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Im Nachkriegsdeutschland war Bruno Tetzner (80) maßgeblich am Aufbau des Deutschen Musikrates beteiligt und gehörte in den 80er-Jahren zu den Gründern des Deutschen Kulturrates. Fast zwanzig Jahre gehörte der studierte Kirchenmusiker Tetzner dem Sprecherrat des Deutschen Kulturrates an. Er vertrat zunächst den Rat für Soziokultur, später den Deutschen Musikrat. Tetzner, der bis heute persönliches Mitglied des Musikrates ist, war Mitinitiator des Konzeptes der Landesmusikräte, Leiter der Satzungs- und Strukturkommission zur Strukturreform des DMR, dreißig Jahre Mitglied des Planungs- und Verwaltungsbeirates, sowie Initiator zur Gründung und Aufbau des Landesmusikrates Nordrheinwestfalen. Seit der Gründung desselben war Tetzner zwanzig Jahre Vizepräsident sowie Vorsitzender der Sektion „AG Musik in der Jugend“. Vierzig Jahre war er als Vorsitzender am Auf- und Ausbau der Landesarbeitsgemeinschaft Musik NRW zum größten Organisationsverbund der außerschulischen Jugendbildung in NRW beteiligt. Vor fünfzig Jahren war Bruno Tetzner Mitgründer des heutigen VdM. Der Kunsthändler, Galerist und Journalist Olaf Zimmermann (41) ist seit 1997 Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und zählt Bruno Tetzner bis heute zu seinen wichtigen Ratgebern. Zimmermann ist weiterhin Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Zukunft des Bürgerlichen Engagements”, sowie Leiter der Arbeitsgruppe Kunst und Kultur des Forums Informationsgesellschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Mit Bruno Tetzner und Olaf Zimmermann führte Chefredakteur Theo Geißler in Bonn ein Gespräch über die Historie und die Zukunft der deutschen Kulturverbände.
Kulturpolitischer Diskurs zu dritt im Bonner Haus der Kultur (v.li.): Theo Geißler, Olaf Zimmermann, Bruno Tetzner. Foto: Gabriele Schulz
Theo Geißler: Fangen wir sozusagen beim „ground zero” des deutschen Kulturlebens im letzten Jahrhundert an, in der Zeit zwischen 1945, 1950 und 1952. Man hatte das Gefühl, dass die Theater schneller wieder aufgebaut waren als die Schulen; man hatte das Gefühl, dass die Orchester eher wieder funktionierten als die Kindergärten, stimmt das?
Bruno Tetzner: In der damaligen Zeit war nach der Phase des Nationalsozialismus ein großer Bedarf nach neuem kulturellem Leben, neuem Denken vorhanden. Trotz aller Armut, trotz der unglaublichen Entbehrungen bestand der Wunsch, Kultur neu zu erfahren. Ich kann mich noch sehr genau erinnern, dass damals Theater und bald auch Orchester-Konzerte in Werkskantinen, Fabrikhallen und Straßenbahndepots stattfanden. Der Wunsch, ins Konzert zu gehen, war unglaublich groß und es ist heute nicht mehr vorstellbar, mit welchen Anstrengungen es verbunden war.
Der Aufbau der Musikverbände vollzog sich relativ langsam. In den 50er- Jahren waren es die herausragenden Persönlichkeiten des neuen Musiklebens, die zum Auf- und Ausbau der Musikverbände wesentlich beitrugen. Die Entwicklung der Verbandsstrukturen war daher zunächst stark persönlichkeitsgebunden, im Unterschied zu jetzt. Heute sind die Infrastrukturen stark und stabil, so dass die Zusammensetzung der Vorstände problemlos variieren kann.
Geißler: Einer der ersten Verbände, die gegründet wurden, war 1952 der Verband deutscher Musikschulen. Woher kam der Bedarf nach einem solchen Verband?
Tetzner: Hier muss man zurückgehen auf die Jugendmusik, die Jugend(sing)bewegung aus der Zeit vor den beiden Weltkriegen, die zwar durch den Nationalsozialismus sehr verfälscht wurde aber geprägt war von Persönlichkeiten wie Fritz Jöde, Carl Orff, Wilhelm Twittenhoff und anderen Sie griffen Gedanken der Jugend- und Volksmusik wieder auf und knüpften an die 20er- und 30er-Jahre an, wo man bereits begonnen hatte Jugend- und Volksmusikschulen einzurichten, weil – so lautete damals die Begründung – die Bildungs- und Ausbildungsstätten der damaligen Zeit nicht mehr dem Bedarf der Jugendlichen entsprächen. So fanden sich ja vor genau 50 Jahren 13 Initiatoren zum Aufbau von Jugendmusikschulen in Deutschland zusammen und schufen den Vorläufer des heutigen Verbandes deutscher Musikschulen. Hier ging es zunächst zwar um einen Erfahrungsaustausch und es standen viele strukturelle und organisatorische Fragen im Vordergrund wie „Kommunaler oder privater Träger?“, „Wie findet man geeignete Lehrer?“, „Wie sammelt man Schulgeld ein?“, „Wie weit kann Schulgeld die Gesamtkosten decken?“. Man kann sich heute die damalige Situation kaum vorstellen: Im Zentrum der Arbeit stand das gemeinsame Singen; Blockflöten und Fideln waren Einstiegsinstrumente; Klavierlehrer lernten Blockflöte. – Die 13 Initiativen verbanden sich zu einem ersten, sehr weitmaschigen Netz und verabredeten, den Jugendmusikschulgedanken weiterzutragen. Das war anfänglich nicht leicht, denn selbst die existierenden „Jugendmusikschulen“ waren in ihren Profilen sehr unterschiedlich. Daher war es kaum vermittelbar, Stadtverordneten die Bedeutung einer Jugendmusikschule für das künftige Musikleben einer Gemeinde zu erklären. Deshalb entwickelten wir in den 50er-Jahren ein Modellprojekt, um in Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium Nordrhein-Westfalen (das Kulturministerium hatte noch gar keine Antenne dafür) Geld bereitzustellen, um fünf bis sechs Schulen in Nordrhein-Westfalen so auszustatten, dass sie als Musikschulen erkennbar wurden. Dieses Projekt war so erfolgreich, dass es eine Kettenreaktion auslöste und der Verband kaum mit den erforderlichen Beratungen zur Errichtung von Musikschulen mithalten konnte. Die Musikschulen hatten ihren gesellschaftlichen Auftrag gefunden und definiert und konnten nun ihre musikpädagogischen Aufgaben zunehmend wahrnehmen.
Geißler: Den Begriff Kulturpolitik gab es damals noch gar nicht. Trotzdem wurden Sie 1952 schon in ein Kulturgremium, ein Musikgremium des Landes Nordrhein-Westfalen berufen. Sie haben zunächst einen starken Akzent auf den musikalischen Bereich gesetzt, aber sehr bald über die Musik hinaus alle Künste zu erfassen gesucht. War das die Grundidee für die Akademie Remscheid?
Tetzner: Es war eine Wechselwirkung. Ich war Musiker und hatte Interesse, die musikalische Basis unseres Landes zu stabilisieren, zu entfalten und zu qualifizieren. Hierfür waren zum einen die Musikschulen das ideale, inzwischen flächendeckende Instrumentarium, zum anderen aber auch immer mehr Musikensembles mit unterschiedlichen Musikfarben. Parallel dazu begannen wir auf Bundesebene, wo es die AGMM als Vorform des heutigen Musikrates gab, nach einer Einrichtung zu streben, in der ehren- und nebenamtliche Leiter von kulturellen Gruppen weiter qualifiziert wurden.
