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Klatsch und Tratsch und dies und das

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Wesslings Wieland-Wagner-Biographie bleibt hinter ihren Ansprüchen zurück
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Berndt W. Wessling: Wieland Wagner. Der Enkel. P.J. Tonger Musikverlag Köln 1997, 445 S., 64,80 Mark.Der Theaterkritiker und Verfasser bissig-satirischer Werke über Bayreuth und die Festspiele („Bayreuth mon amour“) und Biographien einiger Neubayreuther Sänger, wie Wolfgang Windgassen, Astrid Varnay und Hans Hotter, geriet mit seinen Biographien über Liszt, Mahler, Meyerbeer, Beethoven, Toscanini und Furtwängler vor einigen Jahren selbst in die Kritik der Medien: „überschäumende Phantasie“ ersetze bei Wessling wissenschaftliche Detailarbeit. Bei Nachprüfung der Quellenangaben aus fünf Wessling-Biographien vermochte Carl Corino 90 Prozent als unglaubwürdig nachzuweisen: „die genannten Werke gab es nicht; Zeitungen, die Wessling anführte, waren zum angegebenen Zeitpunkt noch nicht oder nicht mehr oder überhaupt nie erschienen. Wenn aber Titel und Datum stimmten, dann fanden sich die von Wessling zitierten Texte dort nicht.“ Bei „Wieland Wagner. Der Enkel“ ist der Autor offensichtlich bedachtsamer vorgegangen. Allerdings ist bereits die Ankündigung des Verlages, „die erste umfassende Biographie über Wieland Wagner“ zu veröffentlichen, angesichts der einschlägigen Publikationen von Goeffrey Skelton, Walter Panofsky und Walter Erich Schäfer nicht haltbar. Skeltons „Wieland Wagner- The Positve Sceptic“ bleibt in Wesslings Text unberücksichtigt und Viola Schmids Dissertation „Studien zu Wieland Wagners lnszenierungskonzeption und zu seiner Regiepraxis“ (München 1973) ist nicht einmal in der Bibliographie erwähnt. Der Klappentext verweist auf Lücken im Bild Wieland Wagners, die hier erstmals geschlossen würden: „Zum ersten Mal werden seine Lehrer als Kronzeugen zitiert: der Dirigent Kurt Overhoff und der Maler Ferdinand Staeger.“ Tatsächlich war der Enkel in der Verleugnung und Verschleierung seiner Lehrmeister seinem Großvater Richard Wagner nicht unähnlich. Doch was aus den Texten von Overhoff und Staeger hervorgeht, trägt wenig zu Erhellung der Selbstfindung Wieland Wagners bei. Wieland Wagners wichtigsten Lehrer läßt Wessling unerwähnt: Franz Stassen, von dem der Wagner-Enkel sogar vollständige Figurinen zu seinen frühen Ausstattungen adaptierte. Neben Presseberichten stützt sich der Autor in erster Linie auf eigene Interviews. Hier verblüffen insbesondere einige Aussagen, die Wagners Enkel Gilberto Graf Gravina getätigt haben soll, – ein Mitarbeiter am Bayreuther Werk, der für seine Wortkargheit bekannt war. Geschichten über die Wagner-Enkel, die Wess-ling von Kurt Söhnlein erfahren haben will, sind kaum glaubhaft. Ewald Hilger hat sich im Bayreuther Festspielsommer dieses Jahres offen gegen Wesslings Wieland Wagner-Biographie ausgesprochen. Ein rotes Tuch ist dem Vorstand die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth insbesondere Wesslings Verdikt, dem Mäzenatenverein der Bayreuther Festspiele hafte „brauner Geruch“ an. Immerhin aber mag Wesslings Charakterisierung der von Wieland wenig geliebten Mäzene, „dreiste, fanatische, schwerbelastete Ex-Nazis“, auf jenen Gerhard Roßbach zutreffen, der schon