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Herr B. als Makler an der Börse für Neue Musik

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Spekulative Gedanken über das Festival und seine Macher
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„Als Strobel zu Strawinsky sagte...“ So stellen sich manche noch immer den Leiter eines Festivals für neue Musik vor: stets im Dialog mit den Jahrhundertgenies, ein Gott in grauem Tuch, der vom Schreibtisch aus Musikgeschichte gestaltet und laufend Aufträge für Meisterwerke erteilt.

„Als Strobel zu Strawinsky sagte...“ So stellen sich manche noch immer den Leiter eines Festivals für neue Musik vor: stets im Dialog mit den Jahrhundertgenies, ein Gott in grauem Tuch, der vom Schreibtisch aus Musikgeschichte gestaltet und laufend Aufträge für Meisterwerke erteilt.Möglicherweise war`s ja tatsächlich mal so. Doch im hochtourig rotierenden Kulturbetrieb von heute ist ein anderes Bild realistischer. Es ist das Bild des gestressten Managers, umgeben von lauter wohlmeinenden Leuten, die alle irgendwen pushen: Der Hausdirigent seinen Lieblingskomponisten („Sonst mache ich die Uraufführung nicht!“), das einzuladende Ensemble seine neueste Entdeckung („Der Shooting Star von morgen!“), die Verlage ihre hoffnungslos teuren Orchestermaterialien („Ein Meister der Instrumentierung!“), der programmberatende Kom-ponist und Hochschulprofessor seine unerhört begabte Schülerin („Unerhört begabt!“). Darum herum: Der Orchestervorstand, die ebenso schlecht bezahlten wie ineffizienten Hilfskräfte, die karriereneidischen Kollegen, die argusäugigen Hierarchen, Politiker und Gremien. Etwas weiter entfernt, aber nicht zu unterschätzen: die internationalen kompositorischen Großunternehmer mit ihrem weit reichenden Einfluss hinter den Kulissen, die nicht zum Zuge gekommenen Komponisten, die sich am Wirtshaustisch das Maul zerreißen, die Konkurrenzfestivals, von denen man sich durch ein eigenes branding klar absetzen muss. Und ganz am Schluss kommt noch der nörgelnde Kritiker. Schon wieder hat er die Programmidee nicht kapiert! Womit auch der zur internen Legitimation dringend benötigte Pressespiegel für die Katz ist.

Mitten drin in diesem Karneval der Subjektivitäten führt der Festivalchef seinen ebenfalls subjektiven Eiertanz auf. Er bemüht sich, Hammer und nicht Amboss zu sein, und versucht die vielerlei Pressionen abzuwehren, die seine ursprüngliche Programmidee zu verwässern drohen. In stillen Morgenstunden, bevor das Telefon andauernd zu klingeln beginnt, träumt er vielleicht manchmal vom großen Strobel im Zweireiher oder auch nur vom kleinen Glück, dass ihm Meister Karlheinz bei genügend Sponsorenaufkommen einmal einen Unterabschnitt seiner kosmischen Seifenoper widmen könnte: Ein tollkühner Wechsel auf die Zukunft! Das wäre der wahre Triumph, der seiner Rolle als Pfadfinder einer Ästhetik von morgen angemessen wäre.

Festivals für neue Musik werden gelegentlich als Musikbörsen bezeichnet. Das trifft, da sie sich der Suche nach dem wie auch immer „Neuen“ in der Musik verschrieben haben, in einem doppelten, nicht ganz ungefährlichen Sinn zu. Sie sind dem „Neuen Markt“ vergleichbar. Gehandelt wird hier wie dort mit spekulativen Größen, über deren Wert man erst morgen mehr weiß. Beethoven dagegen ist Old Economy – ein gesicherter Wert, und kein Veranstalter macht mit ihm Pleite. Dass der Neue Markt frei, der Markt der Neuen Musik jedoch hoch subventioniert ist, tut nichts zur Sache. Die bestimmenden Kräfte und Interessen sind im zweiten Fall bloß genauer lokalisierbar, die handelnden Personen und Institutionen meist leicht zu identifizieren. Das eine Mal geht’s um Geld und Macht, das andere Mal um Prestige und Macht (und auch ein bisschen ums Geld). Die zentrale Rolle spielen beide Male nicht die so genannt fundamentalen Werte wie Kapitaldecke und Produktqualität respektive künstlerische Erfahrung und Metier, sondern schnelle Information und Psychologie. Gewinner ist, wer über die besseren Kontakte verfügt und wer die aktuelle Stimmung der Marktteilnehmer richtig erfasst. So etwas wird auch Trend genannt.

In diesem nicht ganz freien Spiel der Kräfte übernimmt der Festivalchef die Rolle des engagierten Maklers. Er handelt, teils im Auftrag Dritter, mit Werten der Zukunft, und das heißt: er spekuliert. Und wie an der richtigen Börse weiß er nicht, ob er auf das richtige Pferd gesetzt hat. Die viel gehandelten Titel von heute können morgen in ein Kurstief fallen, die Nebenwerte plötzlich einen Boom erleben. Es hängt ganz davon ab, wer im Hintergrund pusht. Wenn etwa ein Komponist oder Dirigent – nennen wir ihn Herr A. – mit internationalen Verbindungen zu Orchestern, Rundfunkproduzenten, Verlagen, Plattenfirmen und Kulturstiftungen dem Festivalchef B. eine Kaufempfehlung gibt, hat dies vermutlich größeres Gewicht als die Meinung von Herrn C., der nur ein kleines Ensemble oder ein Autorenkollektiv im Rücken hat. Der Makler im Festivalbüro braucht ja auch gewisse persönliche Sicherheiten, und die sind ihm durch das institutionelle Potenzial gegeben. Eine Weiterverwertung ist damit möglich und der Marktwert des eigenen Festivals steigt. Selbstverständlich wird Herr B. auch Herrn C. gelegentlich erhören und aufführen – der Pluralismus und das bisschen Geld garantieren auch dem Kleinproduzenten ein Plätzchen an der Sonne.

In den großen Kreislauf des internationalen Betriebs wird aber nur das von Herrn A. favorisierte Produkt gelangen, denn sein demnächst steigender Kurs an den Festivalbörsen und damit auch seine anderweitigen Erfolgschancen sind durch den Einfluss von Herrn A. gewährleistet. Und wenn auch der Kritiker die Programmidee kapiert hat, ist sogar der Pressespiegel intern vorzeigbar. Dann sind sich alle einig: Ein neuer Komponist ist entdeckt, ein bedeutendes Werk der Neuen Musik geboren. Das Festival hat seine Kraft zur Innovation einmal mehr erwiesen.

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