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Folk, Folklore, Volksmusik, volkstümliche Musik

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„taktlos“ live aus Rudolstadt zum Thema Folkmusik · Eine Begriffsbestimmung
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Theo Geißler: Das Spannungsfeld, in dem der Begriff „Folkmusik“ heute verwendet wird, reicht von den Klischees aus der volkstümlichen Musik über die Weltmusik bis hin zur totalen Kommerzialisierung. Wo steht der Folk und in welche Richtung entwickelt er sich?

Das Rudolstädter Kammertheater „Schminkkasten“ bot die Kulisse für die 31. Folge des Musikmagazins „taktlos“ des Bayerischen Rundfunks. Die Sendung entstand in Koproduktion mit dem Mitteldeutschen Rundfunk, und so hatte Moderator Theo Geißler den MDR-Moderator Manfred Wagenbreth an seiner Seite. Der BR übertrug die Experten-Diskussion am 7. Juli live, der MDR strahlte sie am 19. Juli in einer eineinhalbstündigen Version aus. Unser nebenstehendes Foto zeigt die Diskussionsteilnehmer während der Live-Übertragung. Theo Geißler: Das Spannungsfeld, in dem der Begriff „Folkmusik“ heute verwendet wird, reicht von den Klischees aus der volkstümlichen Musik über die Weltmusik bis hin zur totalen Kommerzialisierung. Wo steht der Folk und in welche Richtung entwickelt er sich? Heidemarie Zink: Das ist sehr schwierig auszudrücken. Es ist ein Prozess, der ohne das Produkt nicht möglich ist, weil man nur so an einer Weiterentwicklung arbeiten kann. Wenn man aus Bayern kommt, muss man „volkstümliche“ Musik ganz ausdrücklich als „tümlich“ bezeichnen. In Norddeutschland vergleicht man die Musik, die wir machen, immer wieder mit diesem „volkstümlichen“ Stil, und wir wehren uns ausdrücklich dagegen. Das Fernsehen spielt dabei eine große Rolle.

taktlos - Foto: Mahmet Dabdoub

Erich Stockmann: Es ist eine allgemeine Erscheinung unserer Zeit, dass etwas als Volksmusik deklariert wird, was nur eine kommerzialisierte Schlagermusik ist. Herder hat das Wort „Volkslied“ erfunden. Ein wunderbares Wort. In den vergangenen zwei Jahrhunderten versuchte man immer, es zu definieren. Aber man vergaß, dass Volksmusik stets ein lebendiger Prozess ist. Sie verändert sich ständig. Man kann also nicht von gleichbleibenden Kriterien ausgehen, wenn man dieses Wort gebraucht.

Manfred Wagenbreth: Herr Stockmann, Sie haben das wissenschaftliche Symposium „Folk Music in Public Performance“ mit organisiert, das in diesem Jahr das Rudolstädter Festival begleitet. Was war Ihre Intention?

Wir hatten die Idee zu diskutieren, wie heute Volksmusik vermittelt wird. Hier in Rudolstadt konnten wir feststellen, dass dieser Prozess in jedem Land anders verläuft, abhängig von historischen Voraussetzungen. Ein Festival in der Slowakei sieht ganz anders aus als hier. Wir wollten bestimmen, welche Funktion heute ein Festival in unserer Welt hat. Und dabei kam Rudolstadt sehr gut weg, weil keine Botschaft vermittelt werden soll, kein geschlossenes, sondern ein offenes Konzept dahintersteckt.

Neue Beliebigkeit

Christoph Dieckmann, als Journalist begleiten Sie Rudolstadt seit vielen Jahren. Man hört in der Folkmusik Sprechgesänge, oft stark rhythmisiert, man hört afrikanische Klänge oder die Inuits mit ihren ganz eigenen musikalischen Äußerungen: Ist der Begriff „Folk“ denn ganz beliebig geworden?

Christoph Dieckmann: Ich habe keine definitorischen Interessen. In der Folk- oder Weltmusik-Szene hat man es wie in der Blues- oder in der Rock-Szene, mit „Pools“ zu tun, also mit kulturellen Assoziationen, deren Akteure einander „erläutern“, das heißt zu Plausibilität, Geltung und Erfolg verhelfen. Jeder Pool versucht, ein Fanvolk um sich zu versammeln – auch, um auf dem Markt vorwärts zu kommen.