So wurden erstmalig in die Planungsgruppe auch Vertreter der Laienmusiker, Tänzer und handwerklich-bildnerisch Tätige eingeladen und so entstand 1956 das Konzept der Musischen Bildungsstätte Remscheid mit einem breiten künstlerischen Bildungsspektrum. Die 45 Jahrespläne der heutigen Akademie Remscheid vermitteln sehr anschaulich die zum Teil tief greifenden Wandlungen kultureller Jugendbildung.
Emanzipation der Laien
Geißler: Wenn sich Künstler zusammentaten, haben sie früher eher eine berufsständische Organisation gegründet, um ihre eigene Berufspolitik, ihren Stand zu festigen und dann taten sich eben die Musiker, die bildenden Künstler oder die Literaten jeweils für sich zusammen, aus egoistischen oder eigenwilligen Interessen. Das war noch keine Kultur- oder Bildungspolitik. Wann hat sich das entwickelt?
Tetzner: In den 50er-Jahren haben sich zwar nach und nach die Berufsständischen zusammengeschlossen, aber sie waren eher introvertiert und in der Außenkommunikation zum Teil unsicher (zum Beispiel bestanden zur Zeit der Entstehung des Musikschulverbandes große existenzielle Ängste bei den privaten Musikerziehern und Irritationen bei Schulmusikern, die zu überwinden waren). Die Musische Bildungsstätte Remscheid sollte die Arbeit der Laien, der Amateure fördern: Laienspiel, Laientanz, Werken. Wie sich ihre Arbeit sehr bald und radikal änderte in Richtung einer modernen Ästhetischen Bildung, kann hier nicht weiter ausgeführt werden. Damals war der Abstand zwischen den Arbeitszielen der Laien und den Beruflich-Professionellen unglaublich weit. Erst sehr viel später wuchsen diese Bereiche näher zusammen; in der Musik geschah dies etwa, als in den 60er-Jahren die Musikschulen die Pfade der Jugendmusikbewegung verließen und sich die Musiktraditionen erschlossen, wofür entsprechende Lehrkräfte gebraucht wurden, was wiederum Druck auf die Hochschulen ausübte, entsprechende Musiklehrer auszubilden. Als der Deutsche Musikrat gegründet wurde, war noch eine eigentümliche Diskrepanz vorhanden: Die „Sprachlosigkeit der Laienverbände“, die zwar den Großteil der aktiv Musizierenden vertraten, aber nicht angemessen in der Lage waren, ihre Bedürfnisse und Interessen zu artikulieren, standen im Gegensatz zur politisch-verbalen Perfektion der Professionellen. Ich habe damals sehr darunter gelitten und wiederholt interveniert. Ich bin aber glücklich, dass die Laienmusiker heute ein starkes, gesundes und legitimes Selbstbewusstsein haben und ich kann nur raten, dass Dachorganisationen – welcher Art auch immer – die Laien, besser gesagt die Amateure, mehr beachten, weil sie eine wichtige Basis unserer (Musik-)Kultur darstellen.
Geißler: Basierend auf dem Schulmusikerverband nach dem Krieg hat sich der Deutsche Musikrat als einer der ersten geordneten Kunst-Lobby-Verbände etabliert. Wem gegenüber wollte man die Sache der Musik vertreten? Der Politik gegenüber?
Tetzner: Wir haben uns für den Aufbau von Infrastrukturen engagiert, weil wir vom Ansatz ausgingen, dass in einer repräsentativen Demokratie das, was nicht repräsentativ ist, nicht wahrgenommen wird und nicht dialogfähig ist und somit einen schweren Stand hat. Von gleicher Wichtigkeit war uns aber auch, dass durch die Schaffung des Deutschen Musikrates fachliche Binnenkommunikationen möglich wurden. Hierdurch sind die vielen Impulse, Konzepte und Projekte entstanden, die in den vergangenen Jahrzehnten unser Musikleben so nachhaltig dynamisiert haben!
Modell Musikrat
Geißler: Die anderen Künste haben ja eine Zeit lang neidisch auf den Musikbereich geguckt. Den Bund Deutscher Kunsterzieher (BDK) gab es zwar schon lange, auch den Deutschen Journalisten-Verband (DJV), aber politisch waren zuallererst die Musiker aktiv. Sie haben das Musikschulsystem stabilisiert, haben bestimmte Maßnahmen ins Leben gerufen, zum Beispiel „Jugend musiziert”, was zur politischen Befestigung geführt hat. Wer kam auf die Idee, diese verschiedenen Kunstgruppierungen zusammenzuführen?
Tetzner: Der Deutsche Musikrat und die Substrukturen waren ein gutes, nachahmenswertes Modell. Wir stießen damit auch andere Fachbereiche an, um das, was bei den Musikern u umöglich war, auch in anderen Fachbereichen zu versuchen. Ich empfinde es heute noch als Defizit, dass ein wichtiger Bereich wie der Tanz im Deutschen Kulturrat – aus, pointiert gesagt, egoistischen Gründen – nicht eine eigene Sektion ist. Von der Zusammensetzung könnte er sogar größer sein als manch andere Sektion. Curt Sachs, der große Musikwissenschaftler, sagte: „Der Tanz ist der Ursprung aller Künste.” Es ist ein Fehler, wenn man ihn unter „darstellende Künste” summiert und nicht die Vielfalt von Tanz bündelt. In der Folge sind viele Bereiche, die zum Tanz gehören zum Sport hin abgewandert, spätestens seit der Aerobicwelle.
Gebündelte Fachkompetenz
Geißler: Beim Deutschen Musikrat war seinerzeit der Ruf nach einem Deutschen Kulturrat gar nicht so laut. Man sagte: „Wir stehen ganz gut da, brauchen wir denn so was?”
Tetzner: Der Vorbehalt war verständlich und ich erlebte es auch in Nordrhein-Westfalen, als der Landeskulturrat ins Gespräch kam. Das ist verständlich. Man hatte sich im Musikbereich zusammengefunden mit einer stabilen Innen- und Außenkommunikation und musste sich nun auf etwas Neues einstellen; die Sorge, finanziell oder in der öffentlichen Aufmerksamkeit etwas teilen zu müssen, ist verständlich.
Geißler: Was war denn der Nukleus für die Gründung des Kulturrates?
Tetzner: Die Entwicklung seit den 50er/60er-Jahren, in der es erst einmal darum ging, Dialogfähigkeit und Artikulationsfähigkeit nach innen zu entwickeln, sich überhaupt kennen und schätzen zu lernen, war weitgehend abgeschlossen. Die Kultusministerkonferenz und die beginnende Diskussion um die Kulturhoheit der Länder sorgten für immer mehr Nachdenken in der kulturpolitischen Diskussion. So entstand die Frage: Wenn wir mit dem Kultusministerium, mit der Kultusministerkonferenz ins Gespräch kommen, reichen einzelne Kunstbereiche nicht aus, sondern wir brauchen die gesamte Breite. Das war das Konzept bei der Gründung des Deutschen Kulturrats: die Bündelung der in den unterschiedlichen Sektionen vereinten Fachkompetenzen.
