Hauptbild
Dreharbeiten zu „Fremdverstümmelung“ von Christoph Schlingensief.
Dreharbeiten zu „Fremdverstümmelung“ von Christoph Schlingensief.
Banner Full-Size

Interview mit Christian Esch, Direktor des NRW-Kultursekretariats, über die Bonner „Freax“-Uraufführung

Publikationsdatum
Body

„Freax“ von Moritz Eggert war nicht nur ein Auftragswerk von Theater Bonn und Beethovenfest Bonn, sondern auch gefördert aus dem Fonds Neues Musiktheater des NRW Kultursekretariats und vom Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen. Sich ausschließlich mit einer traditionellen Uraufführungskritik in die Stimmen zur Bonner Uraufführung des Eggert-Schlingensief-Skandals einzureihen, erschien der Redaktion der neuen musikzeitung redundant. Wir wollten einen Blick hinter die Kulissen werfen und führten ein Gespräch mit Christian Esch, dem Direktor des NRW Kultursekretariats.

neue musikzeitung: Was wäre mit „Freax“ geschehen, hätte es wirklich, wie Schlingensief wollte, eine Beteiligung von Menschen mit Behinderung gegeben? Hätte dies die Produktion gerettet?

Christian Esch: Es wäre in jedem Falle eine völlig andere Produktion geworden, die als Voraussetzung eine völlig andere Stück-Konzeption und Musik erfordert hätte. Die Voraussetzung dafür wäre dann eine andere Personen-Konstellation als die in Bonn gewesen. Wie Moritz Eggerts Oper und Christoph Schlingen­siefs Theaterarbeit zueinanderfinden können, davon muss das Theater Bonn eine Vorstellung gehabt haben, welche auch immer. Jedenfalls halte ich Schlingensiefs Idee, konsequent ein Musiktheater zu entwickeln, das von den Freaks nicht nur dargestellt, sondern auch geschaffen wird, für sehr reizvoll.

nmz: Ist das Bonner Schisma ein Einzelfall oder deutet es auf einen Umbruch im zeitgenössischen Musiktheater hin?

Esch: Mir scheint sich hier erst einmal die gar nicht so neue Frage zu stellen: Ist die Oper in ihrem traditionellen Erscheinungsbild (Zwischenspiele, Nummern, Chöre et cetera) heute noch generell und für jedes Thema geeignet? Ist jene althergebrachte Produktionsform, die so aussieht, dass der Komponist ein Libretto vertont, Sänger und Orchester die Musik einstudieren und das Ganze vom Regieteam auf die Bühne gebracht wird, die einzig denkbare?
Ich glaube das nicht. Deshalb haben wir kürzlich eine Uraufführung im Rahmen des „Fonds Experimentelles Musiktheater“ (Ronchetti/Hensel/von zur Mühlen) in Gel­senkirchen produziert, die ganz anders vorgegangen ist. Text, Regie und Musik haben das Stück „Der Sonne entgegen“ von Beginn an gemeinsam entwickelt.
Das Ergebnis lässt sich nochmals im Dezember im Berliner Radialsystem V begutachten. Die Schwierigkeiten eines Stadt­theater­apparats im Umgang mit solchen Produktionsformen sind erheblich, das hat sich gezeigt, aber es kann und muss gehen, auch das hat sich gezeigt. Ausgerechnet am Theater Bonn werden wir im Januar ’08 die nächste so entstandene Produktion uraufführen.
Den Fonds für solche Produktionen, die auf der Basis von jurierten Ausschreibungen entstehen, haben wir im NRW Kultursekretariat sozusagen als Gegenstück zum „Fonds Neues Musiktheater“ entwickelt, aus dem wir die „Freax“ gefördert haben.

nmz: Ist die Tendenz zum Event, zu Skandalon und Spektakulum auch im Musiktheater unausweichlich und unumkehrbar? Wie verträgt sie sich mit der Handlungsfreiheit, der Verantwortung von Intendanz und Dramaturgie für akzeptable künstlerische Ergebnisse?

