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Adieu Kulturauftrag

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Die langfristige Umkrempelung der ARD-Orchesterlandschaft nimmt klarere Konturen an. Nach dem ersten dumpfen Rumoren vor einigen Monaten in Donaueschingen liegt der Öffentlichkeit nun eine Vorlage von SWR-Intendant Peter Voß über die „Zukunft der SWR-Klangkörper“ vor, die er im Dezember dem Rundfunkrat präsentierte. Es ist mehr als ein rhetorischer Versuchsballon. Aus dem sorgfältig argumentierenden, langfristige Perspektiven umreißenden Text gehen zwei Dinge hervor: Es handelt sich um eine klare Strategie für das nächste Jahrzehnt, und Voss spricht nicht nur für den SWR, sondern für die ganze ARD.

Geplant ist nichts weniger als ein Paradigmenwechsel. Das Ziel ist der Abbau der Klangkörper und Veranstalterkapazitäten und die Konzentration auf die „Vermittlung“, um Geld zu sparen. Die Rechnung lautet: Die acht Sinfonie- und vier Rundfunkorchester, fünf Chöre und vier Big Bands kosten pro Jahr 170 Millionen und bringen weniger als 15 Millionen ein. Mit den eingesparten 155 Millionen ließe sich die Haushaltkrise ein wenig abfedern, die durch den schleichenden Kaufkraftverlust verursacht wird. Laut Voß wächst er für den SWR bis 2008 auf jährlich fast 30 Prozent an.

Den schwarzen Peter kann der Intendant mühelos den Politikern zuschieben, die in einer verfassungsrechtlich bedenklichen Aktion der ARD die nötige Gebührenerhöhung verweigert haben. Und in der Tat haben die Initiatoren dieser Politik, Steinbrück, Stoiber und Milbradt, alle Chancen, als die drei Ministerpräsidenten in die Geschichte einzugehen, die durch unüberlegtes Handeln eine weltweit einmalige Orchesterlandschaft erfolgreich zum Austrocknen gebracht haben.

Selbstverständlich wird es Auffangstrategien mit neuen Finanzierungsmöglichkeiten geben. Ein bis zwei Orchester werden schon aus Prestige-, ein ostdeutsches aus politischen Gründen erhalten bleiben. Dasjenige des BR könnte mit einem von Columbia Artists zur Verfügung gestellten Glamourdirigenten auf internationalen Tourneen den Ruhm der ARD verbreiten, das zusammengelegte SWR-Orchester als Spezialtruppe für Schwieriges die südliche Festivalschiene zwischen Salzburg und Donaueschingen und außerdem wie bisher einige Städte bedienen. Der WDR macht ein Joint Venture mit RWE und Gazprom und baut mit seinem Orchester die kulturelle Partnerschaft mit Russland aus. Siemens sponsort ein Berliner Orchester und gibt der jungen chinesischen Avantgarde ein Chance. Möglichkeiten zur Neugestaltung gibt es viele. Die Frage ist nur, welchen Interessen sie folgen, musikalischen oder geschäftlichen.

Doch zunächst kommt der in der Wirtschaft übliche Mechanismus in Gang: Die Manager vor Ort müssen ihre Betriebe an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen, und was sich nicht rechnet, muss über Bord. Aufhalten wird diesen Prozess niemand, die zu erwartenden Einsprüche sind im Grundsatzpapier von Intendant Voß schon mitgedacht. Die sich formierende Protestfraktion wird vorsorglich schon einmal als kleine wohlhabende Klientel von Privilegierten abgetan, der Kulturauftrag der ARD gegen den Bildungsauftrag ausgespielt. Als ob das zu trennen wäre. Der Begriff des Kulturauftrags selbst wird strategisch uminterpretiert und auf einen Vermittlungsauftrag reduziert. Zweifellos hat das Bundesgericht nie vorgeschrieben, dass und wie viele Orchester die ARD unterhalten soll. Die Kasuistik ist dennoch beachtlich, mit der die entsprechenden Urteile relativiert und durch den Verweis auf die Historizität der Rechtssprechung andeutungsweise als überholt bezeichnet werden.

Das Reformmuster, dem die ARD folgt, bedeutet nicht nur einen lebensgefährlichen Aderlass für eine ohnehin schon kränkelnde Musikkultur. Es verrät darüber hinaus einen Dammbruch grundsätzlicher Art. Das neue ökonomische Denken, das heute ganze Weltkulturen aufrollt, macht sich nun auch in Deutschland erfolgreich über die kulturelle Substanz her.

Voraussetzung dazu war das Verschwinden der tradierten Werte aus dem Bewusstsein. Sie konnten sich nach den zwölf Jahren Nazidiktatur in den Köpfen nicht wieder verankern und wurden nach 1968 unter der Parole des Fortschritts endgültig erledigt. Nun wird, unter den wohlwollenden Augen der Politik, Stück um Stück auch die institutionelle Basis geschleift.
Die bunten westdeutschen Nachkriegs-jahrzehnte mit ihrem kulturellen Boom und ihrer vergeblichen Identitätsfindung entpuppen sich aus dieser Sicht zunehmend als Phase des Übergangs. Die Reise geht längst woanders hin, und wir schauen weg. Wir schrecken höchstens auf, wenn wieder einmal ein Orchester verschwindet.

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