Komponieren ist ein einsames Geschäft. Wer sich Musik ausdenkt, braucht Ruhe und Konzentration und ist meistens allein. Schon ein Strawinsky wurde panisch, wenn ihm jemand beim Komponieren auf dem Klavier zuhörte, und ganze Generationen von Filmleuten scheitern immer wieder daran, einen Komponisten glaubwürdig beim „Komponieren“ zu filmen – denn es wirkt immer unecht und gestellt.
In dieser Hinsicht ähneln Kompositionsstudenten am ehesten den Pianisten – auch diese verschanzen sich gerne alleine in einem Zimmer, um endlos zu üben, während die Kompositionsstudenten dort gegen ihre inneren Mauern rennen, um Inspiration zu finden. Diese Schufterei belastet soziale Kontakte und kann sehr einsam werden. Manche Studenten bekommt man daher auch kaum zu Gesicht außerhalb des Unterrichts, denn anstatt am Leben teilzunehmen, werden sie zu einsamen Wölfen im Dienste eines oft vollkommen unrealistisch überhöhten Genieideals. Auf der Strecke bleibt dann das, was man heute „people skills“ nennt – die Fähigkeit mit anderen Menschen auf eine angenehme und freundliche Weise zu kommunizieren.
Das rächt sich aber spätestens dann, wenn der angehende junge Beethoven zum ersten Mal vor einem Orchester steht, um sein Stück zu proben. Vieles was vorher im Selbstgespräch des Geistes klar und eindeutig erschien, will nun in vermittelnde Worte gefasst werden, und das ist gar nicht so einfach. Oft erlebe ich, dass sich junge Komponisten aus lauter Nervosität dabei komplett im Ton vergreifen, wenn sie mit Musikern kommunizieren. Das wirkt dann autistisch, gefühllos, und übertrieben autoritär. Schnell vergessen sie, dass die Orchestermusiker keineswegs gedrillte Androiden sind, deren einzige Funktion es ist, Noten perfekt abzuliefern, sondern es sich tatsächlich um eine Art Dienstleistung handelt. Und genau wie andere Dienstleister auch funktioniert das am besten mit Respekt vor der Würde des anderen, umgekehrt übrigens auch (das wäre noch einmal einen weiteren Artikel wert). Andere Komponisten wiederum stehen stumm da und sind so schüchtern, dass der Funke auch nicht wirklich überspringt, werden sie etwas gefragt, stottern sie unsicher herum. Beides entspricht dem Klischee, und es bringt niemandem etwas.
Ich verbringe daher viel Zeit damit, meinen Studenten Tipps für menschliche Kommunikationsformen zu geben. Man sollte jetzt nicht meinen, dass es um diese bei ihnen schlecht steht (ich habe ganz wunderbare Studenten), nein, es geht um das Kommunizieren von Inhalten, das Lösen von zwischenmenschlichen Problemen bei den seltenen Momenten der Teamarbeit während einer Komponistenlaufbahn und generell darum, in der Lage zu sein, eloquent und warmherzig die Realisierung der eigenen Ideen zu unterstützen. Was fehlt ist quasi ein Knigge für junge Komponisten.
Deswegen sind die gemeinschaftlichen Projekte der Studenten so wichtig: bei Klassenabenden zum Beispiel lernen sie, hilfsbereit und verantwortungsbewusst zu sein und im Team zu arbeiten. Zumindest versuche ich, ihnen das zu vermitteln. Eine gute und freundschaftliche Atmosphäre in der Klasse ist auch für den Einzelunterricht essenziell. Und wann immer es geht, sollte man die einsamen Wölfinnen und Wölfe auch einmal zu gemeinschaftlichen Aktivitäten anregen, die nichts mit Musik zu tun haben. Ein John Cage zum Beispiel sammelte mit seinen Studenten gerne Pilze – vielleicht haben sie dabei mehr gelernt als bei einer trockenen Analyse? Auch im späteren Berufsleben wird die grundsätzliche Fähigkeit zur Kollegialität bei Institutionen wie der GEMA oder dem Deutschen Komponistenverband entscheidend sein. Denn auch der einsamste Wolf braucht ab und zu einmal Anschluss, ansonsten wird er scheitern.