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Brasilien

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In dieser Kolumne wird ausnahmsweise einmal nicht gebeckmessert, obwohl die Themen auf der Straße liegen beziehungsweise aus der Fernsehröhre hängen. Also keine Häme über das Fladengesicht von Präsident Dabbeljuh, dessen Aussagekraft seine Propagandaabteilung mit Inszenierungen im Halbprofil aufzupolieren versucht (Dabbeljuh im Gegenwind des Ventilators, auf dem Laufband dynamisch vorwärts schreitend, Blick über die linke Schulter leicht rückwärts zum Betrachter gewandt). Auch keine heuchlerische Bewunderung für den Kandidaten, der in der denkwürdigen Talkshow bei Sabine Christiansen am 20. Januar 2002 ein Meisterstück dekonstruktivistischer Sprachkunst ablieferte und sich damit als Möchtegern-Karl Valentin empfahl (wörtlich: „... kommen sicherlich die Fragen gleichge äh, nicht gleichgeschlechtlich, sondern ob ich auch äh, äh, Asylgründe schaffe außerhalb der politischen und der rassistischen Verfolgung, also auch Gründe, äh, wenn aus, äh, wenn andere Gründe sozusagen also aus dem Geschlecht oder Ähnlichem stattfinden also Frauen, äh, irgendwie wegen ihres Frauseins irgendwo verfolgt werden.“) Nein, diesmal soll ganz aggressionsfrei auf einen außergewöhnlichen Musikfilm hingewiesen werden, der vor kurzem in die deutschen Kinos gekommen ist.

In dieser Kolumne wird ausnahmsweise einmal nicht gebeckmessert, obwohl die Themen auf der Straße liegen beziehungsweise aus der Fernsehröhre hängen. Also keine Häme über das Fladengesicht von Präsident Dabbeljuh, dessen Aussagekraft seine Propagandaabteilung mit Inszenierungen im Halbprofil aufzupolieren versucht (Dabbeljuh im Gegenwind des Ventilators, auf dem Laufband dynamisch vorwärts schreitend, Blick über die linke Schulter leicht rückwärts zum Betrachter gewandt). Auch keine heuchlerische Bewunderung für den Kandidaten, der in der denkwürdigen Talkshow bei Sabine Christiansen am 20. Januar 2002 ein Meisterstück dekonstruktivistischer Sprachkunst ablieferte und sich damit als Möchtegern-Karl Valentin empfahl (wörtlich: „... kommen sicherlich die Fragen gleichge äh, nicht gleichgeschlechtlich, sondern ob ich auch äh, äh, Asylgründe schaffe außerhalb der politischen und der rassistischen Verfolgung, also auch Gründe, äh, wenn aus, äh, wenn andere Gründe sozusagen also aus dem Geschlecht oder Ähnlichem stattfinden also Frauen, äh, irgendwie wegen ihres Frauseins irgendwo verfolgt werden.“) Nein, diesmal soll ganz aggressionsfrei auf einen außergewöhnlichen Musikfilm hingewiesen werden, der vor kurzem in die deutschen Kinos gekommen ist.Moro no Brasil“ („Ich lebe in Brasilien“) heißt der Dokumentarfilm, in dem der Finne Mika Kaurismäki den Ursprüngen der brasilianischen Musik nachgeht. Eine ziemlich exotische Angelegenheit: Ein Mann aus dem Land der Elche und Seen und der langen Winternächte taucht ein in die indianisch-afrikanisch-kolonialistische Mischkultur unterhalb des Äquators und fördert Klänge und Bilder zu Tage, die dem europäischen Zuschauer einen faszinierenden Einblick in die Vielfalt und Vitalität der brasilianischen Musik zu geben vermögen. Die 4.000 Kilometer lange Reise durch Brasilien beginnt in Pernambuco im Nordosten und führt ihn über Recife und Salvador bis in die Samba-Metropole Rio de Janeiro.

