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Bad Boy Of Music

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Früchte des Zorns
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In diesen Wochen schreibt das Feuilleton gerne über die Finanzkrise und deren Auswirkungen auf das Kulturleben. Nicht ganz unberechtigt packt uns die Angst vor dem Rotstift und der Möglichkeit, dass einige heilige Kühe unserer Neuen-Musik-Szene in den kommenden Jahren nicht unbedingt saftig subventionierten Weiden, sondern eher der Schlachtbank entgegenwackeln. Manch einer rechnet sich gar aus, welch glorreiche Neue-Musik-Förderung mit all dem rausgeschmissenen Geld finanziert werden könnte und schaut dann verzagt und wehmütig in sein Weißbier.

Wie geschmackvoll ein solches Lamentieren angesichts der Tatsache ist, dass es den meisten Menschen in den kommenden Jahren sicherlich wichtiger sein wird, überhaupt eine Arbeit, ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen zu haben, soll dahingestellt bleiben. Ob diese dann zum Beispiel der Gedanke trösten wird, dass trotz allgemeinen Verfalls wenigstens in Donaueschingen die nicht enden wollende Parade der musikalischen Kopfgeburten weiterhin vorantrottet? Sicher nicht.

Der Aktienmarkt mag zwar ein gigantisches kapitalistisches Spielcasino sein, Parallelen zur Neuen-Musik-Szene lassen sich aber durchaus finden. Wenn wir uns bestimmte aktuelle Musiktendenzen als Aktien vorstellen, lassen sich hübsche Vergleiche herstellen. Nehmen wir zum Beispiel die „New Complexity“-Derivate. Was man den Bankern heute vorwirft – nämlich Produkte entwickelt zu haben, die so undurchschaubar sind, dass sie sie selber nicht mehr verstehen – trifft hier ebenso zu. Die Idee, dass sich Musik grundsätzlich in eine immer größere Detaildifferenzierung zu entwickeln hat, und selbst Streichquartette nur noch im Din-A0-Format (zehn Notenzeilen pro Instrument) ausgeliefert werden dürfen, erleidet massivsten Kursverfall, da das KGV („Kurs-Gewinn-Verhältnis“ im Aktienjargon) einfach nicht mehr tragbar ist, von der schlechten Dividende (zwölf Monate Üben für fünf Minuten langweiliges Gemurkse) ganz zu schweigen.

Aber auch das MacMinimal-Zertifikat, früher eine sichere Bank im unübersichtlichen Markt der Zertifikate, hat schwer nachgelassen. Denn selbst wenn man sich in mageren Zeiten nicht mehr allerhöchste Qualität leisten kann, die ständig leiernden Repetitionen von Materialabfällen können auf Dauer nicht gesund für den Körper sein, und das merken auch langsam die Verbraucher (=Hörer). Daher sind Verluste von bis zu 90 Prozent dieses Papiers schon fast sicher zu erwarten, vor allem in den USA.

Bisher scheinbar unberührt von der Krise sind die New-Traditional-Fonds, die schon seit Jahren nur noch das ankaufen, was man eh schon kennt. Da diese aber zum größten Teil in Immobilien, also im genauen Wortsinne in vollkommen unbewegliches Repertoire investieren, ist das Platzen dieser Spekulationsblase schon ziemlich bald abzusehen.

Der Ausblick auf die Zukunft scheint düster. Ist er es aber wirklich? Sicher ist: Genau wie der Rest der Welt brauchen wir alternative Energiequellen. Denn die Neue Musik befindet sich in einer Energiekrise im wahrsten Sinne des Wortes: Relativ viel Aufwand wird betrieben, um ein überschaubares Häuflein von Kennern anzusprechen. Im Vergleich zu dem, was da oft einfach nur verpufft, ist ein amerikanischer Straßenkreuzer geradezu ein Vorbild für effiziente Energieverwertung. Je verkrampfter und verzweifelter wir uns aber außerhalb der Expertenzirkel anbiedern, desto deutlicher wird, dass unseren künstlerischen Erzeugnissen oft sowohl Pepp als auch Charme fehlen, um den Funken auch einfach mal so überspringen zu lassen.

Inzwischen wird immer klarer, dass die alte, immer wieder kräftig verbal geölte Szenemaschinerie nicht mehr ganz rund läuft, und auch manches ästhetische Prinzip ist nicht mehr auf dem neuesten Stand der Zeit. Doch in den schweren Zeiten liegt auch Hoffnung, denn gerade jetzt könnte die Neue Musik genau das erreichen, was ihr schon seit langem nicht gelingt, nämlich wieder relevant zu sein.

Gerade jetzt ist die Zeit gekommen, endlich den Staub auszuschütteln und sich wieder aus der Szene nach draußen zu wagen – ins wahre Leben – und wieder mit Menschen zu kommunizieren, die anderes zu tun haben, als über das Sublime in der Stille zwischen zwei Tönen oder abgedroschene Materialdiskussionen von vorgestern oder über das, was man heute in der Neuen Musik darf und was nicht, nachzudenken.

Und es könnte uns sehr gut tun, endlich wieder eine Gegenwelt zu dem zu sein, was jetzt hoffentlich mit der Finanzkrise den Bach runtergeht, nämlich der ganze DSDS-Popkommerzschrott aus dem Jamba-Spar-Abo wie auch der eitle Starkult der Klassikspießer, der überbezahlten und aufgeblasenen Maestros und Aushilfsdiven, deren aller Strafe es sein sollte, dass ihnen der Satan persönlich – André Rieu, wer sonst? – bis ans Ende aller Tage den Höllenmarsch geigt. Heiliger Zorn kann auch inspirierend sein, und wenn uns diese Inspiration trägt, kann dieser Zorn künstlerische Früchte tragen, die vielleicht wieder beständiger sind.

In diesen besinnlichen Weihnachtstagen will also ausgerechnet der Bad Boy ausnahmsweise mal nicht verzagen und schimpfen, sondern lieber ein Kerzlein der Hoffnung anzünden. Wo etwas abstirbt, entsteht auch neues Leben. Der alte chinesische Fluch ist wieder einmal wahr geworden – wir leben in interessanten Zeiten, keine Frage.

Jetzt müssen wir es nur noch schaffen, dass auch wir genauso interessant sind.

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