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Fünfzig Jahre VdM

Untertitel
Vorsitzender Gerd Eicker im Gespräch
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Vom 6. bis 9. September begeht der Verband deutscher Musikschulen (VdM) sein fünfzigjähriges Jubiläum im Schloss Oberwerries in Hamm/Westfalen. Exakt zum selben Termin und am selben Ort gründeten vor fünfzig Jahren zwölf Schulen den Verband deutscher Musikschulen. Sieht man diese fünfzigjährige Geschichte, dann ist das innerhalb der deutschen Kulturgeschichte doch ein sehr kleiner Zeitraum. Dennoch gibt es wohl kaum eine vergleichbare Institution, die sich in einem so kurzen Zeitraum in einer derartig fulminanten Weise hat ent-wickeln können. Anlässlich des Jubiläums führte Andreas Kolb, Redaktionsleiter der neuen musikzeitung, ein Gespräch mit Gerd Eicker, dem Vorsitzenden des VdM.

Vom 6. bis 9. September begeht der Verband deutscher Musikschulen (VdM) sein fünfzigjähriges Jubiläum im Schloss Oberwerries in Hamm/Westfalen. Exakt zum selben Termin und am selben Ort gründeten vor fünfzig Jahren zwölf Schulen den Verband deutscher Musikschulen. Sieht man diese fünfzigjährige Geschichte, dann ist das innerhalb der deutschen Kulturgeschichte doch ein sehr kleiner Zeitraum. Dennoch gibt es wohl kaum eine vergleichbare Institution, die sich in einem so kurzen Zeitraum in einer derartig fulminanten Weise hat ent-wickeln können. Anlässlich des Jubiläums führte Andreas Kolb, Redaktionsleiter der neuen musikzeitung, ein Gespräch mit Gerd Eicker, dem Vorsitzenden des VdM.neue musikzeitung: Von wem ging vor fünfzig Jahren die Initiative zur Gründung des VdM aus?
Gerd Eicker: Am 7. September 1952 gründeten die Vertreter von damals zwölf existierenden öffentlichen Musikschulen den Verband der Jugend- und Volksmusikschulen. Wilhelm Twittenhoff, der zum ersten Vorsitzenden gewählt wurde, hatte zuvor mit der Schrift „Neue Musikschulen – eine Forderung unsrer Zeit“ das zukunftsweisende Programm dieser Vereinigung vorgelegt. Heute ist der VdM rund 1.000 Mitgliedsschulen stark, an denen über 35.000 Lehrkräfte mehr als eine Million Kinder, Jugendliche und Erwachsene unterrichten. : Die Idee der Musikschule ist aber doch älter?
: Die Grundidee zu der heutigen Musikschule ist letztlich die von Fritz Jöde, der im Rahmen der Kestenberg-Reform, der großen Reform der Schulmusik, das Grundanliegen „musikalische Bildung für alle“ in Berlin postulierte. Jöde kam aus der Jugendmusikbewegung, deren Anliegen es war, möglichst allen Kindern und insbe- sondere denen der Unterprivilegierten, einen Zugang zur Musik zu ermöglichen. Dieser Grundgedanke bewegt uns heute noch. Wenn acht Millionen der Deutschen in den entsprechenden Orchester-, Chor- und Blasmusikvereinigungen musizieren, dann ist das eine Volksbewegung, wie sie in Deutschland in den letzten 300 Jahren nicht vorgekommen ist. : Auf was führen Sie diese Erfolgsgeschichte zurück?
: Sicher auch darauf, dass damals Twittenhoff, später Diethard Wucher, dieses Musikschulwesen in einer Form etablierten, das den allgemein bildenden Schulen kompatibel war, mit Strukturplan und Lehrplänen. Wichtige Ziele der Musikschulen waren auf der einen Seite die Breitenwirkung und auf der anderen die Spitzenförderung. : Die obligate „PISA-Frage“: Was kann die Musikschule dazu beitragen, den deutschen Rückstand in der Bildungspolitik aufzuholen?
: Die PISA-Studie bestätigt Dinge, die wir eigentlich schon lange vermuteten. Wir wissen aber, wie musikalische Bildung wirkt, wir wissen, welche Auswirkungen die Sekundärfunktionen musikalischer Bildung auf das Lernverhalten von Kindern haben. Logischerweise müsste jetzt, in der großen Bildungsreform, die angezeigt scheint, die musikalische Bildung eine ganz gewichtige Rolle spielen. : Welche Rolle spielen die öffentlichen Musikschulen im Hinblick auf die geplanten Ganztagsschulen?
: Die Musikschulen stehen bereit mit ihren Möglichkeiten. Wir müssen aber immer wieder ganz klar sagen, dass wir nicht die Aufgaben der Schulmusik übernehmen wollen und können. Wir schaffen die zusätzlichen Qualifikationen. Wenn argumentiert wird, die Kommunen oder das Land hätten das Geld nicht, dann steht das in einem krassen Widerspruch zu den Angeboten, die es gibt. Wenn die Bildungsministerin Bulmahn aufgrund der Ergebnisse der PISA-Studie vier Milliarden Euro zur Verfügung stellen will und die Länder sich zurückhaltend zeigen, dann ist das für mich ein deutliches Zeichen dafür, dass sie hinreichend Geld haben, um für die Bildung etwas zu tun – und dazu gehören natürlich auch die Musikschulen. : Inzwischen hat sich neben den Schulen des VdM ein Markt privater Musikschulen gebildet. Ist das eine ernst zu nehmende Konkurrenz?
