Die Arena wird einer radikalen Sinnlichkeit geöffnet. Freilich taten die „ordentlichen“ Komponisten heuer diesem Konzept unfreiwillig einen Gefallen. Mit Versteinerung von Anspruch und Technik bewegte man sich schon immer zum Rand des Überflüssigen.
Zum Trost sei angemerkt: orchestral wird derzeit durchaus triftiger nachgedacht, als es diesmal beim Steirischen Herbst zu vernehmen war. Ehrenrettung gelang freilich allein in anderen Stücken des Rückzugs, die beim Abschlußkonzert in der Mariahilferkirche zu hören waren. Der junge Grazer Klaus Lang verstand dabei seine intensiv nach innen gewandte Musik als Geste gegen unsere gesellschaftlichen Tendenzen zu umfassender Vereinnahmung, wo nur Besitz und Verfügen-Können dominieren. Die Trauermusik für Orgel „Melrose Abbey“ ist in diesem Sinne ein lastend liegendes, differenziert gehörtes Klangband, das massiv irritierend von Detonationsschlägen eines Holzbretts aufgebrochen wird. Waren es auch Wecksignale für die sogenannte „E-Musik“?