Das Ende meiner Definition von Folkmusik ist dort erreicht, wo man einen homogenen volksgeschichtlichen Hintergrund herbeispekulieren möchte; das wird nicht funktionieren. Man kann Tradition auch nicht produzieren, sondern sich nur in sie hineinstellen. Viele Folk-Musiker erzählen ja immer wieder, wie viel sie empfangen hätten von ihren Eltern oder von anderen Intonierern einer Geschichte,die sie fortführen möchten. Was daraus wird, das möge dann wieder der nächsten Generation überlassen bleiben.

Wagenbreth: Rainer Prüss, Sie sagten in einem Interview, die Luft im Folk-Bereich sei relativ dünn. Worauf führen Sie das zurück?

Rainer Prüss: Ich glaube, die Zeiten, in denen die Säle voll waren, sind vorbei, wahrscheinlich weil die 68er-Jahre vorbei sind. Andererseits spricht die Tatsache, dass Folkmusik jetzt so kommerzialisiert wird, nicht grundsätzlich gegen den Geist dieser Musik.

: Es ist auffällig, dass in den letzten Jahren zunehmend instrumentale Experimente passierten (unter anderem im Rahmen des Folk-Förderpreises). Auch hat man sich in die Musik anderer Völker hineinbegeben, in Türkisches, Balkanesisches, Osteuropäisches oder in die Klezmer-Musik. Bedeutet dies eine Verweigerung gegenüber der hiesigen Situation?

Nein, diese Offenheit gegenüber anderen Kulturen hat es gerade in der Folkmusik immer gegeben. Der Einfluss „von draußen“ war immer da. Es geht um Aneignen und Verändern.

Wagenbreth: Besteht nicht beim Herausnehmen bestimmter Elemente einer anderen Musikkultur, einer Tonfolge oder eines Rhythmus, die Gefahr der Beliebigkeit? Dass also die ursprüngliche Bedeutung, in der diese Elemente entstanden, verloren geht?

Eine alte Diskussion kreist um die Frage, ob es eine Natur der Musik gebe, die für alle Völker gültig sei und damit auch eine allgemeine Grundlage zum Verständnis. Eigentlich gibt es aber nur eine Disposition für Musik, wir kennen kein Volk auf der Welt ohne Musik. Die Unterschiede ergeben sich aus der jeweiligen Tradition und der Erfahrung und das macht es schwierig, eine fremde Musik wirklich zu verstehen. Es verlangt sehr viel Energie und Geduld, dort einzudringen. Es ist nicht so, wie es uns einige Vertreter der Weltmusik weismachen wollen. Sie nehmen drei Töne und einen Rhythmus aus einer anderen Kultur und glauben, sie zu verstehen oder sogar etwas zu ihrer Bewahrung beigetragen zu haben. Das ist ein grundsätzlicher Irrtum.

Diese Internationalisierung, die bedeutet, dass man neue Rhythmen und neue Klänge kennen lernt, ist ja positiv zu werten. Andererseits gehen Inhalte verloren, es wird auch im Folk weniger gesungen als früher, woran liegt das?

Im Zeitalter der Globalisierung und der Mobilität ist eine völlig neue Situation eingetreten. Mit Volksmusik brachte man früher sein eigenes Lebensgefühl zum Ausdruck, sie war existenziell wichtig – für jeden Menschen. Jetzt wird diese Musik von professionellen Musikern dargeboten. Außerdem sind heutzutage praktisch alle Quellen der Musikkulturen in der Welt zugänglich, auch dank der Ethnomusikologie, also der Volksmusik-Forschung.

Dann ist aus der Volksmusik also eine Weltmusik geworden, und diese Weltmusik ist entindividualisiert, das Individuum entwickelt keine eigene, keine Volksmusik mehr. Geht es nur noch darum, ohne eigene Beteiligung aufzunehmen, zuzuhören, vielleicht auch zu konsumieren?

Früher empfanden, dank der Sesshaftigkeit, gleichgestimmte Menschen, die im selben Kulturraum aufgewachsen waren, die selbe Musik als beheimelnd. Diese Homogenität ist nicht mehr zwangsläufig, Vieles hat sich individualisiert. An die Stelle der territorialen Homogenität ist die temporale getreten: die Musik einer Generation – meist der jungen, die sich emanzipieren möchte. Die Jugendlichen, die heute mit Techno, diesem grauenhaften Zeug, aufwachsen, machen sicher unvergleichliche Erfahrungen wie wir damals mit der Rockmusik unserer Jugend.

