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Keine Alleskönner

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Zur Schulmusik heute
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Will man einem Amerikaner oder Engländer, einem Japaner, Franzosen oder Dänen die Situation der deutschen Musikpädagogik und insbesondere auch den deutschen Musikunterricht erläutern, dann verheddert man sich sehr schnell. Ununterbrochen muss man Einschränkungen des eben Formulierten vornehmen, muss darauf verweisen, dass dieses noch und jenes schon nicht mehr gilt. Am Ende unserer Versuche steht die Hilflosigkeit beider: dessen, der zuhört, und dessen, der erläutert.

Will man einem Amerikaner oder Engländer, einem Japaner, Franzosen oder Dänen die Situation der deutschen Musikpädagogik und insbesondere auch den deutschen Musikunterricht erläutern, dann verheddert man sich sehr schnell. Ununterbrochen muss man Einschränkungen des eben Formulierten vornehmen, muss darauf verweisen, dass dieses noch und jenes schon nicht mehr gilt. Am Ende unserer Versuche steht die Hilflosigkeit beider: dessen, der zuhört, und dessen, der erläutert.Am Anfang des Jahrhunderts befinden wir uns in einer diffusen Situation, die durch zahlreiche Faktoren bedingt ist:

• Durch die Länderhoheit in der Schulpolitik geht jedes Land – zumindest ein wenig – trotz der Kultusministerkonferenz seinen eigenen Weg,
• durch die immer noch nicht ausgetragene Debatte, welcher denn der rechte Weg sei, auf dem die Musikpädagogik und demzufolge der Musikunterricht gehen möge (als ob es den rechten Weg überhaupt gäbe!),
• durch die immer komplizierter werdende unterrichtliche Situation an unseren Schulen, das heißt durch die kulturelle Schere zwischen Lehrern und Schülern, aber auch
• durch das permanent zunehmende Durchschnittsalter der Lehrerinnen und Lehrer und nicht zuletzt auch
• durch die immer noch nicht psychologisch aufgearbeitete deutsche Vereinigung.

Dass zudem die dramatisch sich verschlechternde Nachwuchssituation bei Musiklehrerinnen und Musiklehrern die Probleme verschärft, muss kaum noch erwähnt werden. Immer mehr Schulen (sieht man einmal von den Gymnasien ab, denen es noch – relativ! – gut geht) haben nicht einmal mehr eine Musiklehrerin oder einen Musiklehrer. Nicht von einer Krise zu reden, ist fahrlässig und nur möglich, wenn man die Wirklichkeit ausblendet und sich weigert, empirische Untersuchungen zur Kenntnis zu nehmen.

Über diese Situation wurde in den vergangenen Jahren in den Verbänden, auf Kongressen und Bundesschulmusikwochen geklagt, analysiert, gestritten, gelitten. Doch was sich quasi unter der Hand in den letzten fünf Jahren angebahnt hat, ist nicht mehr wegzureden. Ich werde mich aus Platzgründen im Folgenden auf einige wenige Punkte beschränken; die Reihe der Positiva ließe sich noch um einige weitere fortsetzen.

Musikpädagogische Werkstätten

Da gibt es eine Bewegung quasi von unten, zunächst als Selbsthilfegruppe geplant, dann aber auch von der (niedersächsischen) Landesregierung unterstützt: die Musikwerkstätten für Lehrerinnen und Lehrer.

Sie wenden sich an Kolleginnen und Kollegen, die in den Grund- und Förderschulen das Fach Musik unterrichten (müssen) und nicht an einer Musikhochschule oder einer Universität ausgebildet wurden. Diese Arbeit wird nicht oder kaum honoriert, und doch verändert sich vor Ort sehr viel. Es setzt sich ein Musikunterricht durch, der trotz aller eingeschränkten Möglichkeiten eines versucht: dass die Schülerinnen und Schüler in einen unmittelbaren Kontakt mit der Musik selbst kommen.