Esch: Auch im traditionellen Rahmen verlangen Uraufführungen nach intensiver dramaturgischer Arbeit und Vorarbeit, zum Beispiel bei der Zusammenstellung des Produktionsteams, die sich ausschließlich am möglichst adäquaten künstlerischen Ergebnis orientieren muss. Dass diese künstlerischen Erwägungen absolut ent­schei­dend sind und nicht auf andere Effekte wie Big Names, PR und Skandale geschielt wird, ist natürlich unabdingbar. Schlingensief, dessen Film in der Pause der Uraufführung mich beeindruckt hat, als innovativer Partner in der fertigen Konzeption von Eggert: das roch mir von vornherein nach Problemen. Dass der Umgang mit dem Thema und die Dramaturgie des Ganzen in mancher Hinsicht mehr Nähe zu den „Pagliacci“ als zu aktuellem Musiktheater hat, muss spätestens mit Probenbeginn klar gewesen sein, eigentlich schon bei der Lektüre des Librettos. Aber natürlich ist eine solche Zusam­menarbeit letztlich die Entscheidung des Hauses und vor allem der Künstler selbst, die damit gemeinsame Verantwortung übernehmen.

nmz: Hat der innovative musikdramaturgische Entwurf im Stadttheater noch Heimat und Zukunft?

Esch: Wir haben in Gelsenkirchen im Mai dieses Jahres mit der erwähnten experimentellen Produktion „Der Sonne entgegen“ bewiesen, dass es geht, auch wenn es mühsam ist. Mit dem „Fonds Experimentelles Musiktheater“ werden wir 2008 in Bonn und dann in Bielefeld, übrigens gemeinsam mit der Kunststiftung NRW, diesen Weg weitergehen, veränderte Produktionsprozesse mit den Stadttheater-Strukturen zusammenzubringen. In beiden Häusern ist der deutliche Wille und auch die nötige Risikobereitschaft erkennbar, die gegebenen Strukturen zu befragen und sich auf ungewohnte Konzepte und Prozesse, also sich ästhetisch und formal auf ein Experiment einzulassen. Und ich frage Sie: warum sollte es nicht immer besser funktionieren? Das verbreitete Bild vom starren Stadttheater­apparat, ob berechtigt oder nicht, kann am besten das Stadttheater selbst korrigieren, indem es sich als reaktionsfähig und flexibel erweist. Damit hat es auch die Chance, neue ästhetische Wege des Musiktheaters zu gehen und vielleicht solche Wege zukünftig wieder stärker auch selbst zu weisen.

nmz: Welche Chancen bietet die traditionelle Trennung von Libretto, Komposition, Regie? Was wird umgekehrt dadurch be- oder verhindert?

Esch: Zunächst einmal: Das kann natürlich sehr gut funktionieren und funktioniert ja auch immer wieder, wenn auch mit ganz unterschiedlichen künstlerischen Ergebnissen. Die Literatur-opern Glanerts werden landauf, landab gespielt – sie gelten ja mittlerweile als Marke für die jeweiligen Häuser, im Sinne von: Zeitgenössisches Musiktheater muss nicht mal weh tun! Ein anderer, radikalerer Ansatz sind die Textfragmen­tierungen und die musikalischen Erschütterungen Rihms. Er arbeitet zwar ebenfalls auf der Basis von Literatur, aber nicht narrativ und traditionell: Seine Musik ist dabei ein sehr eigenständiger Parameter, der mit dem Text arbeitet, ihn aber nicht „vertont“.
In beiden Fällen ist der Komponist auch der eigene Librettist beziehungsweise Textarrangeur, und die Regie kommt erst zum Schluss ins Spiel. Eggerts Verfahren ist dagegen ganz traditionell: Sujetbestimmung, Erarbeitung der Textvorlage durch die Librettistin, gemeinsame Weiterarbeit und dann die Inszenie­rung des Ganzen durch einen hinzukommenden Regisseur – so ähnlich haben schon Scarlatti und Metastasio oder Mozart und Da Ponte gearbeitet. Dazu kommt bei Eggert der unbedingte Wille zum Publikumserfolg. Bei der Entwicklung des „Fonds Experimentelles Musiktheater“ haben Winrich Hopp und ich darüber nachgedacht, welchen Anteil das Theater, also auch das Schauspiel, im Musiktheater haben kann. Vor allem geht es darum, dass Musik, Text und Regie von Beginn an gemeinsam arbeiten und das Stück entwickeln. Das ist ja nichts sensationell Neues, wird aber viel zu selten gemacht – wohl, weil man meint, die Katze im Sack zu kaufen, aber auch wegen der einge­schliffe­nen Produk­tions­mechanismen.

