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 Georges de La Tour: Schlägerei der Musikanten. 1625–1630, Öl auf Leinwand, 94,4 × 141,2 cm
Georges de La Tour: Schlägerei der Musikanten. 1625–1630, Öl auf Leinwand, 94,4 × 141,2 cm
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Kastriert Kapitalismus Kreativität ? – Gerald Mertens

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Umfrage der nmz
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Unter dem Titel „Wieviel Ökonomie braucht die Musik?“ findet am Freitag, 20. Oktober 2017 der öffentliche Teil der Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrats statt. Im Rahmen der Veranstaltung soll vor allem das Zusammenwirken von kultur-, markt- und gesellschaftspolitischen Aspekten beleuchtet werden. Im Zentrum steht unter anderem folgende Frage: „Inwiefern kann die zunehmende Ökonomisierung unserer Gesellschaft mit künstlerischer Kreativität vereinbart werden?“ Die nmz-Redaktion ließ sich vom Thema zu einer Umfrage unter Kreativen inspirieren. Etwas verschärft fragten wir „Kastriert Kapitalismus Kreativität?“

Keine einfachen Antworten

Eine Ja-oder-Nein-Antwort auf diese etwas provokante Frage gibt es nicht. Schon gar nicht, wenn es dabei zum Beispiel um Musik geht. Der Kapitalismus, ohne hier im Detail auf marxistische Theorien eingehen zu wollen, folgt ökonomischen Gesetzmäßigkeiten der Kapitalvermehrung und Gewinnmaximierung um jeden Preis. Kreativität hingegen braucht, sucht und schafft Freiräume. Die Kunst, die aus dieser Kreativität der Künstler entsteht, ist zunächst einmal zweckfrei: Skulpturen, Gemälde, Musikstücke. Die kunstvolle Höhlenmalerei der Steinzeitmenschen reflektierte die Wirklichkeit des Überlebens durch die Jagd. Garantiert frei von kapitalistischen Motiven. Die Portraitmalerei vergangener Jahrhunderte betrachten wir heute auch als Kunst. Zu ihrer Zeit war sie notwendige Quelle des Broterwerbs des Malers, die zudem in der Ausführung stark vom Auftraggeber beeinflusst wurde. Mozarts Zauberflöte war bei der Uraufführung am 30. September 1791 in Schikaneders „Theater auf der Wieden“ in Wien ein kommerzielles Bühnenspektakel; pures Entertainment, würde man heute vielleicht sagen.

Verliert also Kunst, nur weil sie von einem Auftraggeber oder vom Publikum bezahlt wird, ihre „Unschuld“? Nein, denn auch kommerzialisierte Kunst – von Literatur, Architektur und Design bis zu Malerei und Musik – bleibt am Ende doch Kunst. Was unterscheidet am Ende das „Phantom der Oper“ von den „Drei Tenören“? Das kommerzielle Musical findet ebenso sein Publikum wie das Gesangsspektakel um das längste und schönste hohe C. An dieser Stelle kommen dann das individuelle und das jeweilige gesellschaftliche Kunstempfinden ins Spiel. Das große „Festival der Volksmusik“ ist auch Kunst, selbst wenn die musikalische Folklore eine gewisse Komplexität oder Gestaltungshöhe nicht übersteigt.
Das Schöne an der Kreativität ist ihre fantastische Grenzenlosigkeit. Die aus ihr hervorgehende Kunst hält jedem Kommerz stand, wenn sie „gut“ ist. Jedermann beurteilt dies für sich. Es gibt zum Beispiel gute und schlechte Opern. Die wirklich guten Opern überstehen sogar eine schlechte Inszenierung. Andererseits muss das, was kommerziell erfolgreich ist – weil massentauglich – noch lange keine gute Kunst sein.

Wer von seiner Kreativität – zum Beispiel als Künstler – leben muss, geht insoweit gelegentlich Kompromisse ein; deswegen aber eine „Kastration der Kreativität“ quasi als „Tod der Kunst“ zu sehen, geht zu weit. Öffentliches Geld für Kunst und Kultur sorgt letztlich dafür, dass sich viele Kreative auch ohne „Druck des Kapitals“ entfalten können.

Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung

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