Geißler: Man hat den Eindruck, dass mit Andreas Johannes Wiesand und Karla Fohrbeck zwei Kulturwissenschaftler und Soziologen das Ruder übernahmen.
Tetzner: Beide kamen aus ihrer beruflichen Tätigkeit, dem Spiegel-Institut für Projektstudien, und hatten einen großen Horizont. Das war für uns eine wichtige Hilfe, weil sie aus dieser großen Weltsicht heraus uns ermutigten, die Basis des Deutschen Kulturrats breit anzulegen. Die literarischen Ergebnisse waren immer Untersuchungen, Sammelbände, kulturelle Bildung, alles notwendige Schritte, um im Bewusstsein der Mitglieder eine geistige Plattform zu schaffen, auf der sie dann arbeiten konnten.
Geißler: Hatte man nicht Angst, das Ganze könnte etwas papieren oder lebensfremd wirken?
Tetzner: Das kann ich deshalb nicht bestätigen, weil die meisten Mitglieder im Kulturrat zwar aktive „Macher” waren, aber eher Künstler als Funktionäre.
Hochkultur und Bildung
Geißler: Welche Rolle spielte es, dass Kultur sich ab den 60er-, frühen 70er-Jahren zunehmend politisiert, politisch geäußert hat? War das eher hinderlich bei der Beförderung des Kulturrates oder war es eine Hilfe?
Tetzner: Das hängt mit der allgemeinen Politisierung der Gesellschaft ab den 60er-Jahren zusammen. Im Bereich der kulturellen Jugendbildung wurde der politischen Bildung eine Priorität in der Förderung und bei der Gewichtung von Bildungsmaßnahmen eingeräumt. Damit wir überhaupt dialogfähig blieben, sagten wir zum Beispiel: „Kulturelle Bildung ist politische Bildung mit anderen Mitteln.“ Man musste sich in den allgemeinen politischen Dialog einklinken und war gezwungen, sich in Formulierungen und Denkkategorien einzumischen, ohne die Ziele der kulturellen Bildung einzuschränken oder aufzugeben.
Geißler: Gab es ein Spannungsfeld zwischen „Hochkultur“ und der kulturellen Bildung, wie Sie sie beschrieben haben? Haben diese beiden Bereiche völlig aneinander vorbei existiert?
Tetzner: Ein solches Spannungsfeld ist notwendig und es ist unsere Aufgabe, es fruchtbar zu gestalten. Gerade in der heutigen Zeit, die in fast allen Bereichen eine Abwehrposition, was Kultur, Gesellschaft und Kommunikation betrifft, verlangt, brauchen wir die Professionalität der Künstler in allen Bereichen auch zur Weiterentwicklung elementarer Basisarbeit. Im Deutschen Musikrat haben wir schon früh diese Durchlässigkeit ermöglicht. Heute werden Kinder und Jugendliche durch Medien und Umwelt so stark geprägt, dass sie einen anderen Sozialisationsweg durchschreiten als die mittlere und ältere Generation. Die Bildungsreform der 70er-Jahre hat manch gute Entwicklung unterstützt. Aber wir stehen heute vor neuen He-rausforderungen. Hierzu nur zwei Beispiele:
Erstes Beispiel: 1964 verfasste der Deutsche Musikrat eine Denkschrift „Gefahren für das deutsche Musikleben und Wege zu ihrer Überwindung“. Wenn man sie heute liest, ist man verblüfft, wie der Musikrat mit seinen Mitgliedern – ich möchte sagen – aus eigener Kompetenz diese Gefahren längst behoben und in produktiv gestaltetes dynamisches Musikleben umgestaltet hat bis auf zwei Punkte: „Musik in der Schule“ und „Musik in der Lehrerbildung“. Nun hat es aber in diesen Jahrzehnten bis in die Gegenwart nicht an uneingeschränkter Zustimmung der Politiker (bis zum Bundespräsidenten) und Ministerien für einen Musikunterricht in allen Schulgattungen gemangelt. Dennoch: die Schulmusik(er) sind heute in ungleich schwierigerer Situation und wir dürfen sie nicht allein lassen! Ich meine, dass die Anstrengungen des Musikrates und seiner Mitglieder gerade jetzt hier gefordert sind, zu einer Klimaverbesserung beizutragen und etwa die Ausbildungsstätten darin zu unterstützen, dass die Studenten für die heutigen Erfordernisse an „Musik in der Schule“ besser qualifiziert sind und umfassende Fort- und Weiterbildungen angeboten werden. Das können wir, wenn wir es wirklich wollen, selbst zuwege bringen.
Zweites Beispiel: Am 12. Februar 2000 hat das Präsidium des Deutschen Musikrates ein „Memorandum zur Ausbildung für musikpädagogische Berufe“ – ein sehr lesens- und empfehlenswertes Papier – verabschiedet. Am 10. Januar 2002 hat die KMK dem Deutschen Musikrat wohlwollend geantwortet, und das Schreiben schließt: „Die Ländervertreter sind daher übereingekommen, den Musikhochschulen das Memorandum des Deutschen Musikrates mit der Empfehlung zuzuleiten, die darin enthaltenen Vorschläge in die aktuellen Diskussionen zur Studienreform einzubeziehen“. Damit ist der Ball wieder beim Absender. Denn die Musikhochschulen sind ja im Deutschen Musikrat nicht nur vertreten, sondern ihre Vertreter haben maßgeblich an dem Memorandum mitgewirkt. – Was läuft da falsch? Verlagern wir die notwendige eigene Anstrengung zu Veränderungen auf Erwartungen nicht einfach an die Politik? – In die gleiche Richtung zielt auch die Resolution der ADC vom 28. März 2002. – Wir können und müssen Forderungen zu Veränderungen in erster Linie an uns selbst richten und sie selbst auch konsequent umsetzen.
Hier müsste kultur- und musikpolitisch gearbeitet werden; alle Institutionen der Aus- und Fortbildung sind im Deutschen Musikrat konzentriert. Wir können innerverbandlich viele Probleme lösen, das ist auch unser gesellschaftlicher Auftrag. Alle finanziellen und personellen Ressourcen, auch Stiftungen, müssten sich dann einmal auf solche Schwerpunkte einschwören. Hier wird sich erweisen, ob ein Zusammenschluss wie der Deutsche Musikrat wie in früheren Jahrzehnten Probleme erkennt und selbst auch kraftvoll zu übergreifenden Lösungen führen kann oder ob er sich weiterhin in seinen guten Erfolgen sonnt und es sich ansonsten nur um eine Addition von Organisationen handelt. Was wir im Deutschen Musikrat jetzt (wieder) brauchen, sind eine gegenseitige Ermutigung zur gewollten, eigenen Veränderung, eine gegenseitige Unterstützung auf den veränderten Wegen, eine Bereitschaft, eigene konzeptionelle, personelle und finanzielle Ressourcen hierfür einzusetzen, eine Bereitschaft, die hierfür erforderlichen Anstrengungen im gegenseitigen Vertrauen einzubringen und zu kooperieren.
Geißler: Sie haben zwei wichtige He-rausforderungen der Gegenwart dargestellt. Sehen Sie auch neue für die nähere Zukunft?