Siegfried Wagner zu dessen 60. Geburtstag (1929) mit der präfaschistischen „Schill-Jugend“ einen nationalsozialistischen Dolchstoß versetzt hatte und der dann nach dem zweiten Weltkrieg einer der aktivsten Mitbegründer von Neu-Bayreuth war. Auf Irrtümer des Autors trifft man in diesem Buch zuhauf: So verwechselt Wessling die jüdische Dichterin Elsa Bernstein-Porges mit der Familie Bechstein, den Förderern Hitlers (S. 44) und macht sie anschließend gar zur Librettistin Hans Pfitzners (recte: Engelbert Humperdincks). Auch gerät Wessling häufig ins Fabulieren, etwa was Siegfried Wagners Haltung zu München angeht und scheut sich dabei nicht, dem Komponisten den Ausdruck „Rotz“ in den Mund zu legen (S. 46). Er stellt die widersinnige Behauptung auf, Winifred habe ihren Mann „herumgekriegt, zu einem bekennenden Nationalsozialisten gemacht“ (S. 51). Wessling, der laut „Spiegel“ in seiner Biographie über Carl von Ossietzky besonders judenfeindliche Zitate „mit zynischer Feder hinzuerfunden“ hat, kann sich besonders gut und mitfühlend in Gedankengänge Adolf Hitlers hineindenken (S. 52) und konstatiert folgerichtig, daß Hitler „von den Opern Siegfrieds nicht viel hielt“ (S. 107). Zunächst behauptet Wessling, der Wagner-Sohn habe auf der Bayreuther Bühne nur ja nichts ändern wollen (S. 45), um dann sechzehn Seiten später doch vom Aufbrechen des „verkrustete(n), museale(n) Bühnen-system(s) des Festspielhauses“ zu berichten. Der Leser dieses Buches scheint gut beraten, womöglich – was bei den unklaren Quellenangaben Wesslings schwierig genug ist – im Original der zitierten Bücher selbst nachzulesen, denn so manche Episode gerät ihm in der Nacherzählung falsch (S. 57). Außerdem erweist sich im Falle der Werke Richard Wagners die mangelnde Werkkenntnis des Autors. So schwebt die Taube im „Parsifal“ bei ihm bereits vor „der Pause“, nicht erst am Ende des Bühnenweihfestspiels, herab (S. 179). Auch mit Stimmfächern hat Wessling so seine Probleme, wenn er etwa berichtet, die Baßpartie des Kothner in den „Meistersingern“ sei mit Fritz Uhl und Georg Paskuda – also mit Tenören(!) – besetzt worden. Die Freundschaft des Stuttgarter Generalintendanten Walter Erich Schäfer mit Wieland Wagner, der Stuttgart als sein „Winter-Bayreuth“ betrachtete, erklärt Wessling als einseitige Darstellung Schäfers und weiß zu berichten: „die Zuwendungen Schäfers interessierten den Enkel nur am Rande. Er empfand sie als lästig, aber unumgänglich ...“ (S. 253). Die in den Text der Biographie gestreuten Abbildungen wirken in ihrer Auswahl zufällig: offizielle Probenfotos, Karikaturen und Besetzungszettel, die der Journalist Wessling aufgehoben hat, gemischt mit Dokumenten der vordem von ihm biographierten Sänger. Wie Wessling offen zugibt, hat Wieland Wagner, als „ein weithin humorloser Mensch“, gegen Wessling und dessen Publikation „... und es lächeln die Götter“ einstens „böse Briefe“ verfaßt. Ob der Autor sich nunmehr zum postumen Anwalt des Enkels aufschwingen möchte oder ob er dessen Regiekünsten doch weiterhin skeptisch gegenübersteht, bleibt bei der Lektüre seltsam unentschieden. In erster Linie scheint es Wessling bei seiner Wiederverwertung von Bayreuth-Materialien auf die Verbreitung von Klatschgeschichten anzukommen, egal wen sie treffen und betreffen.

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