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IFF-Direktor Prof. Martin Brauß bei einer Probe während der Sommerakademie 2019. Foto: Imme Henrike Wolters
IFF-Direktor Prof. Martin Brauß bei einer Probe während der Sommerakademie 2019. Foto: Imme Henrike Wolters
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Junge Talente musikalisch aufblühen lassen

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20. Geburtstag des IFF der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover – Martin Brauß im Gespräch
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Als an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover vor 20 Jahren das „Institut zur Früh-Förderung musikalisch Hochbegabter“ (IFF) gegründet wurde, war es das erste seiner Art. Viele Einrichtungen, oft „Pre-College“ genannt, folgten, mittlerweile gehört die systematische, kontinuierliche Heranführung von Kindern und Jugendlichen an beinahe allen Musikhochschulen zum Portfolio. Im nmz-Gespräch blickt Prof. Martin Brauß, Direktor des IFF, zurück und reflektiert die Arbeit des Instituts.

neue musikzeitung: Herr Brauß, Sie sind nun seit sieben Jahren Direktor des IFF. Waren Sie seit der Gründung dabei?

Martin Brauß: Ja, es gab vor 20 Jahren so etwas wie ein Gründungstriumvirat unter Federführung von Bernd Goetz­ke, der als Klavierprofessor für seine neue Idee zwei gleichgesinnte Kollegen an unserer Hochschule suchte und sie mit Andreas Boettger (Rhythmus/Schlagzeug) und mir (Musiktheorie/Dirigieren) auch fand. Eine günstige Rolle spielte dabei sicher auch die Tatsache, dass Bernd Goetzke ein Schüler von Karl-Heinz Kämmerling gewesen war. Es war klar, dass über diesen Altmeister der Klavierpädagogik, der inzwischen wieder nach Hannover zurückgekehrt war, genügend Kinder und Jugendliche allein schon im Klavierbereich zu uns kommen würden, mit denen man auf hohem Niveau würde arbeiten können. Hinzu kam der Aufruf von politischer Seite, ‚Kompetenzzentren‘ zu schaffen. Das Wort ‚Elite‘ – historisch gesehen verständlicherweise umstritten – war in der ‚Exzellenz‘-Variante wieder erlaubt. Und so konnten wir anfangen. Wir haben dann unsere kreativ-chaotischen Anfangsideen geordnet und in eine curriculare Form gebracht. Heraus kam ein „Frühstudium“, das es in dieser Art in Deutschland bis dahin noch nicht gab. Weil wir die ersten waren, konnten wir nicht absehen, ob wir an den richtigen Stellschrauben gedreht hatten und ob die Statik tragfähig genug sein würde. Aber, wie die Folgejahre gezeigt haben, wir hatten Fortune. Unser doch ziemlich intensiver Einsatz wurde durch die Entwicklung, die das Institut genommen hat, belohnt. Rein formal hat sich übrigens die konzeptionelle Zwitteridee als ausgesprochen glücklich erwiesen, dass das IFF sowohl ein Institut als auch ein Studiengang ist.

nmz: Aus organisatorischen und finanziellen Gründen?

Brauß: So ist es. Ein rein interner Studiengang einer Hochschule fällt nicht so leicht ins Auge potenzieller externer Förderer, die wir trotz aller traditionellen staatlichen Förderung wirklich brauchen. Als Institut, in dem junge Spitzenbegabungen gefördert werden, kann man zwangloser Verbindungen nach außen zu Personen und Institutionen herstellen, die helfen wollen. Intern war es wichtig, dass wir das IFF als Studiengang mit eigener Studien- und Prüfungsordnung etabliert haben. Einige Nachfolgeinitiativen an anderen Hochschulen haben damit zu kämpfen, dass sie entweder das eine oder das andere sind. Bei erfolgreicher Evaluation – und die hat es bei uns schon nach kurzer Zeit durch eine unabhängige externe Expertenkommission gegeben – kann man durch diese formale Implementierung, die ja auch ein ausdrückliches Bekenntnis der Hochschule zu den Aufgaben und Zielen des Instituts ist, ziemlich unbedroht von den oft allzu schnelllebigen gesellschaftlichen Strömungen und Entwicklungen seinem ‚Fördergeschäft‘ nachgehen.

nmz: Was ist die Kernidee des Curriculums am IFF?

