Sie denken, Sie haben ein kompositorisch begabtes Wunderkind? Herzlichen Glückwunsch, denn Sie sind ganz sicher nicht allein – so wie Ihnen geht es Millionen anderer Eltern. Wie viele Millionen Komponisten kennen Sie? Ach, nur eine Handvoll? Wenn Sie mehr als eine Handvoll Komponisten kennen und deren Biografien studiert haben, werden Sie sicherlich festgestellt haben, dass eigentlich nur die wenigsten von ihnen schon als Kleinkinder durch die Konzertsäle der Welt geschleift wurden. Mozart als „erfolgreiches“ Beispiel für ein Wunderkind ist die Ausnahme, nicht die Regel.
Rein statistisch ist die Zahl der „gescheiterten“ Wunderkinder unendlich viel größer als die Zahl derjenigen, die dann tatsächlich auch bedeutend wurden. Mathematisch begabte Eltern sollten also erkennen, dass sie durch übermäßigen Drill und frühes Verheizen ihrer Kinder die Chancen auf Erfolg ihrer Kinder verringern, nicht erhöhen. Von den vielen, vielen Menschen, die Großartiges und Bewundernswertes in der Menschheitsgeschichte leisteten, war nur ein verschwindend geringer Anteil ein „Wunderkind”. Die schafften das nämlich auch so!
Vorsicht natürlich bei dem Wort „gescheitert“ – wenn Wunderkinder nicht dem Willen der Eltern folgen, sondern sich irgendwann entscheiden, den ganzen Zirkus nicht mehr mitzumachen, sind sie keineswegs Versager, sondern einfach nur Individuen, die selbstständige Entscheidungen treffen. Wenn aber wiederum Eltern nicht wirklich wollen, dass ihre Kinder einmal Individuen sind, die selbstständige Entscheidungen treffen, sollten sie das mit dem Elternsein ohnehin einmal grundsätzlich überdenken, oder?
Was also tun, wenn man Eltern eines begabten, aufgeweckten, vielleicht sogar potenziell genialen Kindes ist? Hier ein paar Tipps:
- Selbstverständlich ist es von Vorteil, wenn Sie dem Kind Anregungen und Unterstützung geben, aber nur, wenn es dies auch selbst wünscht. Wenn es die Anregungen nämlich aufgezwungen bekommt, wird ihm später die Leidenschaft für diese Dinge fehlen. Wer kompositorisch begabt ist, brennt von selbst für Musik, man muss da kein künstliches Feuer entfachen.
- Erzeugen Sie ein Umfeld für Ihr Kind, in dem es sich beweisen kann, ohne dass es gleich zum Hochleistungssport ausartet. Kunst ist kein Geschwindigkeitswettbewerb. Man kann auch spät kommen und etwas Bedeutendes schaffen, siehe Janácek. „Jugend musiziert“ und „Jugend komponiert“ sind wunderbar, aber verwechseln Sie Ihr Kind nicht mit einem Rennpferd.
- Sind Sie selbst frustrierte/-r Künstler/-in? Hätten Sie gerne mehr aus Ihrem Leben gemacht? Das ist traurig, aber Ihr Kind kann nichts dafür, und wird ganz sicher nicht dadurch glücklich werden, dass Sie es als eine Art Stellvertreter für Ihre eigene gekränkte Eitelkeit missbrauchen. Ihr Kind soll nicht für Sie etwas beweisen müssen, sondern sich selbst beweisen, das ist ein feiner, aber wichtiger Unterschied.
- Erstellen Sie keine Website für Ihr Kind, dessen heimlicher Herr Sie sind. Paradieren Sie Ihr Kind nicht herum, beuten Sie es nicht aus, verschachern Sie es nicht schon so früh wie möglich an dubiose Agenturen oder Plattenlabels, veröffentlichen Sie nicht gesammeltes oberflächliches Lob von Prominenten oder irgendwelchen anderen Hype, der Ihrem Kind später peinlich sein wird.
- Und zuletzt: Wenn Sie der Vater von Alma Deutscher sind, reden Sie doch bitte Ihrem Kind nicht ein, dass es irgendwelche bösen „Zwölftöner“ gäbe, die Ihrem Kind irgendwas verbieten wollen. Die Geschichten vom „Schwarzen Mann“ sind nämlich sowas von passé …