„Wir müssen die ‚weiße’ Musik vergessen und unsere eigene wichtiger nehmen“, sagt ein Angehöriger des Indianerstamms der Fulni-Ô, der im einsamen Hinterland von Pernambuco um sein kulturelles Überleben kämpft. Die Musik hilft dabei, denn „sie erzählt unsere Geschichte.“ Die Jungen führen die Tradition mit Keyboard und E-Gitarre weiter. Auch in den Slums der Großstädte dient die Musik als Überlebensmittel. Die von engagierten Musikern in Recife gegründete Perkussions- und Tanzgruppe „Daruê Malungo“ – ein Ausdruck aus der Bantu-Sprache, der „Kameraden im Kampf“ bedeutet – holt schwarze Slumkinder von der Straße und übt mit ihnen nicht nur atemberaubende Tanz- und Musiknummern ein, sondern auch sozialen Zusammenhalt, einen Sinn für das Schöne und ethische Normen.

Die geballte Energie und Konzentration, die die Halbwüchsigen bei ihrer „Vorstellung“ inmitten der bizarren Ruinenlandschaft der Favela ausstrahlen, vermittelt dem europäischen Zuschauer den Eindruck einer Kreativität und eines Lebenswillens, wie sie hier zu Lande unbekannt sind. Die Botschaft, die er von dieser Szene mit nach Hause nimmt, lautet: Hier, in diesen Elendsvierteln, lebt die Hoffnung auf das kommende Jahrhundert, hier entsteht Zukunft. Ein ähnliches Experiment macht der als Sambista und Autor von Karnevalhits berühmt gewordene Ivo Mereilles aus Rio. Seine Wohnung im Armenviertel Mangueira, wo er aufgewachsen ist, hat er behalten, denn er will den Straßenkindern und arbeitslosen Jugendlichen Vorbild sein. Mit der von ihm gegründeten Gruppe „Funk ‘n’ Lata“ („Funk und Blech“) inszeniert er musikalische Shows im Freien, mit denen er das ganze Ghetto mobilisiert: Ein Aufstand der Lebensfreude gegen die triste Wirklichkeit. Gewiss, reale Veränderungen werden damit nicht erreicht, aber die Wirkung auf die Psyche der Menschen ist enorm und gibt ihnen Kraft, um diese Veränderungen anzugehen.

Die Samba von Rio ist auch, aber nicht nur die melancholisch-elegante Großstadt-Folklore, die man hier zu Lande aus den Medien kennt und deren soziale Wurzeln in Kaurismäkis Film mit Sensibilität, Humor und in teilweise berührenden Bildern veranschaulicht werden. Jüngere Musiker entwickeln eine brasilianische Variante des Rap mit sozialkritischer Note: „Leben in der Favela, Sterben in der Gosse, und wer sich nicht durchbeißt, hat schon verloren.“

Eine der wichtigsten Energiequellen für die heutige Música Popular Brasileira liegt noch immer in der Tradition der einstigen afrikanischen Sklaven. Hier vermischt sich mitreißendes Musizieren mit kultischen Elementen. Der Candomblé in Salvador, der Hochburg der schwarzen Kultur Brasiliens, beeinflusst die Popularmusik auf hörbare Weise und verleiht ihr jene magische Intensität, die selbst in den Zweit- und Drittformationen der bahianischen Kultgruppe „Olodum“, die jeden Sommer die europäischen Open-Air-Festivals abklappern, noch durchscheint. Dazu kommt das ethnische Apriori Brasiliens, die Vermischung der Rassen. „Bahia ist der Ort, wo die Vermischung der Menschen keine Grenzen kennt“, sagt die erfolgreiche schwarze Sängerin Margaret Menezes, „und das ist es, was mir hier so gefällt. Man schämt sich nicht und sagt nicht: ‚Das hat Einflüsse von dem und dem...’ Es liegt in der Seele des Volkes, sich selbst und alle Dinge zu vermengen. Und das bereichert uns sehr.“

Schnitt, Asylantendebatte. „... ob ich auch äh, äh, Asylgründe schaffe außerhalb der politischen und der rassistischen Verfolgung, also auch Gründe, äh, wenn aus äh...“ und so weiter. Die Armseligkeit dieser Filzhutlogik, das ganze verklemmte Beharren auf vorgestrigen Provinznormen verblasst angesichts des Großmuts und der Lebensbejahung, die die Menschen und ihrer Musik in Kaurismäkis Film ausstrahlen. Die unfrohe Kandidatenrabulistik kann man abhaken. Doch für den Film gilt: Sofort hingehen und anschauen!

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