Tetzner: Wir haben beobachtet, wie die Musikschulen im Laufe der Zeit ihre Häuser Kindern mit immer früheren Lebensalter geöffnet haben. Das war wichtig und richtig. Nun vermittelt uns die Forschung, dass die Fähigkeiten, die es uns ermöglichen, etwas über die Welt und uns selbst zu lernen, ihren Ursprung im Säuglingsalter haben. Daher ist es sinnvoll und wichtig, Kleinkinder schon vom vierten Lebensmonat an mit Musik in vielfältiger Weise in Berührung zu bringen. – Hier sehe ich eine große Herausforderung an alle Verantwortlichen unseres Musiklebens. Hier betreten wir Neuland, denn es kann sich nicht um eine Vorverlagerung von Musikunterricht handeln. Aus vielen Gesprächen habe ich abgeleitet, dass wir hier auf eine neue (bisher nicht im Blick gehabte) und hoch motivierte Zielgruppe treffen: Eltern, die erkannt haben, dass die Beschäftigung mit Musik in mehrfacher Hinsicht für die Entwicklung ihres Kindes von Vorteil ist. Einrichtungen unterschiedlicher Art, darunter auch Musikschulen, die sich diesem Thema öffneten, konnten sich vor Nachfrage nicht retten. – Die positiven Auswirkungen auf unsere gesamte Musikerziehung kann man sich leicht vorstellen.
Geißler: Mitte der 80er-Jahre war der Deutsche Kulturrat noch jung und einer Reihe einschneidender gesellschaftlicher Entwicklungen ausgesetzt wie zum Beispiel dem Aufkommen der Privatfernsehsender, der Medien- oder Informationsgesellschaft und der beginnenden Computerisierung. War der Deutsche Kulturrat damals schon in der Lage, mit gesellschaftlichen Entwürfen auf diese Entwicklungen zu reagieren?
Tetzner: Als die Medienlandschaft sich entfaltete, beschäftigten wir uns im Kulturrat sehr damit und haben auch interveniert. Es gab damals zum Beispiel ein Gespräch zwischen dem Sprecherrat und dem ZDF-Intendanten Stolte, worin wir mehr Kultur, auch in den aktuellen Sendungen, reklamierten. Stolte war sehr offen und sagte zu, dass zukünftig jede Nachrichtensendung einen Kulturbeitrag haben sollte, was in etwa unserer Forderung entsprach. Das hat auch die ARD positiv beeinflusst. – Der Kulturrat muss aber auch Neuentwicklungen aufmerksam begleiten und sich zum Beispiel jetzt auch mit Computerspielen auseinander setzen, die für die junge Generation essenziell sind und auch von Erwachsenen mittlerweile als interessant empfunden werden. Die Medien sind Bestandteil unserer kulturellen Substanz geworden und wenn wir sie übersehen, können wir nicht unterstützend oder korrigierend eingreifen.
Geißler: Im Musikbereich sind Teile dieser Jugendkultur fremdsprachig, vor allem englisch oder amerikanisch. Es handelt sich um eine importierte Kultur. Kommt das daher, dass es uns nach dem Krieg und bis heute schwer fiel, eine eigene kulturelle Identität zu entwickeln?
Tetzner: Als Kirchenmusiker war mir die Vermittlung in der Muttersprache immer sehr wichtig. In früheren Jahrzehnten wollte man anscheinend eine neue Identität auch mit der (englischen) Sprache herstellen. Für die heutige Generation ist dies Geschichte; sie findet, dass das Englische dem Gesang andere gestalterische Möglichkeiten bietet als das Deutsche. Vielleicht wird diese Entwicklung wieder abklingen.
Regionale Kulturpolitik
Geißler: Sollte der Deutsche Kulturrat dazu beitragen, nationale Identität zu klären, ohne dabei in chauvinistische Regionen abzudriften?
Olaf Zimmermann: Die Globalisierung und die Bewegung nach Europa hin haben wir alle als richtig erkannt. Andererseits gibt es ja auch eine nationale Kultur, die sich vor allem in einem bestimmten Sprachbereich einbettet. Ich halte es für eine Aufgabe des Kulturrates, dies bewusst zu machen. Vielleicht sollten wir es wie die Franzosen machen – mit einer Quotenregelung, dass mehr deutschsprachige Musik in den Rundfunkanstalten gespielt werden soll –, jedenfalls wird das Thema Sprache eine große Rolle spielen. Wenn die eigene Sprache immer mehr zurückgedrängt wird, verlieren wir Identität und dann muss der Kulturrat handeln.
Tetzner: Künste sind an sich Kommunikationsmedien. Die Frage der Sprachlichkeit oder der Regionalisierung halte ich aber nicht für eine künstlerische oder kulturpolitische Frage, sondern für eine Frage des Sozialverhaltens, des Umdenkens, des notwendigen Ausgleichs zur Globalisierung, der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit. Deshalb halte ich die Pflege der regional-spezifischen kulturellen Ausprägung für wichtig; hier wird Kultur wieder Binde- und Hilfsmittel für das Sozialgefüge einer Region. Dass der Kulturrat selbst aber die Landeskulturräte sozusagen mit spitzen Fingern anfasst und nicht integriert ist ein Fehler. Hier ist er als Initiator gefordert.
Zimmermann: Genau diesen Punkt müssen wir in Zukunft angehen: die Entwicklung der Landeskulturräte ernst zu nehmen und eine regionale, landesspezifische Kulturpolitik zu fördern. Wir werden in Zukunft den Deutschen Kulturrat nicht mehr allein auf die Bundesebene konzentrieren können, es gibt zwar einen Landeskulturrat in Nordrhein-Westfalen und einen in Bayern, aber keine in den anderen Bundesländern. Es ist auch Aufgabe des Deutschen Kulturrates mitzuhelfen, dass wir in allen Bundesländern Landeskulturräte bekommen.
Zukunft der Kulturverbände
Geißler: In den 80er-Jahren folgte auf die Zeit der Politisierung wieder die Zeit der Entpolitisierung; man nennt das wohl das postmoderne Jahrzehnt, Motto: Alles geht, alles ist möglich. Da hat es die Kultur ja besonders schwer. Hat es sich der Kulturrat da leicht gemacht und zu wenig Inhalte geliefert?
Zimmermann: In den 70er-Jahren, zeitgleich zur Gründungsphase des DKR entstanden die Ideen zur „Neuen Kulturpolitik”. Die „Neue Kulturpolitik” mit dem Impetus „Kultur für alle” hat sehr viele positive Entwicklungen gebracht, hat aber ein Problem, das sie auch heute noch mit sich herumträgt, nämlich, dass sie den Künsten kritisch gegenübersteht. Das heißt, dass die Künste selbst als Ausdruck von Individuen dastehen, die obsessiv ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen suchen. Das kam in der Idee gar nicht vor, sondern es ging eher um Sozialisierung von Kultur. In den 80er-Jahren haben sich die Künste wieder eine stärkere Rolle verschafft; in dieser Zeit sind viele künstlerische Projekte entstanden. Die Künstler traten viel stärker nach außen, das sah man besonders in der bildenden Kunst. Das erste Mal gab es wieder Künstler aus Deutschland, die weltweit eine Rolle spielten. Dann standen zwei Bereiche gegeneinander: Die gesellschaftspolitische Vorstellung von Kulturpolitik und die Künste. Ich glaube, dass sich der Kulturrat damals eher von den Künsten weg entwickelt hat, mehr hin zu diesen gesellschaftspolitischen Vorstellungen.
