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Computerspiele mit Vernunft und Augenmaß beurteilen

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(nmz, thg) Musizieren als „Schutzimpfung gegen Killerspiele? Propagiert der Deutsche Kulturrat Ego-Shooter und Kettensägen-Massaker für Minderjährige??? Ein Zwischenruf von Theo Geißler (nmz, politik & kultur)

Wenn „Schuldige“ ohne handfeste Beweise flott abgeurteilt werden, ist tiefes demokratisches Misstrauen angebracht. In einem vehementen, populistischen Vortrag beim Musikschulkongress in Mannheim befand der Kriminologe Christian Pfeiffer grausame Computer-Killerspiele als Verursacher jugendlicher Verrohung und Verdummung für schuldig. Da mag ja was dran sein.
Jetzt empfiehlt der Deutsche Musikrat in einer Pressemitteilung aktives Musizieren als „Schutzimpfung“ gegen solche Verwahrlosungs-Tendenzen. Auch darin mag Wahrheit stecken. Allerdings sei vor überraschen Heilsversprechungen im Zusammenhang mit der sozialtherapeutischen Wirkung von Musik gewarnt: Die „Bastian-Falle“ („Musik macht intelligent“) ist als trügerisches Kurzschluss-Argument noch nicht vergessen.
Mit Sicherheit falsch ist es, in diesem Zusammenhang eine ganze, teils ja auch wirklich kreative Branche, nämlich die der Computer-Spiele-Entwickler und -Hersteller in toto an den Pranger zu stellen. Ferner in diesem Kontext den Deutschen Kulturrat als Verteidigungs-Lobby der Splatter-Spiel-Produzenten misszuverstehen, diffamiert die gutgemeinte eigene Werte-Front leider als etwas unintelligent - und schadet dem kulturellen Spitzenverband unnötig und unberechtigt. Mit ähnlicher Argumentation hatte sich kürzlich schon der nordrheinwestfälische Vielzweck-Politiker Hans Heinrich Große-Brockhoff in einem Kommentar in der „Welt“ als schlecht informierter Populist geoutet. Die Gründe für die Verrohung und Verwahrlosung unserer Gesellschaft, für die miserable Erziehung und Ausbildung vieler unserer Kinder sind zahlreich und vielschichtig. Maßlose Vergröberung in der Analyse hat zur Problemlösung allerdings noch nie beigetragen, eher das Gegenteil bewirkt. (thg)

Eine differenzierte Diskussion zum Thema - unter anderem mit einem Beitrag von Günther Beckstein - findet sich in der aktuellen Ausgabe von "politik & kultur":
http://www.kulturrat.de/puk/puk03-07.pdf (4,2 MB)

Zur Klarstellung der Positionen nochmals der Vorgang – und der offene Brief des Kulturrats-Geschäftsführers Olaf Zimmermann an Große-Brockhoff:

Betrifft Artikel „Kunstfreiheit gilt nicht für Killerspiele“ in WamS vom 25.02.2007 als Reaktion auf meinen Artikel „Zensur oder öffentliche Förderung? – Computerspiele in der Diskussion“ in politik und kultur 2/2007

Sehr geehrte Damen und Herren,
Staatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (Landesregierung von NRW) hat in dem Artikel „Kunstfreiheit gilt nicht für Killerspiele“ in Welt am Sonntag vom 25.02.2007 auf meinen Artikel „Zensur oder öffentliche Förderung? – Computerspiele in der Diskussion“ in politik und kultur 2/2007 reagiert.

Anbei sende ich Ihnen meinen Offenen Brief an Staatssekretär Grosse-Brockhoff.

Sie finden den Artikel „Kunstfreiheit gilt nicht für Killerspiele" unter http://www.welt.de/wams_print/article734535/Kunstfreiheit_gilt_nicht_fu….
Die Beilage in kultur•kompetenz•bildung (Ausgabe 9) von politik und kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, März/April 2007 mit meinem Artikel „Zensur oder öffentliche Förderung?“ kann unter http://www.kulturrat.de/puk/computerspiele.pdf (1 MB) als pdf-Datei geladen werden.