: Ich meine, dass wir hier deutlich differenzieren müssen. Es gibt Zusammenschlüsse von wirklich qualifizierten Lehrkräften. Das ist ein Zeichen der Zeit und nichts Neues oder Beängstigendes, sondern das gehört einfach zu unserer musikpädagogischen Szene.
Bei dieser Diskussion geht es um andere Dinge und die sollte man deutlich ansprechen: Bildung zum kommerziellen Sektor zu machen, halte ich für etwas Verwerfliches, weil der Kommerz einer gewissen Beliebigkeit unterworfen ist. Man kann doch nicht das kostbarste Gut eines Volkes, die Bildung seiner Jugend, den Marktgesetzen von Angebot und Nachfrage unterwerfen wollen.
Das ist meines Erachtens einer Kulturnation nicht würdig. Es ist schade, dass in nur wenigen Bundesländern der Begriff Musikschule klar definiert und auch geschützt ist. Nach unserer Überzeugung sollte auch „Musikschule drin sein, wo Musikschule drauf steht“. „Drin“ bedeutet für öffentliche Musikschulen ausgebaute Schulstruktur mit entsprechender Fächerbreite und systematischer Arbeit, in deren Zentrum die Ensemblearbeit steht. Dazu gehören aber auch Planungssicherheit für die Eltern, Qualitätssicherung, sozial verträgliche Unterrichtsgebühren und Sozialermäßigungen. Es darf nicht vom Portemonnaie der Eltern abhängen, ob ein Kind musikalische Bildung erfährt oder nicht. : 1990 wurden 150 Musikschulen der neuen Bundesländer in den VdM integriert. Ein einschneidendes Ereignis für den VdM? : Die Wiedervereinigung brachte dem alten VdM völlig neue Perspektiven, nämlich vertraut zu werden mit einer Musikschulgeschichte, die sich in vierzig Jahren ganz anders entwickelt hatte. Die Kollegen, die dort Staatsbedienstete waren, die Musikschulen, die dort Bestandteil eines staatlichen Bildungswesens waren und nicht-kommunale Einrichtungen als Freiwilligkeitsleistungen, hatten ein ganz anderes Selbstverständnis und wurden plötzlich nun in dieses System der alten Bundesrepublik hineingeworfen. Das war sehr schwierig für die Kolleginnen und Kollegen dort. Ich glaube aber, dass mit Hilfe des VdM und der Menschen, die dort arbeiten und gearbeitet haben, die Wiedervereinigung hier in einer ganz hervorragenden Art und Weise und sehr schnell vollzogen werden konnte. Durch die Erhaltung des ehemaligen Rundfunkmusikschulorchesters als Deutsches Musikschulorchester (DMO) hat die Musikschularbeit eine glanzvolle Facette hinzugewonnen. : Der VdM hat Maßgebliches zur Etablierung der Früherziehung in der Musikausbildung beigetragen. Wie steht die Früherziehung heute da?
: Wir haben eine permanent steigende Nachfrage zu verzeichnen, auch durch neue Angebote für kleine Kinder mit ihren Eltern. Gleichzeitig herrscht ein ungeheurer Mangel an ausgebildeten Lehrkräften. Deswegen werden auch weiterhin die berufsqualifizierenden Kurse vom VdM angeboten und sind mehr als gut belegt. Aber hier sind eigentlich die Hochschulen gefragt. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Notwendigkeit der Zweifächer-Qualifikation hinweisen, insbesondere unter Einbeziehung der elementaren Musikerziehung. Eine besondere Zukunftsbedeutung werden solchen Qualifikationen unter dem Aspekt der Vernetzung von Ganztagsschulen und Musikschulen haben. Wenn Musikschulen im Angebotsbereich der Ganztagsschulen auch Angebote machen sollen, dann brauchen wir gerade dazu die Kolleginnen und Kollegen, die dafür qualifiziert sind, mit Gruppen zu arbeiten. Und ich meine nicht den Instrumentalunterricht in Dreiergruppen, sondern die Arbeit mit Gruppen von zehn oder auch fünfzehn Kindern. : Was wünschen Sie sich für die Zukunft des VdM?
: Das sind zwei Dinge. Intern wünsche ich mir, dass wir wesentlich mehr als in der Vergangenheit geschehen, miteinander kommunizieren. Ich halte es für unabdingbar, dass die Musikschulen nicht nur in der Struktur des VdM, das heißt Region, Land, Bund, sondern auch überschreitend, ihre Erfahrungen austauschen. Die Voraussetzung hierfür hat der VdM mit seinen Kongressen, mit Internet und Intranet geschaffen.
Dieses Voneinander-Lernen ist wichtiger denn je. Wir müssen uns im Verband als ein insgesamt lernendes System verstehen. Nur dann haben wir die große Chance, unser Hauptziel zu erreichen: die Musikalisierung unserer Gesellschaft. : Und der zweite Wunsch?
: Hier wünsche ich mir, dass die Einrichtung öffentliche Musikschule in das Gesamtbildungssystem noch stärker eingebunden wird, als es bisher geschieht – und zwar auf Landes – wie auf Bundesebene. Dass die politischen Entscheidungsträger erkennen, welches Gut mit den Musikschulen in den fünfzig Jahren primär von den Kommunen, zum Teil auch mit Länderhilfe, geschaffen worden ist.Sie wären schlecht beraten, wenn sie dieses Potential in den anstehenden Bildungsreformen nicht nutzen würden.

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