Verhältnis Politik und Kultur
Geißler: Warum hat man sich im Kulturrat von den Künsten entfernt und sich stärker der Politik zugewandt?
Tetzner: Ich konnte diese Spannung nicht so sehr wahrnehmen. Beim Deutschen Musikrat sind bis ins Präsidium die Komponisten integriert. Sie sind be- und geachtet und wurden nie infrage gestellt. In der Gründungsphase des Deutschen Kulturrates waren auch die bildenden Künstler und die Literaten gestaltend beteiligt und blieben nicht außen vor. Danach kamen Bereiche der Soziokultur und der kulturellen Bildung dazu, die vorher gar nicht im Blickfeld standen. Ich wünsche dem Deutschen Kulturrat, dass einerseits das Wächteramt oder die Signalfunktion nicht vernachlässigt werden, andererseits aber kulturelle und kulturpolitische Fragen weiter aufgegriffen werden. Die können wir nicht dem Lauf der Dinge oder der kulturell weniger interessierten Öffentlichkeit überlassen. Hier müssen wir Impulse setzen, es muss die Bugwelle dieses Schiffes nach außen dringen. Es reicht nicht aus, Vorhandenes bewahren zu wollen. Ein italienischer Dichter sagte: „Wenn ich alles behalten will, dann muss ich alles verändern.”
Geißler: Wenn man zurückblickt, kann man sagen, auch das Verhältnis der Politiker zur Kultur hat sich verändert.
Zimmermann: Die Politiker sind näher an die Kultur herangekommen und auch die Verbände haben sich in den letzten Jahren massiv verändert. In den 80er-Jahren ging die Kulturfinanzierung erstmals zurück, bis dahin gab es immer einen Zuwachs und man hatte sich immer mehr Kultur geleistet. Auf einmal kam man in die Lage, auswählen zu müssen. Dadurch bekam Kulturpolitik einen ganz anderen Stellenwert. Parallel dazu wurde von uns gefordert, Kultur viel kommerzieller zu betrachten. Es entstanden die Kulturwirtschaftsberichte, man berechnete den Wert der Kultur auch nach seinem ökonomischen Wert. Früher waren die Vertreter des Kulturrates keine Funktionäre. Heute sind wir Funktionäre. Es ist eine veränderte berufliche Ansicht. Man versucht, professionell Interessen wahrzunehmen und diese vom eigenen Herkommen zu abstrahieren. Als ich vor zirka fünf Jahren als Geschäftsführer anfing, war eine der ersten Wunschaktionen, die aus dem Sprecherrat an mich herangetragen wurde, eine Aktion „Rettet die Kultur”.
Wir haben lange darüber diskutiert und es war meine erste Auseinandersetzung als Geschäftsführer mit den politischen Gremien des Deutschen Kulturrates. Ich fand diese Aktion nicht richtig, denn in Wirklichkeit war gemeint: „Rettet die Kultureinrichtungen”, denn der Kultur ging es gut. Es sollte ein Hilfeschrei für die Kultureinrichtungen werden. Heute würde so eine Aktion vom Kulturrat nicht mehr geplant werden, sondern man würde versuchen, die Bedingungen zu verbessern, damit es Kultureinrichtungen, Künstlern, Laienverbänden in den verschiedensten Bereichen besser geht. Das hat auch zu einer Veränderung in der Politik geführt; die Politiker waren die Hilferufe nämlich leid, statt dessen wollten sie von uns auch Antworten haben, weil sie selbst in dem Dilemma sind, dass sie viel zu wenig zu verteilen haben. Heute gelingt es uns zunehmend, den Politikern bei der Findung von Kriterien Unterstützung zu geben.
Tetzner: Das Handeln und Gestalten des Deutschen Kulturrates in der Öffentlichkeit hat sich im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit und der Politik positiv gewandelt. Sie erkennen, dass sich hier eine fachliche Kompetenz einbringt, dass es nicht nur um Forderungen geht. Das ist wie bei der These des Soziologen Niklas Luhmann „von den in sich selbst rotierenden Systemen“, die unabhängig voneinander je nach ihrer eigenen Logik handeln. Diese Selbststeuerung bewirkt, dass sich zum Beispiel die Wirtschaft mit dem Problem der Arbeitslosigkeit nicht mehr von der Politik steuern lässt. All diese Systeme, wie zum Beispiel die Wirtschaft, sind in sich hochgradig dynamisch. Diese Dynamik haben wir in der Kulturpolitik nicht mehr oder noch nicht, aber wir brauchen sie dringend, denn auch die Künste sind ein gesellschaftlich wichtiger Faktor.
Wir müssen lernen, in unserem eigenen Regelkreis Bildung/Kultur effiziente Problemlösungen zu finden, Forderungen allein sind wirkungslos. Das bedeutet auch, dass sich die Dachverbände wandeln müssen von der Lobby zur Kommunikations- und Vermittlungsagentur. Wenn in der Kommunikation der unterschiedlichen Systeme Friktionen entstehen, die uns zu einer Reflexion oder anderen Konzeption zwingen, müssen wir handeln und gegebenenfalls zu neuen (kulturpolitischen) Lösungen führen.
Diese Gratwanderung ist oft angstbesetzt, aber es gibt keinen anderen Weg. Damals wurden die Musikschulen geschaffen, weil die Lehranstalten nicht mehr adäquat waren. Heute brauchen wir auch diese Sachlichkeit, um Agentur für Kultur gerecht zu werden.
Geißler: Das hat der Sprecherrat vor gut fünf Jahren erkannt und er hat daraufhin beschlossen, statt eines Kulturwissenschaftlers oder eines Soziologen einen Kulturmanager zum „Macher“ des Kulturrates zu machen. Kann man das so sehen, ist das die Begründung für die Berufung Herrn Zimmermanns?
Zimmermann: Heute braucht man überall Kulturmanager. Zum Beispiel braucht der Leiter eines großen Museums keinen Museumswissenschaftler, sondern einen Manager, der in der Lage ist, das Museum zu führen und dessen Botschaften zu vermitteln. Der war Galerist der bildenden Kunst und hatte die Professionalität der bildenden Kunst als Standbein und dazu kommen diese anderen Fähigkeiten: Wir müssen Vermittlungsagenturen sein, nach innen und nach außen.
Zimmermann: Es fand aber der personelle Umbruch in eine Zeit hinein statt, in der der Kulturrat erstmals offensiv sagte: „Wir sind die Lobby für die Kultur.“ Es ist das erste Mal im Kulturrat gesagt worden (vor meiner Berufung): „Wir wollen Lobby sein und uns auch mit anderen Spitzenverbänden vergleichen, zum Beispiel vom Deutschen Sportbund bis zum Bauernverband, wir wollen unsere Interessen so artikulieren.“ Da wurde der Kulturrat umgebaut. Kurz vorher gab es die Veränderung zu einem eingetragenen Verein, es gab die demokratisch legitimierten Strukturen, die Entscheidungen überhaupt möglich machen, bis hin zur vorletzten Sprecherratssitzung im Deutschen Kulturrat, bei der das erste Mal gesagt wurde: „Auch wenn ein einziger Verband sich gegen eine Resolution stellt, kann er sie nicht mehr aufhalten.“ Das ist ein sehr weit gehender Schritt. Keiner der 200 Verbände kann mehr sein Veto einlegen und somit die gesamte Arbeit lahm legen.