Das Dossier „Computerspiele“ des Deutschen Kulturrates finden Sie unter http://www.kulturrat.de/text.php?rubrik=72.
Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
Herausgeber von politik und kultur

Herrn Staatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff
Staatskanzlei NRW
Stadttor 1
40219 Düsseldorf

Berlin, den 27.02.2007
Sehr geehrter Herr Staatssekretär,

über Ihren Artikel in der Welt am Sonntag am 25.02.2007 „Kunstfreiheit gilt nicht für Killerspiele“ bin ich sehr verwundert.

Erstaunt bin ich darüber, wie Sie in Ihrem Beitrag einen Artikel von mir in der neuen Ausgabe von politik und kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, entstellt wiedergeben und dann auch noch den Eindruck erwecken, diese verkürzten und falsch dargestellten Positionen seien in einer Pressemitteilung des Deutschen Kulturrates als Stellungnahme des Deutschen Kulturrates vorgestellt worden.

Überrascht bin ich darüber, dass Sie sich offensichtlich nicht die Mühe gemacht haben, den Artikel in Gänze zu lesen, denn ansonsten hätten Sie folgende Passage nicht übersehen: „Festzuhalten ist, es gibt solche Shooter-Spiele, deren Spielinhalt es ist, Spielgestalten teilweise bestialisch zu töten. Diese Spiele sind geschmacklos und Schund. Sie sind für Kinder und Jugendliche aber auch nicht freigegeben. Wer diese Spiele Kindern und Jugendlichen zugänglich macht, macht sich strafbar und muss entsprechend strafrechtlich verfolgt werden“. Und Sie hätten weitergelesen, dass ich unmissverständlich auf das Leid, welches Eltern, Jugendlichen und Kindern durch Amokläufe angetan wird, eingehe und klarstelle, dass alles getan werden muss, um solche zu verhindern. Ihre Behauptung, ich würde in dem Artikel Opfer verhöhnen, entbehrt jeder Grundlage.

Verwirrt bin ich darüber, dass es ein Kulturstaatssekretär aus Nordrhein-Westfalen offenbar für anstößig erachtet, wenn in einer Zeitungsbeilage, in der insgesamt sieben Artikel zum Themenfeld „Computerspiele“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln erscheinen, auch zwei Vertreter der Computerspielebranche zu Wort kommen. Bislang habe ich gerade das Land Nordrhein-Westfalen immer als das Bundesland wahrgenommen, das ganz besonders auf den Strukturwandel durch neue Medien, zu der auch die Spielebranche gehört, setzt und das nicht zuletzt erhebliche öffentliche Fördermittel in diesem Bereich eingesetzt hat. Außerdem war es doch gerade Nordrhein-Westfalen, das als erstes Bundesland aufzeigte, welche immense wirtschaftliche Bedeutung die Kulturwirtschaft, zu der ohne Zweifel auch die Spieleindustrie zählt, hat. So versucht doch die Messe Köln seit geraumer Zeit der Messe Leipzig die erfolgreiche Computer- und Videospielemesse „Games Convention“ abzuwerben. Erlauben Sie mir, dass ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen möchte, dass im Aufsichtsrat der KölnMesse drei Vertreter der Landesregierung Nordrhein-Westfalen mitwirken. Muss ich Ihren Artikel nun als Kehrtwende in der Medien- und in der Kulturwirtschaftspolitik von Nordrhein-Westfalen verstehen?

Perplex bin ich auch, weil Sie die wesentliche Forderung meines Artikels in politik und kultur, nämlich die Entwicklung von kulturell wertvollen Spielen zu fördern, die nicht so schnell einen Markt finden, offensichtlich gar nicht zu Kenntnis genommen haben.

Ich denke, dass es überfällig ist, dass sich der Kulturbereich mit dem Thema Computerspiele auseinandersetzt. Dabei muss über die Beurteilung kontrovers gerungen werden. Doch die von Ihnen gewählte Art und Weise lässt jeden Willen vermissen, diese Debatte mit der notwendigen Ernsthaftigkeit zu führen.

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
Herausgeber von politik und kultur
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