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Frustriertes Ohr

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Viel Informatives aber auch viel Überflüssiges war auf der Frankfurter Buchmesse zu sehen. Seit Jahren kämpft das Musikbuch mit einer angespannten Absatzsituation. Um so bemerkenswerter die beträchtliche Zahl von Neuerscheinungen, deren Spektrum von hochwissenschaftlichen Traktaten bis zu seichter Einschlaflektüre reicht. Was jedoch bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht bedient wird, ist ein wachsender Bedarf an Anleitung zum aktiven Musikhören. Viele Menschen spüren intuitiv, daß klassische Musik eben nicht nur konservierter Museumsbestand, daß zeitgenössische Musik nicht bloß kryptisches Geräusch ist, sondern daß etwas dahintersteckt. Weil aber oft die Hörkompetenz fehlt, um die Musik adäquat zu rezipieren, verschließt man resigniert die Ohren und greift doch zum Dudelfunk. Schule und Bildungspolitik lassen die Hörwilligen im Regen stehen. Wir wissen, die Kassen sind leer, daß jedoch die Medien, die Tonträgerhersteller und eben auch die Verlage das hier schlummernde Potential bisher kaum erkennen und nutzen, ist erstaunlich. Dabei zeigt der Musikwissenschaftler Stefan Schaub in seinem Buch „Hören mit Begeisterung“ (Atlantis Schott), daß man sich etwas einfallen lassen kann. In Frankfurt war er ein Rufer in der Wüste. Hat die Buchbranche einen vorhandenen Bildungsbedarf bisher kaum erkannt, so kreiert die Elektronik-Industrie sich einen solchen selbst. „Edutainment“ ist die Zauberformel: Im Messebereich „Electronic Media“ wollte man zeigen, wie per CD-ROM Lernen mit Unterhaltung verquickt und so attraktiver gemacht werden soll. Theoretisch eine feine Sache. Natürlich, Lernen soll Spaß machen, auch und gerade im Musikbereich. Aber können computergestützte Instrumentalschulen wirklich den kompetenten Lehrer aus Fleisch und Blut ersetzen? Sicher nicht. Für Kinder und Jugendliche dürfte ein Unterricht allein vor dem Gehäuse des Monitors auf die Dauer eher trostlos sein. Im herkömmlichen Instrumentalunterricht kann die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten günstigstenfalls zwischenmenschliche Interaktion von Lernendem und Lehrendem sein. Kommt sie zustande, befruchtet sie den eigentlichen Lernvorgang ungemein. Vor allem aber bietet sie die Chance, nicht Fachidioten heranzuzüchten sondern Menschen mit umfassender geistiger und sozialer Kompetenz. Zugegeben, leider fehlt das auch im herkömmlichen Instrumentalunterricht allzu oft. Bei „Professor PC“ ist diese Möglichkeit per se ausgeschlossen, von den Gefahren einer fehlenden instrumentaltechnischen Kontrolle ganz zu schweigen. Nichts gegen musikalischen Spaß am Computer. Aber Geigen- oder Klavierunterricht per Mouse-Klick lieber nicht!

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