nmz: Fördern, was es schwer hat! lautete einmal das Diktum des NRW Kultursekretariats. Wie schwer müssen es sich förderungswürdige Produktionen mit sich selbst und der Opern-Tradition machen?

Esch: Der „Fonds Neues Musiktheater“, den wir gemeinsam mit dem Land NRW betreiben, vergibt Fördermittel nach festen Kriterien: Als förderwürdig „gesetzt“ sind Uraufführungen, sofern es sich nicht um Musicals oder dergleichen leichte Kost handelt. Man weiß zum Zeitpunkt der Antragsbewilligung natürlich nie genau oder ahnt allenfalls, wie eine Produktion ausfällt, ob sie es sich und anderen schwer macht oder nicht. Ob „Freax“ nun angesichts der von Eggert so eindeutig angestrebten (und auch weitgehend erreichten) Publikumsgunst gefördert werden muss oder sollte, diese Frage ist allerdings durchaus berechtigt. Was das Szenische angeht: Im Gespräch mit dem Förderpartner Land NRW, während der turbulenten Ereignisse in Bonn, waren wir, Kultursekretariat und Land, uns darin einig, dass wir trotz der nur halbszenischen Aufführung – „konzertant“, wie sie annonciert wurde, war sie ja übrigens gar nicht – die Förderung nicht zurückziehen. Das gehört zu den Risiken von Uraufführungen.

nmz: Welche Konsequenzen ergeben sich aus den Bonner Erfahrungen für die Förderungspolitik des NRW-Kultursekretariats?

Esch: Wir wollen und müssen die Häuser dabei unterstützen, Risiken einzugehen, gemeinsame oder einzelne Anstrengungen von Theatern fördern, sich und dem Publikum etwas vorzustellen, was sich nicht zu erheblichen Teilen an Auslastungszahlen und kulturpolitischem Wohlgefallen bei den Stadträten orientiert. Das ist für meine Begriffe ohnehin die verdammte Pflicht von subventionierten Häusern. Trotzdem tut es mehr denn je not, sie angesichts der seit Jahren dramatisch zurückgehenden Subventionen finanziell zu ermutigen, Entwicklungen mit voranzutreiben, öfter mal ausgetretene Pfade zu verlassen und neue künstlerische Ansätze zu ermöglichen. Denn der Druck auf die Intendanten, Gefälli­ges, sogenanntes Verständliches zu bringen, wächst ja allerorten immer weiter. Das Instrument „FNM“ ist also zweifellos richtig und wichtig, aber manche Töne sollten mit seiner Hilfe nicht eigens zum Klingen gebracht werden. Obwohl wir bereits vor zwei Jahren die Förderkriterien deutlich geschärft haben, müssen wir weiter besprechen, wie wir den Fonds bei seiner Neuauflage 2009 in Richtung seines eigentlichen Förderzwecks präzisieren können. Im Mittelpunkt muss mit oberster Priorität das künstlerisch-ästhetische Wagnis stehen.

Das Gespräch führte Georg Beck.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!