Die Frage nach dem Sinn des Bundesjugendorchesters sollte sich nach dreißig Jahren seines erfolgreichen Wirkens erübrigt haben. Dennoch stellt sie sich gerade für den verantwortlich Denkenden immer wieder auf neue Weise. So wie sich das Orchester von Arbeitsphase zu Arbeitsphase verjüngt, sich nach etwa drei Jahren gänzlich „gehäutet" hat, verändert sich auch der Begriff der musikalisch zu erarbeitenden Schönheit und Wahrheit – und auch der der Notwendigkeit. Wenn wir heute erleben, daß die klassische Musik, wie so oft ist die Kammermusik Vorbote, zunehmend aus dem Bewußtsein gedrängt wird, dann darf man nicht so tun, als könne man im schlechten Alten weiterwerkeln bis es eben nicht mehr geht. Es macht keinen Sinn, Musiker hin auf eine künftige Arbeitslosigkeit zu erziehen. Nicht für uns, die Gesellschaft, noch weit weniger aber für die Musiker selbst.
Was wir zur Zeit, in der die reproduktive Vermarktung ungeahnte Ausmaße angenommen hat, erleben, ist, daß junge Musiker wie über einen Durchlauferhitzer auf die jeweilige Temperatur des modischen Geschmacks gebracht werden. Ein fatales Prinzip der „Rettung". Denn nach Abwicklung der Verkaufs-Idee fallen sie wieder ungeschützt der eigenen Abkühlung anheim. Bedauernd zuckt die Plattenindustrie dann die Schultern mit der Bemerkung, der Musiker hätte doch nicht das Zeug zum ganz großen gehabt. Die Frage nach Möglichkeit und Zeit wird nicht gestellt. Denn an der Tür pochen schon neue hoffnungsfrohe Talente. Und die gilt es als noch nie gehörte Sensation aufzubauen. Was hieran Schaden nimmt, ist unser musikalisches Bewußtsein. Das hatte früher die Chance, sich zu bilden, indem es sich mit persönlich gereiften Ergebnissen auseinandersetzen konnte. Die Langeweile, die sich heute im klassischen Konzertbetrieb mehr und mehr breit macht, ist der Tatsache geschuldet, daß alles in der rasenden Folge von neuen (Mega-) Events zum Stillstand kommt. Wir sind mit Sensationen konfrontiert, die bald schon keine mehr sind, aber wir sind der Auseinandersetzung beraubt. Auseinandersetzung mit Musik aber muß reifen. Sie bedarf der umfassenden Bildung, der Ruhe in der Begegnung mit Anderem, mit Neuem, der Polarisation. Dafür war und ist das Bundesjugendorchester, in das junge Musiker (vor ihrer Verformung) eintreten, ein idealer Ort: Lernen über das Kennenlernen fremder Erfahrungen – ohne den Druck von außen angesetzter Ansprüche. Nur auf solchem Humus können Musiker wachsen, deren Tun sich immer wieder mit neuer Spannung auflädt. Über dreißig Jahre hinweg wurde im Bundesjugendorchester dieses Klima am Leben erhalten: Eine Bildungsstätte für verantwortungsvolles Musizieren. Wir brauchen sie für unsere Zukunft.Immer wieder aufs neue
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