Der weitere Schritt ist, dass wir als Lobby Interessen vertreten, aber diese Interessen auch genau überprüfen müssen. Wir haben ja im Kulturrat die unterschiedlichsten Strukturen aus allen künstlerischen Bereichen, aber natürlich ist auch der gesamte Bereich der „Verharrung“ Mitglied und geht davon aus, auch legitimer Weise, dass der Deutsche Kulturrat ihn auch in Zukunft unterstützt. Man muss sich nun aber darüber einigen, wie Kultur in Zukunft aussehen soll, ob die Jugendkultur einen Platz finden wird, ob die neue Generation einen Ort finden wird, wo Kunst stattfinden kann, und was wir in Zukunft nicht mehr machen wollen. Diese Diskussion führen wir über-haupt nicht.
Tetzner: Ich fülle den Begriff Lobby mit einem neuen Inhalt. Eine Diskussion mit der Politik muss eher partnerschaftlich sein, und ich glaube, dass die Politik uns ernst nimmt. Sie spürt, dass wir in der Regel sachimmanent diskutieren, auch mit allen notwendigen Interessensabwägungen. Das ist viel mehr, als der traditionelle Lobbyismus beinhaltet.
Geißler: An die Stelle des Lobbyismus soll im Kulturrat ein intelligenter Agenturgedanke treten?
Zimmermann: Man muss Leute langfristig überzeugen, Konzepte vorlegen, aber auch zum Klinkenputzen bereit sein. Letzteres ist nichts Unehrenhaftes, sondern es gehört zur Demokratie, dass man seine Interessen einbringt. Der Lobbyismus muss sich darin erweitern, besonders bei einem Spitzenverband wie dem Deutschen Kulturrat, dass er auch innerhalb seiner Strukturen Kriterien findet, was er wie nach außen geben will, was in der Zukunft sinnvoll und förderungswürdig ist und was nicht. Bisher ist der Deutsche Kulturrat den Weg des geringsten Widerstandes gegangen. Wir haben uns darauf verständigt, zum Beispiel im Bereich des Steuerrechtes oder des Sozialrechtes gemeinsame Forderungen aufzustellen, die für alle sinnvoll sind und für alle, wenn sie umgesetzt sind, ein Plus bringen. Mittlerweile können wir nicht mehr bei allen Forderungen, die wir aufstellen, garantieren, ob sie wirklich für alle ein Plus bringen. Es kann nicht sein, dass wir, wenn solche Gegensätze auftreten, uns im Kulturrat mit dem jeweiligen Thema dann gar nicht mehr beschäftigen. Wir müssen zu einer Ideenagentur im eigenen Umfeld werden, bevor wir mit dem Finger auf andere zeigen und sie zur Problemlösung auffordern.
Sprung in die Professionalität
Geißler: Dazu gehört viel Professionalität, hohe Kompetenz und Intelligenz. Bei den Verbandsstrukturen unserer Kulturverbände handelt es sich ja weitgehend um ehrenamtliche Verbände. Schaffen die den Sprung in die Professionalität?
Tetzner: Es hieße, Lobby falsch zu verstehen, wenn die Interessen eines Verbandes unreflektiert mit der gesamtgesellschaftlichen Wirklichkeit durchgesetzt würden. Lobby im positiven Sinne heißt, für die Sache zu werben, die Sache einzubringen und in einem Kontext, einem korrigierenden Dialog mit anderen gesamtgesellschaftlichen Prozessen zu modifizieren. In den 50er-Jahren, als die Musikschulen aufgebaut wurden, bestand im besten Sinn eine Lobby auf breitester Basis und unterschiedlichsten Ebenen. Das war überzeugend, weil man ein überzeugendes Konzept hatte, das in die politische Landschaft und in den Bedarf passte. Heute haben wir ohne Zweifel eine viel schwierigere Situation. Beispiel Orchesterfusionen: Es gab eine Phase, in der die Musikräte große Resolutionen verabschiedeten und aus gutem Grund auch versuchten, dagegen vorzugehen. Aber in einer Zeit, in der 200.000 Stellen in der Wirtschaft verschwinden, ist es sehr schwer vermittelbar, dass 20 oder 50 Orchesterstellen nicht verloren gehen dürfen. In den 20er-Jahren, als der Tonfilm aufkam, waren im Dortmunder Bereich 1.000 Filmmusiker plötzlich arbeitslos. Das heißt, es gibt immer Veränderungen, die sich auch auf Kunst und Kultur auswirken. Hier wäre unsere Vermittlungsaufgabe, die Orchester durch neue Präsentationsformen so attraktiv zu machen, dass sie nicht mehr in Frage gestellt werden.
Zimmermann: Es gibt in Berlin drei Opernhäuser. Nach Querelen, Einsparungen und Haushaltsproblemen haben sich ihre Intendanten nach Jahren erstmals an einen Tisch gesetzt und über eine Abstimmung der Spielpläne gesprochen. Über dieses Entgegenkommen sind alle in Jubel ausgebrochen, obwohl das in einer Stadt selbstverständlich sein muss, in der man von der öffentlichen Hand finanziert wird. Wir in der Agentur müssten einen Diskussionsprozess innerhalb dieser Strukturen organisieren, um zum Beispiel an den Opernhäusern in Berlin dahin zu gelangen, dass aus unseren Reihen die kreativen, umsetzbaren Vorschläge für eine intensive Zusammenarbeit der drei Opernhäuser kommen, dafür, Einsparungen vorzunehmen oder bestimmte Projekte nicht mehr getrennt, sondern zusammen zu verwirklichen, möglicherweise wirklich drei Opernhäuser unter ein Dach zusammenzubringen. Diese Aufgabe würden Sie als Agentur sehen, als Aufgabe für den Deutschen Kulturrat?
Tetzner: Im Kulturrat und Musikrat muss ein Klima geschaffen werden, in dem Gruppen in der Lage sind, offen querzudenken und auch Erfahrungen mit anderen Sektionen auszutauschen. Denn wenn ein Konzept oder Programm gesellschaftlich nicht (mehr) attraktiv ist, können selbst auch Orchester und Theater in Frage stehen. Wir können keine Dinge erhalten, die unsere Gesellschaft nicht mehr tragen will.
Geißler: Themen wie Künstlersozialversicherung, Urheberrecht, Ehrenamt – das klingt nicht so spannend. Trotzdem sind dem Kulturrat in den letzten zwei bis drei Jahren einige Fortschritte zugunsten der Künstler gelungen. Wurde der neue Umgang mit den Politikern schon gefunden?
Zimmermann: Sicherlich hat der Verbandsbereich sich auf bestimmte Ideen konzentriert, die er vorher nicht hatte; andererseits hat sich im politischen Bereich ein Gegenüber gebildet. Heute gibt es eben Kulturpolitiker im Bundestag; früher waren das Exoten, die das nebenbei machten und ein bisschen Spaß dabei hatten. Heute gibt es Menschen, die dafür gewählt wurden, es gibt Ausschüsse, einen Staatsminister für Kultur und Medien, einen eigenen Bundestagsausschuss. Man kann Themen besser einbringen als früher, weil man einen Gesprächspartner hat, der der Kultur aufgeschlossen ist. Gerade bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen konnte der Kulturrat in den letzten Jahren soviel erreichen, weil es in der Politik überhaupt ein Gegenüber, einen Partner gibt. Das wird noch zunehmen, es wird in Zukunft noch viel mehr Partner geben, nicht nur auf bundespolitischer Ebene, sondern auch in den Ländern und innerhalb Europas.