Brauß: Die pädagogische Haupt­idee war unserem Gefühl von Verantwortung und Wiedergutmachung geschuldet. Zu sehr hatte man die musikalischen Spitzenbegabungen jahrelang gesellschaftlich alleine gelassen und pädagogisch vernachlässigt, während gleichzeitig der internationale Leistungsstandard sich ständig nach oben entwickelt hat und der globale Konkurrenzdruck rapide angestiegen ist. Wichtig ist zu wissen, dass das Frühstudium kein Jungstudium ist. Letzteres bedeutet ja ‚nur‘, dass musikalisch talentierte Jugendliche ab etwa 16 Jahren eine Wochenstunde Unterricht in ihrem Hauptfach an einer Musikhochschule erhalten. Wir wollten tiefer gehen, früher anfangen und ganzheitlicher fördern. Auf dem Stundenplan des dreijährigen Studiums stehen deshalb tatsächlich drei Hauptfächer – A. Instrument/Gesang/ Komposition, B. Musiktheorie/Gehörbildung und C. Rhythmische Erziehung/Dirigieren.

Positive ‚Kollateraleffekte‘

Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass jemand wie Joana Mallwitz, 2019 als jüngste Generalmusikdirektorin Deutschlands zur Dirigentin des Jahres gewählt, zum Dirigieren überhaupt erst im IFF gekommen ist. Das betont sie ja dankenswerterweise immer wieder. Tatsächlich beobachten wir solche positiven ‚Kollateraleffekte‘ gar nicht selten. Konzipiert hatten wir sie natürlich nicht, schon gar nicht in Studienplänen festgeschrieben, aber sehr erhofft schon. Mehrere Begleitfächer (u.a. Kammermusik, Stilkunde, Musikgeschichte, Interpretationslehre), Workshops, Blockseminare und Akademien komplettieren das Unterrichtsangebot. Und wichtig – wir nennen das unser „viertes Hauptfach“: Während des gesamten Studiums gibt es zahlreiche Gelegenheiten zu öffentlichen Auftritten: solistisch, in Kammermusikensembles und sogar mit professionellem Orchester im Rahmen der jährlichen Sommerakademie. Erteilt wird der Unterricht regelmäßig am Wochenende. Im Hauptfach A haben die IFF-Studierenden Anspruch auf 90 Minuten Einzelunterricht pro Woche. Der Unterricht in den Hauptfächern B (90 Min.) und C (60 Min., ab dem 3. Studienjahr 90 Min.) ist – auch hier analog zum späteren Hauptstudium –  in Kleingruppen organisiert. Es gibt keinen Internatsbetrieb, sprich, der normale soziale und familiäre Kontext bleibt für die Kinder und Jugendlichen außerhalb des IFF bestehen. Trotzdem haben sie – und das ist entscheidend, wie die Rückmeldungen der IFFler belegen – ständigen Kontakt zu ihrer Peergroup, in der sie sich wohl und aufgehoben fühlen.

nmz: Hat sich diese Fächerkonstellation bewährt, haben Sie im Lauf der Zeit etwas daran geändert?

Brauß: Das Kerncurriculum ist das Gleiche geblieben, aber wir haben das Fach Rhythmische Erziehung inhaltlich ausgebaut und auch mehr Zeit dafür angesetzt: 1,5 Stunden pro Woche im letzten Studienjahr. Ausgeweitet haben wir außerdem unsere Kammermusikangebote. Denn, seien wir ehrlich: Was schult (auch hohe) Musikalität besser, als ernsthaftes und konzentriertes Musizieren in kleinen Ensembles? Fast nirgends kommen freiwilliger Qualitätsanspruch und gute Laune so produktiv zueinander.

nmz: Wer unterrichtet die Kinder und Jugendlichen, wie rekrutieren Sie das pädagogische Fachpersonal?

Brauß: Erwachsene Musiker und Musikerinnen zu finden, die bereit sind und die Begabung haben, eine solche verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen, ist kein einfaches Unternehmen, aber sicherlich eine unserer Hauptaufgaben. Keine Frage – man findet immer nur wenige. Wer sich mit Leidenschaft und Können dauerhaft um junge Talente so kümmert, dass sie aufblühen und mit sicht- und hörbarer Freude vorankommen, und sein eigenes Künstlerleben zu einem wesentlichen Teil dieser pädagogischen Aufgabe verschreibt, der/die gehört heutzutage einer sehr seltenen Spezies an.  Zum Glück haben wir solche besonderen ‚Exemplare‘ bisher immer wieder gefunden.

nmz: Also Kolleginnen und Kollegen, die da hineinwachsen?