Dieses Jahr war einer der Endausscheidungsteilnehmer ein Liedermacher, und das ist kein Zufall. Wir haben wieder mehr Leute, die sich über ihre Stimme ausdrücken. Ich bin gespannt, ob das die Ankündigung eines Trends ist. In der Folkmusik hat man mit Texten immer improvisiert und auch nach Bedarf eigene Strophen gedichtet. Nach einem Boom des Instrumentalen machen sich jetzt die Leute wieder einen Reim auf Sachverhalte und erdichten eigene Texte zu aktuellen Themen. Es geht differenzierter zu als in den Herz-, Schmerz- und Beziehungsgeschichten der 70er-Jahre. In Bayern gibt es hervorragende Texter, beispielsweise die Biermösl-blosn. Die scheinbare „Sprachlosigkeit“ der letzten Jahre war nur eine Zeit, in der Texte gefunden werden mussten, die ein gewisses Level hatten. Bei „Profolk“ machen wir auch jedes Jahr eine CD, da kamen immer auch viele Liedermacher und die Texte waren oft einfach nicht zu ertragen. : Herr Zollitsch, Sie bezeichnen sich nicht als Folker, sondern als Weltmusiker?

Robert Zollitsch: Ich komme nicht aus der Folkmusik und denke auch nicht, dass es Labels dieser Art braucht. Auch der Begriff Weltmusik ist anmaßend, ich mache doch nicht Musik aus der ganzen Welt. Ich habe zum Beispiel in China studiert und arbeite mit Musikern aus der Mongolei. Ich habe Elemente aus anderen Kulturen in mein Musiker-Sein, meine musikalische Identität integriert. Aber Bayerisch zu spielen gehört auch zu mir. Entscheidend ist doch mein Verantwortungsbewusstsein als Mensch. Das sollte das Maß dafür sein, wie man Musik macht und wie man die Musik anderer Kulturen adaptiert. Bei mir geht es nicht um das Benutzen anderer Elemente als Effekt, sondern es ist Bestandteil meiner musikalischen Aussage, es macht musikalisch Sinn.

Robert Zollitsch ist ein Beispiel dafür, wie die Musik Ausdruck derer ist, die sie machen – ihres Lebens, ihrer Zeit. Zollitsch hat bayerische Zither studiert, und außerdem in Tibet und in der Mongolei den Obertongesang. Das ist die Voraussetzung, um kreativ zu werden. Wenn mehrere Kulturen zusammentreffen, muss man sie ganz genau kennen.

Wagenbreth: Herr Dieckmann, sie haben 1994 einen fulminanten Artikel über das Rudolstädter Festival in der „Zeit“ geschrieben, der nach dem Lob der Toleranz und des Nebeneinanders der verschiedenen Musiken mit der Feststellung endete: „Die Deutschen sind schön“. Hat die Zeit die Euphorie von damals eingeholt?

Es ist sehr schwierig, solche Themen und solche Musiken in der Presse, beispielsweise bei der „Zeit“, unterzubringen, denn das gilt als vormodern. Dort, wo Identitäten nur postmodern und gesplittet als legitim verstanden werden, assoziiert man Folkmusik immer noch mit „Herz und Schmerz“ und betrachtet sie als nicht urban, als provinziell. Mir ist klar, dass ich in postmoderne Bezüge verstrickt bin, aber mein Kern ist, hoffe ich, intakt. Und so ist auch das, was ich am liebsten höre. Ich will die Seele nicht zersägen.

Zukunftsperspektiven

Weitere Schlussbemerkungen: Wohin soll nun die Folkmusik Ihrer Meinung nach gehen?

Toleranz, Offenheit, völliges In-Eins-Sein mit dem, was man tut. Das kommt ja hier in Rudolstadt immer wieder zum Tragen. Ich bin da optimistisch trotz aller Befürchtungen, dass wegen der Globalisierung alles in einer Soße enden wird. Die Individualität der Musiker wird sich immer wieder durchsetzen.

Dem stimme ich komplett zu. Und ich hoffe, dass die vielfältigen Verbindungen sich weiterentwickeln, aber doch die regionale Vielfalt dabei bestehen bleibt. Der Unterschied zwischen volkstümlicher Musik und Folk-Musik besteht für mich darin, dass erstere den Alltag vergessen machen soll, während die Folk-Musik uns erinnern hilft, an unsere Geschichte und Vergangenheit, auf den Teppich auf dem wir eigentlich stehen.

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