Geißler: Ist die Existenz kompetenter Ansprechpartner und Strukturen ein Verdienst der Arbeit der Räte und Verbände, des Kulturrates, war das Ihr Plan?
Tetzner: Unsere Erfolge sind eingebettet in das gesamtkulturelle Klima Deutschlands, das sich positiv verändert hat. Diese positive Sensibilität für Kultur kann man täglich in den Tageszeitungen bis hin zu den Nachrichtensendungen erkennen. Die kulturpolitischen Entwicklungen und ihre Diskussion gehen aber weiter, und wir müssen darauf achten, dass wir nicht nur reagieren, sondern agieren. Gerade die Künstler haben die Möglichkeit, visionär zu sein, und wir müssen immer versuchen manchmal sogar kühn vorauszusehen und Dinge durchzuspielen, anstatt zaghaft zu fragen: „Wie geht es weiter?”
Das PISA-Szenario
Geißler: Gegen den Trend der meisten Kulturmenschen, die ich kenne, sagen Sie, die Zeiten seien besser geworden. Die PISA-Studie scheint aber doch zu belegen, dass die Bildung in Deutschland katastrophal einbricht, dass unsere Kinder nichts Brauchbares lernen und im internationalen Vergleich weit zurückfallen. Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrem Szenario?
Tetzner: Die Defizite, die PISA aufgedeckt hat, sind eindeutig, und wir könnten sie auch mit der Entwicklung seit der Bildungsreform der 70er-Jahre erklären. Aber wir haben auch Fehler in der Kunstpädagogik und Schulmusik gemacht: Ich sehe das als Herausforderung für den Kulturrat und es reicht nicht, nur zu fordern. Wir dürfen keine Abwehrhaltung einnehmen „nicht nur mehr Computer, auch mehr Musik und Kunst muss her!”, sondern wir müssen das Persönlichkeitsbildende der Künste, der Kultur mehr herausheben, selbst auch unter Wellness-Aspekten.
Geißler: Sie haben immer wieder in Initiativen gewirkt, die außerhalb der schulischen Bildung etabliert waren. Wie das?
Tetzner: Schule fand und findet noch überwiegend vormittags statt. Für den großen Freizeitbereich, nachmittags und abends, sah ich für Kunst und kulturelle Bildung als persönlichkeitsbildende Freizeitfaktoren große Chancen. Diese haben die Verbände der kulturellen Jugendbildung auch sehr erfolgreich mit einer großen Palette reichhaltiger Angebote ausgestaltet. Leider haben sich aber manche Träger kultureller Jugendbildung sehr unzureichend auf die schon seit Jahrzehnten sich abzeichnenden Veränderungen durch Ganztagsschulen vorbereitet.
Zimmermann: Eine der Folgen der PISA-Studie wird sein, dass die Ganztagsschule eingerichtet wird und die so genannte Freizeit zurückgeht. Man wird überlegen müssen, ob an den Nachmittagen klassischer Unterricht nach Lehrplan oder Kultur stattfinden soll. Musik- und Kunstpädagogen, die sich bisher in der kulturellen Jugendbildung im Freizeitbereich betätigt haben, empfinden derzeit die meiste Abwehr, weil sie Angst haben, überflüssig zu werden. Sie könnten aber auch die Inhalte für die Nachmittage festlegen, das könnte zu einer ganz neuen Bedeutung dieses Bereiches führen.
Diskussionskultur entwickeln
Geißler: Das ist eine konkrete Wunschliste für die künftige Arbeit des Kulturrats. Wie kann sich das auf die aktuelle Situation auswirken?
Zimmermann: Was der Kulturrat leisten muss, ist, dass er in Zukunft nicht mehr nur das macht, was für alle gleich sinnvoll und nützlich ist, dass er nicht nur die Forderungen stellt, von denen alle etwas haben. Wir müssen eine Kultur innerhalb der eigenen Organisation entwickeln, in der wir uns erlauben, zu diskutieren, zu “spinnen”, Vorstellungen unter uns zu entwickeln, ohne dass Panik entsteht. Erst einmal intern, nicht in der Öffentlichkeit. Alle Projekte zur kulturellen Bildung, die der Kulturrat in seiner Geschichte gemacht hat, sind ein Findungsprozess gewesen, hier haben sich die einzelnen Organisationen erst einmal gefunden, und es war das erste inhaltlich tragfähige Projekt. Die Ergebnisse einer internen Diskussion müsste der Kulturrat nach einer gewissen Zeit der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Das könnte einer der größten Umbrüche im Kulturrat werden, weil man das verlässt, was bisher immer Grundlage war: „Tu immer Gutes, aber tu keinem deiner eigenen Leute weh!”.
Tetzner: Das kann ein sehr schönes Endziel sein. – Kehren wir zurück in die Gegenwart. In der Bildungsdiskussion sind wir Partner, ähnlich wie in der Frage Ganztagsschule und außerschulische Bildung. Es geht nicht um Abwehr, sondern um das Aufeinander-Zugehen. Der Ruf nach mehr musischen Fächern in den Schulen ist berechtigt, und wenn wir hier unterstützen wollen, müssen wir die Interessensunterschiede sehen zwischen den Musikern, die zwei oder drei Stunden Musikunterricht verlangen, und den Theatergruppen, die Stunden aus dem Deutschunterricht brauchen, den Sportlern, die auch tanzen wollen und dem Werkunterricht. Daneben existieren Vorstellungen, einfach zwei oder drei Stunden „ästhetische Bildung“ anzubieten. Hier müssen wir uns zusammensetzen und eine Harmonisierung anstreben.
Geißler: Ist das nicht sehr idealistisch? Lässt man hier nicht eine Kardinaltugend unserer Zeit, den Egoismus nicht nur des Individuums, sondern auch der Interessenverbände, in die unsere Kulturlandschaft eingebettet ist, außer Acht?
Tetzner: Ich erinnere: Als die Musikschulen entstanden, hatten Privatmusiklehrer Angst und Schulmusiker reagierten mit Unverständnis. Es schien gewagt, dass wir ihnen sagten, sie würden alle davon profitieren, die Musizierpraxis an den Schulen würde steigen, und die Privatmusiklehrer würden mehr Schüler und höhere Unterrichtshonorare haben. – Man muss den Mut haben, Visionen zu formulieren und Konsens zu schaffen, sonst geht die Gesellschaft über uns hinweg.
Zimmermann: Das ist ein schwieriger Bereich. Im Kulturrat haben wir innerhalb der verschiedenen Bereiche noch die unterschiedlichen Lager, von den Vertretern der Beschäftigten, der Gewerkschaften, bis zu den Arbeitgeberverbänden, und alle haben ganz spezifische Interessen. Selbst wenn wir eine dringend notwendige Diskussion wie zum Beispiel über die Zukunft der Kulturfinanzierung der Städte, Kommunen oder Länder führen wollen, erklären das viele zum Tabuthema, das nur sie etwas angeht, nur die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände, die Träger von Kultureinrichtungen. Wenn wir nicht darüber reden, wird die Gesellschaft in dieser Frage über uns hinweggehen und wir werden keine Möglichkeit der Einflussnahme mehr haben. Wir sehen das schon zum Beispiel in Brandenburg, wo über die Fusionen und Schließungen von Theatern und Opernhäusern geklagt wird. Aber wir haben denen unsere Hilfe auch ganz eindeutig verweigert, denn sie haben immer wieder um Rat gefragt. Anstatt ihnen zu helfen, haben wir von ihnen verlangt, alles so zu erhalten, wie es gewesen ist, sonst wären sie Kulturfeinde. Durch die Not wurden Veränderungen notwendig, die wir nun bemängeln. In diesem Bereich haben wir jetzt noch die Chance mitzudiskutieren, uns einzubringen, aber es ist höchste Zeit. Wir müssen unsere Ratlosigkeit auch zugeben. Die eigenen Strukturen werden dem aber noch ablehnend gegenüberstehen.