Während man noch vor Jahren auch seitens der musikpädagogischen Verbände gegen diese Form der Selbsthilfe polemisiert hat, so hat sich durch eine Initiative insbesondere der beiden größten Verbände Deutschlands, des AfS und des VDS, ein Konsens über die Standards erzielen lassen, die sich dann wiederum in den einzelnen Maßnahmen, soweit sie von den Lehrerfortbildungsinstituten und Landesregierungen angeboten werden, niederschlagen.

accompagnato

In diesen Zusammenhang gehört auch ein Umdenken bei denen, die in den Universitäten und Hochschulen bislang nur für die erste Phase der Lehrerausbildung verantwortlich waren. Die Idee der Wiener Musikhochschule, auch nach dem Staatsexamen ihre Absolventinnen und Absolventen zu begleiten, führte zu dem Modell „accompagnato“, über das Klaus-Jürgen Etzold in diesem Dossier berichtet und das jetzt in einer Art „Schneeballsystem“ weitergetragen wird.

Auch hier hat sich gezeigt: Ein Warten auf bessere Zeiten, in denen „der Staat“ hilft, dauert einfach zu lange. Die Probleme, beispielsweise die der pädagogischen Vereinsamung von Musiklehrerinnen und Musiklehrern oder des Ausgebrannt-Seins, belasten heute und verlangen deswegen auch heute (und morgen) nach Lösungen, auch wenn diese noch so unkonventionell sein mögen.

Neue Ausbildungsfächer

Im Alltag der Schule das Gefühl nicht loszuwerden, falsch ausgebildet worden zu sein, oder auch mit einer dumpfen Ahnung zu leben, dass das, was man studiert hat, nur eingeschränkt im Unterricht umzusetzen ist, nimmt rapide zu. Dabei kann man vermutlich nicht sagen, dass heute schlechter ausgebildet wird als früher. Im Gegenteil, die oft (über-)vollen Curricula sprechen eine andere Sprache. Doch es ist und bleibt die Frage, ob die im Wesentlichen in den 50er-Jahren entstandenen Konzeptionen, die nur von einem additiven Prinzip leben, der „Sache“ Musik (für manche ist es das „Lebensmittel“) auch nur annähernd gerecht werden können.

Aus diesem Grunde haben sich eine Reihe von Initiativen gebildet, die der Deutsche Musikrat 1998 in einem Memorandum zur Ausbildung von Musiklehrerinnen und Musiklehrern zusammengefasst hat. Zunächst ergibt sich ein ganz entscheidender neuer Grundsatz: Keine(r) muss alles unterrichten können, vielmehr sind die individuellen musikalischen und musikbezogenen Stärken das wichtigste Pfand für einen gelingenden Unterricht. Das heißt in der Konsequenz: Die Studierenden der Schulmusik sind gerade keine „Generalisten“, wie noch immer behauptet wird, sondern sie bekennen sich zu eigenen Schwerpunkten. Ihre entscheidende Qualität im Berufsleben ist auch nicht eine abgespeckte künstlerische Ambition (weil es vielleicht zu mehr nicht gelangt hat), ihre Qualität besteht in der Vermittlung von Musik. Dabei sind sie offen für alles, was mit Musik zu tun hat, sie lernen, sich für „ihre“ Musik zu begeistern und können gleichzeitig ertragen, dass andere eine „andere“ Musik nicht nur erträglich finden, sondern sich ebenso dafür begeistern können.

So hält das Studium die Türen für andere Erfahrungen offen, es bietet genauso die Musik des ausgehenden Mittelalters an wie den Umgang mit HipHop, es behandelt Neue Musik nicht als exotischen Außenseiter in einem musikpädagogischen Reservat. Überhaupt ist das Wort „behandelt“ nicht ganz richtig. Ein Studium schafft Erfahrungsräume, es lässt zu, dass Lehrende und Lernende anders als bisher miteinander umgehen, nämlich als gemeinsam am Projekt Arbeitende. Projekte können nicht ohne eine künstlerische und wissenschaftliche Kompetenz durchgeführt werden, insoweit bedarf es auch des bisherigen Unterrichts. Doch er mündet in eine andere Denkweise, weil er immer darauf zielt, dass der Ernstfall geprobt wird, dass nicht die Spielwiese das Terrain für Studierende ist. Wer jetzt fragt, wo diese andere Ausbildung stattfindet, wird inzwischen an einer Reihe von Hochschulen und Universitäten fündig. Denn kaum eine Hochschullehrer erträgt es heute noch, so zu unterrichten, wie er unterrichtet wurde. Insofern kann man von einem wirklichen Fortschritt sprechen, der sich in neuen Studienakzenten ebenso niederschlägt wie in veränderten Methoden.

