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Beethoven und die Sklaverei

Untertitel
Nachschlag 2013/04
Publikationsdatum
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Filme von einigem Anspruch haben nicht selten etwas vom multimedialen Palimpsest: Als „Gesamtkunstwerk“ verschränken sie nicht nur die Genres ineinander, sondern überkreuzen dabei auch, bisweilen sogar gegenläufig, die Anspielungsebenen, werden zu „Filmen über Filme“. Ob das die Regisseure jeweils so kalkuliert haben oder ob sich das im Kopf der Rezipienten so ergibt, ist im Sinne der synthetischen Gattung Kino kaum eindeutig zu klären.

Es ist ähnlich wie beim Musikhören. Man kann sich einem Werk spontan, quasi ohne besondere Vorbildung, überlassen – oder aber ihm mit dem Wissen des „Kenners“ begegnen. Wobei dem Laien mitunter die Ahnungslosigkeit manche Qualitäten vorenthält; während der Erfahrene sich bisweilen nach der Lust des ersten Mals sehnt. Sieht man nun unmittelbar hintereinander Tarantinos „Django Unchained“ und Spielbergs „Lincoln“, so gerät man in ein vielfältiges Beziehungsgeflecht, durchzogen von zwei höchst heterogenen Achsen. Zunächst geht es in beiden Filmen gleichermaßen um die Sklavenfrage – in Tarantinos SpätItalowestern als individuelle Gewalt gegen die kollektive, in Spielbergs Legende um die schier parabelhafte Darstellung der, auch semilegalen, Mühen demokratischer Mehrheitsbeschaffung. Wie weit die thematische Parallele mit aktueller amerikanischer Politik, der Präsidentschaft Obamas, zusammenhängt, ist anzunehmen, könnte aber auch Kaffeesatz-Lesen sein. Frappierender indes ist die polare Funktion einer musikalischen Ikone: Beethoven – zumal pathetisch aufgeladen in deutsch-idealistischer Tradition.

Wird im Haus des unmenschlichen Plantagenbesitzers „Für Elise“ auf der Harfe gespielt, so ist dies genau der Punkt, an dem der Kopfgeldjäger aus seiner strategischen Maskenrolle fällt, seinen Abscheu über das Ineins von Brutalität und Edelkultur nicht mehr verbergen kann. Der deutsche Bildungsbürger in ihm mag sich an das „Alle Menschen werden Brüder“ der Neunten erinnert haben, das durch das Gebaren der Herrenmenschen zu Hohn und Spott wird. Ebendies besiegelt seinen Untergang. Beethovens Menschheits-Botschaft wird in „Lincoln“ gleichermaßen zur Todes-Metapher. Der Präsident wurde Karfreitag, den 15. April 1865, im „Ford’s Theatre“ in Washington erschossen, während einer Aufführung der beliebten, eher harmlosen Komödie „Our American Cousin“. Spielberg zeigt dabei eine Art hochdramatisch-pittoresker Entführungs- und Kampf-Opernszene im orientalischen Milieu. Ist dies schon kurios genug, so verblüfft vollends die Musik dazu: Beethovens „Egmont“-Ouvertüre. Steht sie für Befreiungskampf und Triumph, so wird sie hier zum Fanal des Unheils.

Überdies: Spielt Tarantino ironisch-zynisch mit den Idolen des Italowesterns, beispielsweise indem er Corbuccis Ur-„Django“ Franco Nero auftreten lässt, so baut auch Spielberg in „Lincoln“ eine zweite filmgeschichtliche Ebene ein, mit der er, wie absichtlich auch immer, die Legendengestalt verschattet. Nicht zufällig nämlich lässt er den hageren Lincoln von Daniel Day-Lewis manchmal von unten und hinten aufnehmen, was die Figur größer als ohnehin wirken lässt. Er mag sich dabei des Vorbilds Sergei Eisensteins erinnert haben, der seinen Lieblingsschauspieler Nikolai Tscherkassow als „Iwan der Schreckliche“ ähnlich dominant hermetische Intérieurs durchschreiten lässt.
Wie man im Film Kino- und Musikgeschichte gleichermaßen mitinszeniert wie -rezipiert, wird hier exemplarisch.

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