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Fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall

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Gesellschaft für Neue Musik, Teil 8: Die Initiative „KlangNetz Dresden“ betreibt eine ost-westliche Grenzschau
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„Einstürzende Mauern“, und das ein Vierteljahrhundert nach 1989! Dabei war es um die Musik im deutschen Herbst vor 25 Jahren eher still. Diese Kunstgattung hatte doch kaum gesellschaftlichen Wandel bewirkt. Selbst Kurt Masur hat am 9. Oktober 1989 in Leipzig vor allem mit Worten gewirkt, wenngleich kraft musikalischer Reputation. Als Mstislaw Rostropowitsch an der Berliner Mauer spielte, war die schon am Zerbröseln.

Musik hat damals nichts zum Einsturz gebracht, Literatur, Theater und sowieso die Straße bewirkten mehr. Wenn die Initiative „KlangNetz Dresden“ ihre Konzertreihe zum 25. Jahrestag des Mauerfalls nun dennoch „Einstürzende Mauern“ nennt, ist das vor allem erinnernd. Ein Nachlauschen real exis-tierender Musikwelten beidseits der Grenzzäune und -mauern. Allen brüderlich-schwesterlichen Sonntagsreden zum Trotz blieb das Interesse an Austausch und Wissen auch auf diesem Gebiet eher einseitig. Neugier im Osten führte zu mitunter waghalsigen Aktionen, um westliche Noten, Schallplatten und Schriften zu bekommen; in Darmstadt und Donaueschingen blieben die Namen osteuropäischer Musikerinnen und Musiker lange Zeit unbekannt.

In Dresden hingegen gedieh ab 1986 das Zentrum für zeitgenössische Musik, das Türen in die Welt öffnen sollte. Dessen legitimem Nachfolger, dem Europäischen Zentrum der Künste in Hellerau, ist das 2008 gegründete und an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden angesiedelte KlangNetz eng verbunden. Konzertübergreifend zielt diese Initiative auf Förderung und Vernetzung zeitgenössischer Musik, nun hat sie gut ein halbes Jahr lang die Reihe „Einstürzende Mauern“ betrieben. Schon bald war klar, dass es darin keineswegs nur um Rückschau geht. Mit einigen Ur- und Erstaufführungen, die teils auch posthum erklangen, waren die Veranstalter durchaus am Puls der Zeit. Mit dem Blick nach vorne wurden Matinee-Aufführungen arrangiert, in denen ein fasziniertes junges Publikum – in seinen Hörgewohnheiten noch nicht verbildet und so vielleicht offener für Neue Musik – lauschte.

Stilistische Vielfalt

Zum Abschluss der Reihe wurden im Herbstkonzert „zwischen Mauern gesungen – im Freien verklungen“ die Komponisten Juliane Klein und Hans-Joachim Hespos beispielhaft gegen-übergestellt, um nach den Bedingungen des Schreibens und Aufführens Neuer Musik vor und nach 1989 zu fragen. Den Auftakt der Reihe gestaltete Ende Februar das Ensemble AuditivVokal in Verbindung mit TanzNetz Dresden, um mit einer posthumen Uraufführung Reiner Bredemeyers zu gedenken. In diesem Spannungsfeld erklangen zu Überschriften wie „Im Kreuzfeuer“, „Kontrapunkte – Blickwinkel“ oder „Tear Down This Wall!“ beziehungsreiche Musiken, die mal dem amerikanischen Traum gewidmet waren und an Ronald Reagans 1987er-Rede am Brandenburger Tor erinnerten, mal abstrakte Konfrontation von Ost und West betrieben. Inhaltlich wurden solche Kontraste mit Georg Katzer und Bernd Alois Zimmermann beziehungsweise im „Amerika“-Konzert mit Philipp Glas und Antonín Dvorák gezeigt.

100 Jahre nach Beginn des 1. Weltkriegs setzte sich das Ensemble El Perro Andaluz mit künstlerischen Positionen zu Krieg und Frieden auseinander. Unter dem Thema „so fern … so nah“ wurden darin die Urzellen deutscher Teilung beleuchtet. Mit einem Stück von Isang Yun ist aber auch auf den Terror anderer Grenzziehung verwiesen worden, von der die Vita des Deutsch-Koreaners geprägt ist.

Kammermusikalisch – auf interpretatorisch hohem Niveau – ist etwaigen Weltbezügen in der Musik der Moderne nachgespürt worden. Exemplarisch gelang das mit dem im deutschen Schicksalsjahr 1939 uraufgeführten „Concerto funèbre“ von Karl Amadeus Hartmann, um an den Pionier der Nachkriegsmoderne und Gründer der Münchner musica viva zu erinnern, dessen Musik heute viel zu selten im Konzertsaal erklingt. Dessen mitten in den Nazi-Jahren geschriebene Ahnungen nahmen kriegerische Gewalt und „Zusammenbruch“ bezwingend voraus, um in einem Hoffnungsschimmer für den Neuanfang zu enden. Die 18-jährige Spanierin Elina Rubio Pentcheva hatte das Concerto just für dieses Konzert einstudiert – und erwies sich als beeindruckende Solistin.

Unter Ekkehard Klemms klangwalterisch so engagierter wie überzeugender Leitung musizierte die Sinfonietta Dresden dieses klug disponierte Programm, zu dem auch das Gemeinschaftswerk „In Memoriam Paul Dessau“ der einstigen (inzwischen allesamt ebenfalls verstorbenen) Dessau-Schüler Friedrich Schenker, Reiner Bredemeyer und Friedrich Goldmann gehörte. Schroff im Kontrast dazu standen Karlheinz Stockhausens „Kontra-Punkte“ von 1952/53 als ein strukturell neues Schlüsselwerk des Jahrhunderts.

Zwei Uraufführungen bereicherten auch dieses Konzert, zunächst „jede Taube“ von Torsten Reitz – klangvolles Mauerdickicht mit hellstem Licht und hermetischem Dunkel –, dann das „Klavierkonzert-Fragment“ von Chris-tian Münch, der sein abgeschlossenes Kurzstück bewusst als Fragment bezeichnet, weil das Aufblenden und Verschwinden von Tönen seiner Meinung nach nur ausschnitthaft ist.

Der Weg der Nachkriegsmoderne geht also weiter. Wohin? Das blieb bewusst offen.

www.klangnetz-dresden.de

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