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Akustisches Manifest

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Dinner im Dunkeln, Kochkurse im Fernsehen und das immer häufigere Vorkommen von Sterne-Restaurants östlich des Rheins, das sind die Boten eines neuen Trends: Die Verfeinerung der Sinne ist angesagt. Diese Renaissance des Sinnlichen ist leicht nachvollziehbar in einer Zeit, in der sich der Mensch von einem sinnlichen Wesen in einen Höhlenbewohner verwandelt, der nur noch durch die „große Maschine“ – gemeint ist natürlich das Internet – mit seinen Mitmenschen kommuniziert.

Das Tasten, Schmecken und Riechen hat Konjunktur. Wie aber ist es mit dem Hören? Das wird nach wie vor stiefmütterlich behandelt, und glaubt man Peter Androsch, Leiter für Musik bei Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas, dann muss man statt behandelt sogar misshandelt sagen.

„Schall ist die neue Waffe der Macht. Schall ist zu Strahlung geworden. Das Volk wird mit Schall bestrahlt und apathisch und blöd gemacht – an jedem Ort, zu jeder Zeit und unter allen Umständen.“ So heißt es im „Akustischen Manifest“, das am 20. Februar im „Le Figaro“ (Paris) sowie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ erschienen ist (auch nachzu-
lesen unter www.hoerstadt.at).

Eine starke Sprache, mittels der sich das Projekt Hörstadt, eine Initiative von Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas, hier zu Wort meldet. Diese Sprachgewalt hat einen Vorläufer. Auf den Tag vor 100 Jahren war ebenfalls im „Le Figaro“ das futuristische Manifest Filippo Tommaso Marinettis erschienen – eine aggressive Lobeshymne des Fortschritts und der Gewalt. Nicht umsonst ist das einzige Musikinstrument, das man explizit dem Futurismus – das Trautonium oder das Ondes Martenot einmal ausgenommen – zurechnen kann, ein Geräuschinstrument, das die bisherige Musik ablösen sollte: das Rumorharmonium oder Russolophon von Luigi Russolo

Was George Orwells „1984“ für die Politik, Aldous Huxleys „Brave New World“ für die Biologie und das weniger bekannte „The Machine Stops“ von Edward Morgan Forster für die Digitalisierung bedeutet, das ist das Futuristische Manifest für die akustische Umwelt. „Ein Rennautomobil, dessen Wagenkasten mit großen Rohren bepackt sind, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen, ein heulendes Automobil, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake“, lautet eine der bekanntesten Passagen aus dem Manifest. In dieser „akustischen Schönheit“ leben wir heute und die Sehnsucht nach Stille – immerhin dem schönsten Klang neben der Musik – war nie größer als heute.

Das Linzer Vorhaben Hörstadt setzt sich zusammen aus „Beschallungsfrei“ – der Kampagne gegen Zwangsbeschallung, der Linzer Charta als Leitlinie für die Stadtgestaltung in akustischem Sinne – und dem Akustikon als Welt des Hörens im Zentrum der europäischen Kulturhaupstadt Linz.

Das Programm von Hörstadt klingt vielversprechend, die ganze Stadt soll als akustischer Klangraum positioniert werden, noch „ungeahnte Entfaltungsmöglichkeiten für Politik, Wirtschaft, Kultur, Kunst, Bildung und Tourismus“ werden prognostiziert. Was in Linz im Einzelnen geschieht, wird noch zu verfolgen sein, die Idee aber, dass man den akustischen Raum als politischen Raum begreift, ist eine Herausforderung für alle, die in Deutschland mit Musik und deren Pädagogik, Vermittlung und kulturpolitischen Rahmenbedingungen befasst sind. Einzig die Hörschule von WDR 5 zielte da bisher auf ähnliche Themen.

Nachdem die Relevanz der Musik für die kognitive und soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen als Legitimation für die Kulturpolitik nicht mehr so zugkräftig ist, kommt aus der Linzer Hörstadt ein neuer Gedanke: „Der akustische Raum ist Raum einer Revolution, die alle betrifft, die tiefe gesellschaftliche, individuelle, körperliche und seelische Auswirkungen zeitigt“, heißt es da. Musiker und Musikpädagogen werden also in Zukunft auch beim Thema Verkehr oder Städtebau zu konsultieren sein. Konzerte werden dagegen zu Hörschulen und Orten sinnlicher Erfahrung – statt ein Dinner im Dunkeln zu genießen, kann auch mal im Dunkeln musiziert und gehört werden. Der Komponist Georg Friedrich Haas macht es vor bei seiner Oper „Die schöne Wunde“, wo er das Orchester im Dunkeln um die Zuschauer gruppiert, oder bei seinem Streichquartett Nr. 3 „In III. Noct.“, das im Dunkeln gespielt wird – mit frappierender Wirkung auf die Sinne.

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