Studienzentrum

Es wäre für Hochschulen und Universitäten unsinnig, wenn der einzige Bezugspunkt ihres Arbeitens die erste Phase der Lehrerausbildung wäre. Zu viel Kompetenz findet sich – unabhängig von der Lehrerausbildung – in diesen Institutionen, die bislang mehr über die Last des Alltags geklagt haben, als dass sie nach Wegen suchten, wie man der Misere entrinnen könnte.

Wenn Raimund Vogels in diesem Dossier das Hannoveraner „Studienzentrum für Weltmusik“ beschreibt, dann ist das ebenfalls ein Beleg dafür, wie sich Ressourcen (in diesem Fall Musikethnologie, Jüdische Musik, Jazz, Neue Musik und Musikpädagogik) besser als bislang nutzen lassen für alle Interessen, nicht zuletzt auch für die Lehrerinnen und Lehrer in der Region. Während sich das Accompagnato-Modell gezielt um die schulisch-unterrichtliche Kompetenzerweiterung kümmert, steht für die Gründer des Zentrums für Weltmusik fest, dass sie sich mit konkreten Inhalten an Interessierte wenden, an Musikschullehrerinnen und -lehrer ebenso wie an Schulmusiker, an Komponisten, an Medienmacher, ja auch an interessierte Laien. Insofern entsteht ein neues Biotop (nach dem langsamen Dahinsiechen der verschiedenen Fortbildungsinstitute) in dem Zwischenraum von Hochschule und Öffentlichkeit, das mehr zulässt als die Strukturen es zunächst erlauben. Dass Schulen und Musikunterricht auf diese Weise von einer neuen Lebendigkeit profitieren, mag nur den ängstigen, der sich bislang im Stillstand des schulischen Lebens recht kommod eingerichtet hat.

Kooperation mit Verbänden

Was sich momentan ebenfalls als sehr positiv auf die Situation der Musikpädagogik auswirkt, ist die hervorragende Zusammenarbeit der musikpädagogischen Verbände Deutschlands. Sie war in der Tat noch nie so gut wie heute. Die Fähigkeit zur Kooperation, die Bereitschaft, dem anderen Verband sein eigenes Profil zuzugestehen, haben dazu geführt, dass es inzwischen eine „Föderation musikpädagogischer Verbände Deutschlands“ gibt, in dem sich der Arbeitskreis für Schulmusik, der Arbeitskreis für musikpädagogische Forschung, die Bundesfachgruppe Musikpädagogik, die Gesellschaft für Musikpädagogik, der Verband deutscher Musikschulen und der Verband deutscher Schulmusiker zusammengefunden haben. Ein etwas idealtypisches Szenarium: Die Verbände überlegen inzwischen gemeinsam, wie sich Probleme des schulischen Unterrichts (zum Beispiel durch den AfS, die GMP/VMP und den VDS immer wieder beklagt) analysieren lassen (AMPF) und wie man ihnen dann durch die veränderte Hochschulausbildung (BFG) sowie durch die Lehrerfortbildung (AfS, VDS) und eine gemeinsam getragene Politik (Föderation und Deutscher Musikrat) begegnen kann.

Sicher genügt das alles einigen noch nicht. Auch in dieser Zeitung wird immer wieder in unterschiedlicher Weise angemahnt, dass mehr oder anderes geschehen möge. Die Mahnung vernimmt man wohl, wenn sie von der Wirklichkeit ausgeht, die unvergleichlich viel komplexer geworden ist. Man ist hingegen irritiert, wenn die Mahnung nur zum Ziel hat, den Traum von der „heilen“ Schulmusikwelt noch einige wenige Jahre genüsslich weiterzuträumen. Ihre Krise steht diesen Träumern noch bevor, doch werden sie auch sehen, falls sie nicht in eine tiefe Depression verfallen, dass der Aufbruch längst begonnen hat. Er ist mühsam, weil er nur in kleinen Schritten vorangeht, Umwege, ja auch Rückschläge in Kauf nehmen muss. Doch nur in diesem Aufbruch liegt die Chance für eine andere Musikvermittlung in den Schulen, die verbunden sein muss mit der Abkehr von den festgezurrten Denkschemata hin zu einer neuen Lebendigkeit, die der Musik in den Schulen wieder Räume gewährt.

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