Brauß: Ja, in der Regel funktioniert das so. Manche motivierten Kolleg*innen stellen erst beim Unterrichten im IFF fest, was das eigentlich bedeutet, und springen wieder ab. Schließlich gehört es ja nicht zur Kernaufgabe von Hochschullehrer*innen, junge Leute zu unterrichten, die noch zur Schule gehen. Andere wiederum bemerken durch dieses bisher für sie ungewohnte oder sogar fremde Tun, dass sie dafür gemacht sind, dass sie hier ihre Lebensaufgabe finden können.

nmz: Sie fördern also auch pädagogische Talente…

Brauß: Unbedingt, und das so gut wie wir nur können! Ich halte das für eine dringend notwendige und immer noch extrem unterschätzte Aufgabe, die wir mit Nachdruck und partnerschaftlichem Sachverstand und Engagement deutschlandweit anpacken sollten. Gerade die Musikhochschulen sollten sich da noch stärker engagieren. Wer ein guter Lehrer/eine gute Lehrerin für junge Talente ist, ist immer auch ein Künstler/eine Künstlerin: Ars docendi! Man ist nicht nur der Musik verpflichtet – das allein wäre schon viel, sondern vor allem auch und mit großer Verantwortung den einzelnen jungen Menschen.

nmz: Wie sieht ein Werdegang eines Kindes am IFF idealerweise aus?

Brauß: Unser Idealgedanke ist eine kos­ten- und lückenlose Förderung von der Grundschule bis zum Hauptstudium und zwar deshalb, weil man weiß, wie sehr es junge Leute aus der Bahn werfen kann, wenn es einen Riss in ihrer künstlerischen Biografie gibt. Deshalb haben wir das VIFF als Vorklasse des IFF entwickelt (siehe hierzu den Beitrag in der April-Ausgabe der nmz, Seite 26). Hier nehmen wir Kinder als Gaststudierende ab etwa zehn Jahren auf. Beim GrIFF, der Ausbildung auf einem elementaren Grundniveau, halten wir uns nach anfänglichen Versuchen zurück und beschäftigen uns nicht planmäßig, aber ‚auf Zuruf‘ mit einzelnen begabten Kindern. Der Hauptfachunterricht im VIFF bleibt zumeist in den Händen der Privatlehrer*innen, die die Kinder bis dahin betreut haben. Danach kommt in der Regel die Aufnahmeprüfung ins IFF. Man muss dafür aber nicht speziell in unserer Vorklasse gewesen sein. Von etwa 13 bis 16 Jahren sind die jungen Musiker*innen dann echte Frühstudierende und können danach die Zeit bis zum Hauptstudium mit einem Jungstudium überbrücken, in dem sie uns aber weiter verbunden bleiben. Da hilft auch das Prinzip der offenen Tür auf eine ganz praktische Weise: Die Hochschule steht unseren jungen Leuten offen, sie müssen nur an die Unterrichtstüren klopfen, und schon sind sie drin und lernen...

Bildung statt Ausbildung?

nmz: Im Film zum zehnjährigen Jubiläum spricht Igor Levit, der prominenteste Absolvent, im Zusammenhang mit seiner Zeit am IFF von Bildung statt Ausbildung. Finden Sie sich da wieder?

Brauß: Ja, wobei wir nicht ‚statt‘, sondern ‚sowohl als auch‘ im Sinn haben – und das, wie gesagt, wirklich konzeptionell und mit Überzeugung sowieso. Christoph Richter hat in diesem Zusammenhang einmal im Blick auf den von ihm geforderten dreifachen Bildungsauftrag von Kunst- und Musikhochschulen den schönen Satz gesagt, der genau so auch für uns im IFF gilt: „Musik verstehen zu lernen, künstlerische Persönlichkeit entwickeln zu helfen und zu (nicht nur musikalisch) verantwortlichem Handeln in der Welt zu befähigen.“ Einzig eine „Pädagogik der ersten Person“ – ein Wort unseres verstorbenen Alterspräsidenten Peter Becker – ist legitim und lässt ein Bewusstsein entstehen für Kunst und ihre verletzliche, oft bedrohte und gleichwohl unabkäufliche Besonderheit. Entscheidend ist, Bildung macht den Menschen, Ausbildung den Musiker, die Musikerin. Wirklicher Künstler, wirkliche Künstlerin ist, wer beides in sich, damit aber eben auch für andere miteinander verbinden kann.

nmz: Wie stehen Sie zum Begriff Hochbegabung?