Geißler: Gerade in Zeiten der Not werden die Beharrungskräfte der Interessenvertreter immer stärker. Mit welchen Argumenten kann man dem beikommen?
Zimmermann: Wir können Orte zur Verfügung stellen, an denen man diskutieren kann. Wir können ganz unterschiedliche Bereiche zusammenführen, die dann feststellen werden, dass sie genau vor den selben Problemen stehen. Wir bemerkten das deutlich, als wir im Kulturrat mit den ehrenamtlichen Verbänden zusammenarbeiteten, mit dem deutschen Feuerwehrverband, dem deutschen Sportbund, der Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände, dem Bundesjugendring. Wir hatten die gleichen Probleme, und jeder hatte schon an einer bestimmten Ecke angefangen zu denken. Wenn wir die Ideen zusammenwerfen, kommen wir ein großes Stück weiter. Der deutsche Kulturrat könnte den Raum für derartige Gespräche zur Verfügung stellen und eine Moderationsfunktion übernehmen, er kann aber nur auf die Diskussionsbereitschaft der Verbände hoffen. Ich glaube, dass sich heute bei allen Verantwortlichen in den Verbänden die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Veränderungen notwendig sind, weil wir sonst die Kontrolle verlieren. Das heißt, um die Kontrolle zu behalten, wird man aktiv werden müssen. Es wird eine der Hauptaufgaben der nächsten Jahre werden, unterschiedliche Plattformen herzustellen, wobei wir aber mit einer gewissen Regionalisierung vorgehen und die Dinge vor Ort betrachten müssen, anstatt sie nur abstrakt zu lösen. Überall gibt es unterschiedliche Voraussetzungen, und deshalb gibt es kein Patentrezept für ganz Deutschland. Wir müssen zu einer Regionalisierung kommen, über die Landeskulturräte nachdenken und darüber, wie man innerhalb der föderalen Struktur mehr zu den Wurzeln vordringen kann.
Geißler: Es wäre doch auch möglich, dass beispielsweise der deutsche Musikrat mit seiner starken Organisation viel stärker als bisher im deutschen Kulturrat aufgeht, organisatorische Strukturen abstellt und der Gesamtsache dient?
Tetzner: Die „Schieflage“ der Strukturen ist kunstspartenspezifisch. Die Musik hat hohe kommunikative Wirkung und steht deshalb zum Beispiel bei den Jugendlichen in der Beliebtheit an erster Stelle, weit vor Sport. Aber nicht die Zahl der Mitglieder und die Größe der jeweiligen Sparte, sondern die (Binnen- und Außen-)Kommunikation macht die Qualität des Kulturrats aus.
Zimmermann: Es geht nicht darum, jetzt die großen Umbauten zu leisten, dafür sind die inhaltlichen Fragen viel zu bedeutend. Die inhaltlichen Fragen müssen wir mit den heutigen Strukturen lösen, vorausgesetzt wir schaffen die interne Diskussion. Dafür brauchen wir keinen Umbau von Strukturen innerhalb des Geflechts des deutschen Kulturrats.
Geißler: Führt man die Diskussion also erst einmal intern, sozusagen als Übung?
Tetzner: Nicht als Übung, sondern als existenznotwendige Realität! Erst einmal nach innen, für die Mitglieder.
Geißler: 90 Prozent der Kulturjournalisten, der Verbandsfunktionäre und der Pädagogen sind bornierte, von Vorurteilen besetzte Menschen, die noch dazu jede Menge Angst haben, die sich selbst nicht in Frage stellen lassen und sich deshalb nicht verändern?
Tetzner: Man braucht eine Menge Ich-Stärke, um angstfrei zu diskutieren. Deshalb ist das Klima, in der Diskussionen stattfinden, so wichtig.
Zimmermann: In den letzten Jahren wurde ja auch bewiesen, dass diejenigen, die diskutiert haben, verloren haben. Ein Beispiel aus Berlin: Vor eineinhalb Jahren kam es bei den großen Kultureinrichtungen zu einer heftigen Auseinandersetzung über die Etats. Denjenigen, die diskutiert, also in diesem Spiel auch etwas angeboten haben, wurde das, was sie angeboten hatten, auch weggenommen. Diejenigen, die sich nicht bewegt haben, – man erinnere sich an die Staatsoper –, haben sogar vom damaligen Staatsminister Michael Naumann noch einmal 3,5 Millionen Mark oben drauf bekommen. Wir haben viele Jahre lang gezeigt, dass Bewegungslosigkeit zum Erfolg führt. Was viele Jahre auch verbandspolitisch eine gute Strategie war, ist nun gefährlich geworden, und das merken doch auch alle. Hier bewegt man sich in einem sensiblen Bereich, weswegen man sich genau überlegen muss, wann man mit den Ergebnissen eines Diskussionsprozesses an die Öffentlichkeit geht. Hier sollte man erst einmal intern im Sinne eines „Service” diskutieren, und erst wenn man sich gemeinsam sicher ist, dass man einen neuen gemeinsamen Weg gefunden hat, damit an die Öffentlichkeit treten.
Tetzner: Die Realität ist hart, manche Institutionen kommen und gehen. Wir dürfen realistischen Auseinandersetzungen nicht ausweichen. Um Durststrecken zu überwinden, wird man auch manchmal improvisieren und mit neuen Denkmodellen handeln müssen.
Abwicklungsopfer GmbH
Zimmermann: Wir haben jahrelang den Umbau von Kulturstrukturen gefordert, der dann zur Verunsicherung der Kulturstrukturen geführt hat. Wir forderten neue Steuerungselemente, zum Beispiel GmbHs, weg von der öffentlichen Hand, wovon ich sehr viel halte.
Aber heute ist es in den Städten so, dass die Strukturen, die sich vor einigen Jahren mit großem Enthusiasmus in GmbHs umgewandelt haben, obwohl sie immer noch zu 100 Prozent von der öffentlichen Hand abhängig sind, jetzt die ersten Abwicklungsopfer sind, weil sie einfacher abgewickelt werden konnten als Strukturen, die noch voll eingebunden sind. Strukturen, die vor Jahren dem Dritten Sektor zugeschlagen wurden, die von Vereinen, Verbänden getragen werden, weil man es für innerlich besser hält, dass sie nicht dem Staat direkt zugeordnet sind, sind jetzt die Dummen. Oft sind es die innovativsten, modernsten, schlanksten Strukturen, die zuerst zum Opfer fallen, während die großen, unbeweglichen, verbeamteten Strukturen erhalten bleiben. Hier müssen wir klar sagen, was wir wollen. Sonst müssen wir unsere Appelle nach moderneren Strukturen zurücknehmen, weil sie sonst am Ende zum Nachteil für die Kultur werden.