Brauß: Ich stehe zu ihm, denn immerhin macht er einen wichtigen Teil unseres Institutsnamens aus und ist insofern auch Programm. Allerdings benutze ich ihn mit Bedacht und wenn, dann möglichst nur in eher wissenschaftlich geführten Diskussionen. Einige Partnerinstitute, die in den letzten Jahren gegründet worden sind, haben bewusst auf diese Kennzeichnung verzichtet, weil ihr doch noch, vielleicht inzwischen auch wieder neu, etwas Elitäres und Hochnäsiges anhaftet. Wir haben es im IFF definitiv nicht mit Wunderkindern zu tun – ein Begriff, der mich, ehrlich gesagt, sehr stört, wenn es um unser Thema und unser Anliegen geht. Trotzdem kommen nun mal sehr starke, also ‚hochbegabte‘ junge Musiker und Musikerinnen zu uns. Und für sie setzen wir uns ein. Also – wir sind keine Kaderschmiede für zukünftige musikalische Olympioniken, kein akademisches Lernlabor für Spezialbegabungen, sondern im besten Fall eine Handwerksstube, in der der Meister/die Meisterin seinen/ihren womöglich begabteren Lehrlingen zeigt, wie das geht und zusammengeht – das Leben und die Kunst.

nmz: Eine Besonderheit des IFF ist, dass dort eine pädagogische Koordinatorin für den Bereich der allgemeinbildenden Schule mitarbeitet. Was ist deren Aufgabe?

Brauß: Das war ein feiner Zug und zugleich eine kluge Entscheidung unseres Kultusministeriums: Man hat von Anfang an erkannt, dass eine funktionierende Kommunikation zwischen Institut, Hochschule, Schule und Eltern von echter Bedeutung ist. Deshalb wurde die dauerhafte Abordnung einer gymnasialen Lehrkraft an das IFF möglich gemacht. Sie hilft den IFFlern bei den verschiedenen und oft unvermeidlichen Problemen im Spannungsfeld von Schule, Frühstudium und Konzertauftritten. Sie arbeitet in dem Verbund der Hochbegabtenförderung des Landes mit, hält Kontakt zu den verschiedenen Musikinstitutionen, initiiert Fachkonferenzen und Weiterbildungskongresse und steht dem Institut auch intern für organisatorische und musikalisch-inhaltliche Aufgaben zur Verfügung.

Jubiläumsprogramm

nmz: Wie tritt das IFF im Jubiläumsjahr nach außen?

Brauß: Wir haben ein Jubiläumsprogramm organisiert mit Veranstaltungen, die über das ganze Jahr verteilt sind. Am Anfang eine CD-Produktion samt Release-Konzert im Februar. Dann der Klaviermeisterkurs für junge Pianistinnen und Pianisten mit dem IFF-Alumnus Igor Levit Anfang März. Das war natürlich ein Highlight. Ein Streichersymposion, in dem wir der Frage nachgehen wollten, wie es um die Ausbildung der jungen Streicher und Streicherinnen in Deutschland bestellt ist, und ein Dirigierseminar samt Meisterkurs mit GMD Joana Mallwitz, IFFlerin der ersten Stunde, fielen der Corona-Epidemie zum Opfer. Aber aufgeschoben ist definitiv nicht aufgehoben. Natürlich hoffen wir sehr, dass das festliche Orches­terkonzert mit Igor Levit und einigen jungen IFF-Solisten am 23. September im umgebauten und endlich wieder bespielbaren großen Saal des NDR-Funkhauses in Hannover stattfinden kann. Und den hoffentlich glanzvollen Schlusspunkt wird dann ein nationaler Kongress setzen, zu dem wir alle Frühförderinstitute Deutschlands eingeladen haben. Das Thema, mit dem wir ganz bewusst und durchaus nachdenklich in die Zukunft blicken wollen, wird sein: „Das Selbst- und Berufsbild junger MusikerInnen von heute“.  Beim letzten Treffen dieser Art in Mannheim hatte auch dankenswerterweise die Bundesspitze des VdM ihr Kommen zugesagt. Sie wird dann auch unser Abschlusskonzert mit Kammermusik und eigenen Werken von aktuellen und ehemaligen IFF-Studierenden zu hören bekommen. Wir freuen uns sehr darauf!

  • Interview: Juan Martin Koch

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